| # taz.de -- „Q216“ in Lichtenberg: Teurer wohnen im Plattenbau | |
| > Ein Immobilienunternehmen verlangt Hochhaus-Preise für Mini-Wohnungen in | |
| > Lichtenberg. Die Mieter werfen dem Eigentümer Willkür vor und wehren | |
| > sich. | |
| Bild: Zwischen Bahnhof und Bundesstraße: das Q216 an der Frankfurter Allee | |
| Berlin taz | Nur wenige Schritte vom Bahnhof Lichtenberg entfernt ragt das | |
| Q216 in den abendlichen Himmel. Im Eingangsbereich des Apartmenthauses | |
| steht Kim* mit seinen Nachbarn und Aktiven der Berliner | |
| Mieter*innengewerkschaft. Die Gruppe bereitet sich gerade darauf vor, | |
| Haustürgespräche zu führen, um mit anderen Bewohnern über die Mietsituation | |
| in dem Haus ins Gespräch zu kommen. | |
| Das Wohngebäude in der Frankfurter Allee 216 ist eines der größten in | |
| Lichtenberg: Über 450 Ein-Zimmer-Wohnungen stehen in dem 2012 sanierten | |
| Plattenbau mit gefälliger Außenfassade zur Vermietung. Studierende, | |
| Auszubildende und Berufstätige wohnen hier, in manchen der beengten | |
| Wohnungen haben sich auch Familien niedergelassen. | |
| Auch Kim wohnt hier, der Ende 20 ist. Mehr möchte er über sich nicht sagen, | |
| um seine Anonymität gegenüber dem Eigentümer des Apartmenthauses zu | |
| schützen. Seit knapp zwei Jahren lebt er im Q216 und gehört damit zu den | |
| „Älteren“: „Die Leute kommen hierher, weil sie nichts Anderes finden“,… | |
| er und fügt an: „Sobald sich eine andere Wohnung auftut, sind sie auch | |
| schnell wieder weg.“ | |
| Die Mieten seien zu teuer, Missstände würden nicht behoben und die | |
| Hausverwaltung ignoriere die Probleme der Mieter, fasst er die Situation im | |
| Q216 zusammen. Nebenbei rollt er ein Banner zusammen, das er bei den vielen | |
| Aktionen in den letzten Wochen mit sich trägt. „Runter mit der Miete“, | |
| steht darauf – die zentrale Forderung der Hausgemeinschaft. | |
| Laut einem Imagevideo auf der Webseite des Q216 empfinden nicht alle | |
| Bewohner ihre Mietsituation als problematisch: Drei junge Mieter zeigen | |
| sich in dem Clip begeistert über die Möglichkeiten, die ihnen das Leben im | |
| Q216 biete: ein Shopping-Center, Sportstudios, ein Waschsalon, eine | |
| Tankstelle – alles, was man brauche, sei in unmittelbarer Nähe, sagt eine. | |
| Ein anderer resümiert, das Q216 sei eine gute Lösung, wenn man zu | |
| „erschwinglichen Preisen relativ zentral wohnen“ wolle. Es sei „ganz, ganz | |
| selten in Berlin“, bemerkt die dritte, dass man „aus einem Hochhaus so | |
| einen tollen Ausblick“ habe. | |
| Alter Kiez mit neuen Problemen | |
| Ein Blick in die Mietparzellen des Gebäudes legt indes Abgründe offen. | |
| Bewohner berichten von überhöhten Mieten, Ungezieferbefall, Einbrüchen. Die | |
| Kritik an den Wohn- und Mietbedingungen mehren sich seit Monaten. | |
| Seit 2012 wird das Objekt in der Frankfurter Allee 216 als Apartmenthaus | |
| genutzt. Der elfstöckige Plattenbau entstand 1979 und diente in der DDR als | |
| Verwaltungsgebäude der Deutschen Reichsbahn. Nach der Wiedervereinigung | |
| stand das Gebäude zunächst leer, ehe es nach über 20 Jahren in Wohnraum | |
| umgewandelt wurde. | |
| Es liegt in einer Gegend, in der sich zu Beginn der 1990er Jahre eine | |
| neonazistische Szene formiert hatte, die jahrelang das Image von | |
| Lichtenberg prägte. Rechte Schlägertrupps rund um den Bahnhof machten Jagd | |
| auf migrantische und linke Menschen. Sie richteten Szenekneipen ein, aus | |
| denen heraus sie agierten. Neben dem antifaschistischen Widerstand und | |
| polizeilichen Räumungen von Treffpunkten trug letztlich auch die | |
| Gentrifizierung des ehemaligen Arbeiterviertels dazu bei, die Neonazis zu | |
| verdrängen. | |
| Probleme in der Gegend sind indes geblieben, auch wenn es heute andere | |
| sind. Statt Gewaltexzessen prägen nun Mietentgleisungen das Geschehen. So | |
| auch im Q216, das der Ulrich & Lakomski Real Estate GmbH & Co. KG gehört. | |
| Die Eigentümergesellschaft hat mehr als ein halbes Dutzend ehemalige | |
| Gewerbe-, Fabrik- und Bürogebäude im Osten von Berlin erworben und in ihr | |
| wachsendes Wohnraumportfolio integriert. | |
| Für Kim ist klar, dass die Gesellschaft auf Kosten der Mieter ihren Profit | |
| steigert. Er sagt, die Geschäftsführer hätten für die Bewohner bislang nur | |
| leere Versprechen übriggehabt. Ein Verhandlungstermin im Sommer habe zwar | |
| zu Vereinbarungen geführt, um die Wohnsituation der Mieter zu verbessern. | |
| Doch passiert sei bisher wenig, und an den entscheidenden Stellen gehen die | |
| Auffassungen weit auseinander. | |
| Dazu gehört die Absenkung der Miete auf die ortsübliche Vergleichsmiete: | |
| „Momentan berappen die Bewohner deutlich mehr, [1][als es der Mietspiegel | |
| erlaubt]“, sagt Kim. Dieser liegt in Lichtenberg aktuell bei knapp über | |
| acht Euro Kaltmiete. Die Bewohner zahlten mit rund 15 Euro pro Quadratmeter | |
| fast das Doppelte, rechnet er vor: „Wir haben die Vermieter aufgefordert, | |
| das zu ändern.“ | |
| Doch die hätten stattdessen auf Eskalation gesetzt. So seien gegenüber den | |
| Aktiven der Mieter*innengewerkschaft und einzelnen Bewohnern | |
| Hausverbote ausgesprochen worden, nachdem sie ein Picknick auf dem | |
| Grundstück organisierten. Die Kommunikation der Immobiliengesellschaft | |
| finde mittlerweile über eine Anwaltsfirma statt, merkt der junge Mieter an. | |
| Auf eine Anfrage der taz zu den Darstellungen der Bewohner wollte sich die | |
| Ulrich & Lakomski Real Estate GmbH & Co. KG nicht äußern. | |
| Zehn Prozent weniger Wohnfläche | |
| Kim lehnt an der Badezimmertür in einer Wohnung des Q216 und hält ein | |
| Lasermessgerät in der Hand. Neben ihm stehen Lino und Aaron, die sich bei | |
| der Berliner Mieter*innengewerkschaft engagieren. Gemeinsam mit | |
| weiteren Aktiven des Hauses klingeln sie heute erneut bei einigen der 461 | |
| Wohnungen und bieten den Mietern an, ihre eigenen vier Wände gemeinsam | |
| auszumessen. | |
| „Bei den Verhandlungen im Sommer wurde mit den Vermietern eine | |
| Neuberechnung der Nebenkosten vereinbart“, erläutert Lino. „Den aktuellen | |
| Kosten liegen falsche Wohnflächenmaße zugrunde, weshalb sie abgesenkt | |
| werden müssen“, insistiert der Gewerkschafter. | |
| Auf der Webseite des Q216 bewirbt die Hausverwaltung zwei Wohntypen: Die | |
| kleinere Wohnung mit 25 Quadratmetern wird für 524 Euro Warmmiete | |
| angeboten, was einem Preis von 21 Euro pro Quadratmeter entspricht. Wer | |
| sich eine 35 Quadratmeter große Wohnung mietet, erhält den warmen | |
| Quadratmeter zum Rabattpreis von knapp 20 Euro und zahlt damit 695 Euro, | |
| einschließlich Betriebs- und Heizkosten. | |
| Die oberen drei Stockwerke hat die Aktivengruppe des Q216 bereits | |
| geschafft. Lino zieht eine Zwischenbilanz: Die Wohnungen seien deutlich | |
| kleiner als in den Inseraten und in den Mietverträgen angegeben – im | |
| Schnitt um zehn Prozent, sagt er. | |
| Louisa*, die im achten Stock wohnt, wirft ein, in ihrer Wohnung habe man | |
| eine Abweichung von 15 Prozent nach unten gemessen. Statt der im Vertrag | |
| angegebenen 35 habe sie nur 30 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. | |
| Für die Aktiven im Q216 ist nach der Begehung von drei Stockwerken klar, | |
| dass die Vermieter die tatsächlichen Wohnungsgrößen systematisch | |
| verschleiern: „Es sieht so aus, als würde die Eigentümergesellschaft bei | |
| der Größe der Wohnungen flächendeckend schwindeln“, sagt Aaron (34), der | |
| für die Mieter*innengewerkschaft derzeit mehrere Hauskämpfe in Berlin | |
| führt. Der Eigentümer habe die Baupläne und sollte die tatsächlichen | |
| Wohnungsgrößen eigentlich kennen, fügt er hinzu. Aufgrund der falschen | |
| Berechnung zahlten fast 500 Mietparteien jeden Monat den Extraprofit des | |
| Eigentümers. | |
| Für ihn steht fest: Die Mieter können ihre Miete günstiger veranschlagen – | |
| und sogar zurückfordern. Die Berliner Mieter*innengewerkschaft | |
| übernimmt die Forderungsstellung für ihre Mitglieder. Als unabhängige | |
| Organisation müsse sie, anders als die Bewohner, keine Konsequenzen durch | |
| den Vermieter befürchten. Vorerst wolle man mit diesem einvernehmlich nach | |
| einer Lösung suchen, sagt Aaron. Doch die Geduld der Aktiven sei begrenzt, | |
| sagt er selbstbewusst. | |
| Verwaltet und verwahrlost | |
| Die überteuerten Mieten seien indes nur eines der Probleme, mit denen sich | |
| die Mieter im Q216 auseinandersetzen müssten, bemerkt Mieterin Louisa. Sie | |
| wohnt im 9. Stock des Hochhauses. Der Lärm der Frankfurter Allee dringt in | |
| ihr Zimmer – in einem der Fenster zieht sich ein Riss vom Fensterrahmen | |
| nach oben. Louisa sagt, seit Jahren werde im Haus regelmäßig eingebrochen, | |
| Schäden würden nicht behoben, unliebsame Mitbewohner wie Kakerlaken würden | |
| geduldet statt bekämpft. | |
| Die Mietaktiven haben die Beschwerden der Bewohner zusammengetragen. Mehr | |
| als 40 Mängelanzeigen liegen der Hausverwaltung seit zwei Monaten vor, sagt | |
| Louisa: Wasserschäden, kaputte Fenster, Rohrverstopfungen und defekte | |
| Backöfen seien nur einige der Missstände. Doch die Hausverwaltung ignoriere | |
| die Beschwerden der Mieter, kritisiert sie. Sie habe sich sofort | |
| angeschlossen, als sich die Mieter mit Unterstützung der Berliner | |
| Mieter*innengewerkschaft zu organisieren begannen. Sie gibt sich | |
| zuversichtlich: „Nach Jahren des Stillstands gibt es jetzt eine Chance, | |
| Veränderungen anzustoßen.“ | |
| Davon ist auch Gewerkschafter Lino überzeugt. Er sagt, das Repertoire an | |
| Möglichkeiten, sich zu wehren, sei noch nicht ausgeschöpft: „Wenn die | |
| Vermieterseite auf die Forderungen der Mieter weiterhin nicht eingeht, | |
| planen wir weitere Schritte“. Man werde den Druck erhöhen. Auch ein | |
| Mietstreik sei denkbar. | |
| *Name geändert | |
| 18 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streit-um-Mieterhoehung/!6017009 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Mayer | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Berlin-Lichtenberg | |
| Mieten | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Wohnungsbaugesellschaften | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gentrifizierung in Berlin: Verkauft und bedroht | |
| Die Mieterinnen und Mieter der Schönleinstraße 19 in Kreuzberg wollen ihr | |
| Haus vor einem Investor retten. Doch ihre Chancen stehen schlecht. | |
| Kommunale Wohnungsunternehmen: Haie im Landesgewässer | |
| CDU und SPD verteidigen die Mieterhöhungen der landeseigenen | |
| Wohnungsgesellschaften. Per Gesetz schleifen sie zudem deren Kontrolle. | |
| Vonovias trickst mit Sharedeal: Nicht mehr als Bauchgrummeln | |
| Bürgermeister Kai kann Vonovia-Chef Rolf nicht böse sein. Auch nicht, wenn | |
| dieser bei der Deutsche Wohnen-Übernahme Berlin um Millionen prellt. |