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# taz.de -- Tour de France: Nazis können nicht Rad fahren
> 1942 wollten die Deutschen eine Frankreich-Rundfahrt etablieren. Der
> Widerstand konnte das für sich nutzen. Ein Roman erzählt die Geschichte.
Bild: Der Belgier François Neuville, hier nach einem Rennen 1938, konnte 1942 …
Doch, das hat’s gegeben. Eine [1][Tour de France] im Jahr 1942, die die
deutschen Besatzer und ihre französischen Kollaborateure nur nicht Tour
nennen durften und die als „Circuit de France“ [2][Sportgeschichte] wurde.
Darüber hat der französische Journalist Étienne Bonamy einen Roman
geschrieben, der sich sehr eng an die historischen Fakten hält und sogar
bislang unbekannte Informationen zu Tage fördern konnte, denn Bonamy
arbeitete eng mit Émile Idée zusammen, dem 1920 geborenen Radprofi, der der
einzige noch lebende Teilnehmer dieses historischen Rennens ist.
Fangen wir mit den Plänen an, die Nazis und das [3][Vichy-Regime] mit dem
Circuit verfolgten. Die Tour de France war immer von der Zeitung L'Auto
veranstaltet worden. Das Blatt wurde zwar auf NS-Linie gebracht, aber die
Tour, das große Nationalsymbol Frankreichs, wollte dort niemand unter den
Bedingungen von Berlin und Vichy aufleben lassen. Also sollte das
kollaborationistische Blatt La France Socialiste die Organisation
übernehmen. Das Ziel war recht eindeutig: Die Bedeutung der Tour sollte dem
NS-Regime dienen.
Der Circuit wurde am 28. September 1942 als Sechs-Etappen-Tour gestartet,
die am 4. Oktober in Paris ankam. Fahrer wie Émile Idée, französischer
Straßenmeister, wollten nicht mitfahren, wurden aber genötigt.
Organisatorisch schwierig war, dass sowohl die nördliche Zone occupée, in
der die Wehrmacht stand, und die südliche Zone libre, in der das
Kollaborationsregime von Vichy regierte, gefahren werden sollten. Durch die
Integration beider Zonen sollte eine kulturelle Einheit Frankreichs gezeigt
werden – unter der Hegemonie Berlins.
Das Überqueren der Demarkationslinie machte den Circuit auch für den
Widerstand interessant, denn hier mussten Informationen und Material
geschmuggelt werden, und auch viele verfolgte Menschen mussten über die
Grenze geführt werden, damit sie untertauchen konnten oder, vielleicht über
die Pyrenäen, weitere Fluchtmöglichkeiten hatten. Wenige Wochen nach dem
Circuit, im November 1942, marschierte die Wehrmacht auch in die sogenannte
freie Zone ein. Anfang 1943 verboten die Besatzer sämtliche Etappenrennen
auf französischen Boden.
## Von Radprofis, Mechanikern und Funktionären
Étienne Bonamy beschreibt das Radrennen als das, was es zunächst war: eine
(nicht ganz so große) Rundfahrt. Die Organisatoren kämpften mit allen
Knappheiten, die Krieg und Besatzungen mit sich bringen: Benzinknappheit,
schlechte Unterkünfte, miserable Versorgung der Fahrer.
Bonamy erzählt all das und zugleich die verschiedenen Geschichten von einem
Motorradfahrer, der Fotografen fuhr – und zugleich Bote der [4][Résistance]
war. Vom Radtechniker und seinem Materialbus, der die an der Grenze durch
den Rennverlauf notabene schludrigeren Kontrollen nutzte, um Menschen zur
Flucht zu verhelfen.
Ein Anhang zu dem Buch informiert, wie es mit den Akteuren nach 1945
weiterging: Profis, die dann endlich ihren Beruf frei ausüben konnten, ein
Kurier, der sich eine Motorradwerkstatt aufbaute, Mechaniker, die noch
jahrelang die Tour begleiten konnten, und der Organisator und
Kollaborateur, der bis 1968 in Haft war.
Letztlich ist dieser Roman ein Lehrstück, wie Regimes auf die Schnauze
fallen, wenn sie glauben, sich Sport aneignen und ihn missbrauchen zu
können.
Wenn die Tour de France mehr als Sport ist, dann ist dieses Buch mehr als
ein Roman. Vielleicht ist aber alles zusammen schlicht großer Sport.
Étienne Bonamy: „1942. Die Tour de France, die keine war. Zwischen
Widerstand und Kollaboration.“ Bielefeld 2024, Delius Klasing, 208 Seiten,
22 Euro.
8 Nov 2024
## LINKS
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[4] /Deutsche-in-der-franzoesischen-Resistance/!6033410
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Sportgeschichte
Literatur
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GNS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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