# taz.de -- Radsport im Nationalsozialismus: Tritt in die Vergangenheit | |
> Der deutsche Sport stellt sich nur ungern seiner Geschichte. Eine | |
> unabhängige Studie zum Radsport zeigt, wie aktuell das Thema ist. | |
Bild: Die Deutschland-Tour 1937 führte über die Düsseldorfer Rheinbrücke | |
Es ist noch nicht so lange her, 2021, da sollte die [1][Deutschland Tour] | |
der Radprofis das Gelände der KZ-Gedenkstätte Buchenwald auf der | |
„Blutstraße“ durchqueren – ein Begriff, den Häftlinge der Zufahrtsstra�… | |
gaben, die sie unter Aufsicht des Wachpersonals 1938/39 bauen mussten. | |
Der Historiker Dieter Vaupel, schon lange mit der NS-Geschichte befasst, | |
hat sich als begeisterter Radsportler nun auch mit der Vergangenheit dieser | |
Sportart beschäftigt. Gleich im April 1933 diente sich der Bund Deutscher | |
Radfahrer (BDR) dem neuen System an. „Treu und Fest!“, verkündete das | |
Verbandsblatt, so wolle man „im Dienst von Volk und Vaterland“ stehen. Und | |
man stand. | |
Juden warf der BDR hinaus, und dass die Konkurrenz des [2][Arbeiter-Rad- | |
und Kraftfahrerbundes Solidarität] verboten wurde, nutzten BDR-Vereine, um | |
deren Bestände zu plündern. Auch alles, was in der Fahrradfabrik | |
„Frischauf“ der Arbeitersportler stand, verschwand in den Garagen der | |
BDR-Klubs. | |
Im Jahr 1938 wurde Viktor Brack oberster Radsportfunktionär. Bis 1945 | |
amtierte er, und in den folgenden Jahrzehnten tauchte sein Name ganz normal | |
in der Rubrik „Vorsitzende und Präsidenten“ des Verbandes auf. Dass Brack | |
1948 zum Tode verurteilt wurde, weil er verantwortlich an den | |
NS-Euthanasieprogrammen mitwirkte, schreibt der BDR erst seit wenigen | |
Jahren in seine Verbandsgeschichte. Der Verband, dessen aktueller Präsident | |
der frühere SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping ist, „stellt sich nicht seiner | |
Vergangenheit“, stellt Vaupel fest. | |
Schaut man sich Vaupels Studie genau an, merkt man, dass es im Grunde noch | |
schlimmer ist. Es gab Nazitäter und es gab antifaschistischen Widerstand im | |
Radsport, und Letzterer wurde von den Funktionären dem Vergessen | |
anheimgegeben. Dass Widerstandskämpfer wie [3][Albert Richter], immerhin | |
1932 Weltmeister, über Jahrzehnte sogar in seiner Heimatstadt Köln fast | |
vergessen war, gehört zu dem, wie deutscher Radsport sich präsentierte. | |
## Aufräumen mit etlichen Mythen | |
An andere Sportgrößen wurde nämlich sehr wohl erinnert, und einer wie | |
Gustav Kilian, der für den Ruhm des NS-Regimes internationale | |
Sechstagerennen bestritt, trat 1977 hochgeehrt als Bundestrainer ab. | |
Vaupel räumt mit etlichen Mythen auf. Am Beispiel Kilian lässt sich etwa | |
zeigen, dass das NS-Regime keineswegs, wie es oft behauptet wurde, gegen | |
Profisport eingestellt war. Sechstagerennen, die proletarische Vergnügen | |
bedeuteten, wurden zwar bald nicht mehr gefördert, aber Berufsfahrer wie | |
Kilian, Heinz Vopel oder Toni Merkens wurden gefördert und geehrt. | |
Vaupel kann zudem zeigen, wie der Radsport nach der politisch-militärischen | |
Annexion von Gebieten, etwa dem belgischen Eupen, die sportliche Landnahme | |
durchführte. Die „Großdeutschlandfahrt“ 1939, die nicht wenigen als Vorbi… | |
für die „Deutschland Tour“ gilt, charakterisiert Vaupel überzeugend als | |
„Beispiel für den NS-Gigantismus“. | |
Vaupels Verdienst ist es, außer Albert Richter noch andere Radsportler ins | |
Gedächtnis zu holen, die offiziell schon längst vergessen sind. Der Belgier | |
André Dekeyser etwa, der als politischer Häftling nach Buchenwald kam, dort | |
im April 1945 befreit wurde und völlig geschwächt zwei Monate später im | |
Alter von 23 Jahren starb – seine Frau und sein Kind konnte er noch einmal | |
sehen. | |
14 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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