# taz.de -- Geschichte des Arbeitersports: Rote Radler machen Druck | |
> Mit aktuellen Weltmeistern feiert der RKB Solidarität seine Gründung im | |
> Jahr 1896. Er ist einer der wenigen Arbeitersportverbände, die es noch | |
> gibt. | |
Bild: Radeln im Saal: Radkünstler Michael Niedermeier vom RKB Solidarität Bru… | |
Eine mögliche Zukunft des deutschen Arbeitersports ist 19 Jahre alt, lebt | |
in der Nähe von Rosenheim und wurde vor wenigen Wochen Europameisterin. | |
Jana Pfann tritt für den RKB Solidarität Bruckmühl an, studiert | |
Eventmanagement und konnte bei der EM im Juni 2022 in Ungarn im | |
Einer-[1][Kunstrad] gewinnen. Ihr Verband ist der [2][Rad- und | |
Kraftfahrerbund Solidarität], der an diesem Wochenende seinen 125. | |
Gründungstag feiert, bedingt durch die Covid-Pandemie mit einem Jahr | |
Verspätung. Tatsächlich wird im RKB, von der Sportöffentlichkeit kaum | |
bemerkt, bis zum heutigen Tag Weltklassesport betrieben. | |
Der RKB ist einer von nur zwei Verbänden des [3][Arbeitersports], die heute | |
noch existieren. 1933 wurden alle vom NS-Regime zerschlagen, nach 1945 | |
wurden nur die Naturfreunde und der RKB wiedergegründet. Der RKB | |
Solidarität war eine heute kaum vorstellbare Macht, „stärker als die | |
bürgerlichen Radsportverbände zusammen“, sagt der Historiker Ralf Beduhn, | |
dessen Standardwerk „Rote Radler“ von 1982 jetzt wiederaufgelegt wurde. | |
329.000 Mitglieder waren es 1930, davon 45.000 Frauen. 1896 gründete sich | |
der Verband in Offenbach, unter anderem weil Arbeitern „der Beitritt in die | |
bereits bestehenden radsportlichen Verbände immer mehr erschwert oder | |
unmöglich gemacht wird“. Alles, was mit bürgerlichem Rekordstreben | |
verbunden war, galt im Arbeitersport als höchst suspekt. | |
„Arbeitersport, das ist für mich am ehesten das, wozu man heute | |
Breitensport sagt“, meint Jana Pfann. Für sie sei es schon wichtig, Rekorde | |
zu fahren und Wettbewerbe zu gewinnen, sagt sie, „aber ich finde es | |
trotzdem schön, wenn manche den Sport nur aus Freude machen wie ich zum | |
Beispiel Volleyball“. | |
Milena Slupina ist schon länger dabei. 2017, 2019 und 2021 wurde sie | |
Weltmeisterin im Einer-Kunstrad, 2018 Vizeweltmeisterin, Europameisterin, | |
mehrfache Deutsche Meisterin ist die 27-Jährige vom TSV Bernlohe bei Roth | |
in Franken. Ihre aktive Karriere hat sie gerade beendet, nun fängt sie für | |
den RKB Solidarität als Co-Bundestrainerin an. Auch für sie hat das, was | |
beim Wort Arbeitersport mitschwingt, heute keine große Bedeutung mehr. „Ich | |
selbst bin ja im Leistungssport gelandet“, sagt sie. „Doch ich erlebe in | |
den Vereinen und im Verband, dass es beides gibt: dass die gefördert | |
werden, die das Beste aus sich herausholen wollen, aber dass es auch | |
Breiten- und Freizeitsport gibt. Die Kombination macht’s.“ | |
## Sieg im Saal | |
Schon in den zwanziger Jahren hat sich nur eine Minderheit der Mitglieder | |
auf Wettkämpfe orientiert: 1 bis 2 Prozent im Straßen- und Bahnradsport, | |
etwa 10 Prozent im Saalrad. Schwerpunkt des RKB Solidarität waren | |
gemeinsame Ausfahrten und linke Politik. In Offenbach errichteten die | |
Arbeitersportler die genossenschaftlich organisierte Fahrradfabrik | |
Frischauf, um Räder erschwinglich zu machen. Eine Notfallunterstützung | |
für Arbeitslose wurde aufgelegt, günstige Wohnungen wurden gebaut. Auch | |
verkehrspolitische Initiativen gingen von dem Verband aus: Schon 1926 | |
wurden Radwege gefordert, und als 1928 eine Fahrradsteuer drohte, | |
protestierte der RKB. „Im Grunde war der RKB vor 1933 der heutige ADFC plus | |
Klassenkampf“, sagt Beduhn, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club von | |
heute fehle indes ein gesellschaftspolitisches Profil. | |
Während Spitzensportlerinnen wie Jana Pfann und Milena Slupina den RKB | |
gerne leistungssportlicher ausgerichtet sähen, kritisiert Ralf Beduhn den | |
Verband von der anderen Seite: „In den achtziger Jahren hat die Soli die | |
Riesenchance verpasst, sich massiv in Fahrradtouristik einzubringen.“ Den | |
damaligen Fahrradboom hätte man nutzen müssen, auch wegen der Umwelt. „Aber | |
die Funktionäre haben auf ihren Saalradsport gesetzt.“ | |
Straßen- und Bahnradsport, die medial deutlich besser aufgestellten Sparten | |
dieses Sports, werden beim RKB schon lange nicht mehr betrieben. Darum | |
kümmert sich die bürgerliche Konkurrenz vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR). | |
Was es an Spitzensport beim RKB gibt, ist [4][Radpolo, Kunstrad, Radball] | |
und der Rollsport auf Rollschuhen. „Es ist kein Fehler, Saalradsport | |
anzubieten, aber es ist ein Fehler, sich darauf zu fokussieren“, sagt | |
Beduhn. „Das ist eine Orchideensportart.“ Die war es allerdings schon in | |
den zwanziger Jahren, aber bei der 1. [5][Arbeiterolympiade] 1925 in | |
Frankfurt am Main gehörten Kunstradfahren und Radball ganz | |
selbstverständlich zum Programm. Nach 1933 gingen etliche RKBler in den | |
Widerstand. Die Fahrradfabrik Frischauf, in der auch Motorräder hergestellt | |
wurden, wurde von den Nazis 1933 beschlagnahmt. | |
Die SS klaute dort etwa 500 Motorräder und Tausende Fahrräder, auch die | |
Bestände der verbotenen RKB-Vereine wurden geplündert. Die Räder gingen an | |
Vereine des BDR, der im Deutschen Radfahrer-Verband aufgegangen war. Viele | |
Eisenbahn-, Post- und Polizeisportvereine und auch SS, SA und Hitlerjugend | |
gründeten schnell Radabteilungen und gelangten so kostenlos an Räder. | |
## Zoff mit dem Sport-Bund | |
1945 verbot der Alliierte Kontrollrat alle Sportvereine in Deutschland. | |
Doch wie bedeutend der RKB Solidarität war, zeigt diese Episode: Weil noch | |
massenhaft Briefmarken mit Adolf-Hitler-Porträt rumlagen, wurde eine | |
Teilauflage mit dem Wappen des „ARB Solidarität“ überdruckt. Erst jüngst | |
fand ein RKB-Mitglied, das auch Philatelist ist, diese seltenen Drucke. | |
Der BDR hingegen hatte für eine Wiederzulassung besonders schlechte Karten: | |
Sein Präsident von 1938 bis 1945, Viktor Brack, wurde als einer der | |
Organisatoren der Euthanasieprogramme 1948 hingerichtet. Dennoch: Im Jahr | |
1948 gründete sich der BDR neu. Im Sport ging es mit der Restauration | |
schneller als anderswo. | |
Unter den Arbeitersportlern votierte die Mehrheit für den Einheitssport: | |
die bürgerlichen Fachverbände auf der einen, Landessportbünde, die als | |
demokratisches Regulativ wirken sollen, auf der anderen Seite. Anders als | |
bei den Arbeiterturnern oder -fußballern setzte man beim RKB jedoch auf | |
Wiedergründung des alten Verbands – und hatte sofort die Konkurrenz des BDR | |
am Hinterrad. Mehrfach versuchte der RKB, in den Deutschen Sportbund (DSB) | |
aufgenommen zu werden. 1954 lehnte der Bundesgerichtshof das ab. Dabei | |
hatte der RKB Solidarität damals ähnlich viele Mitglieder. Das änderte sich | |
bald, und 1967 drohte der BDR-Präsident den RKB-Kollegen sogar: Sie sollten | |
sich „bedingungslos unterwerfen“, und: „Zugeständnisse werden nicht mehr | |
gemacht.“ | |
Erst 1977 zwang der Bundesgerichtshof den DSB, endlich den RKB Solidarität | |
aufzunehmen, und zwar als „gleichberechtigten Sportfachverband“. Ein großer | |
Erfolg. Aber, sagt der Historiker Beduhn, „der RKB hat die Chance nicht | |
genutzt, sondern sich als ‚Verband mit besonderer Aufgabenstellung‘ | |
zufriedengegeben“. Viele RKB-Sportler seien zum BDR übergetreten. | |
Mittlerweile hat der RKB etwa 40.000 Mitglieder, der BDR mehr als 140.000. | |
## „Eher ein Freizeitverband“ | |
Die Beziehungen zwischen BDR und RKB sind bis heute angespannt. Der BDR | |
vertritt den deutschen Radsport international, und über das Verhältnis zu | |
den Arbeitersportlern teilt eine Sprecherin der taz mit: „Der RKB ist – | |
außerhalb des Hallenradsports – doch eher ein Freizeitverband.“ Im | |
Hallenradsport aber beruft jeder Verband seinen eigenen Kader, stellt seine | |
eigenen Bundestrainer ein und unterhält eigene Bundesstützpunkte. C- und | |
B-Trainer werden von jedem Verband selbst ausgebildet, und wer den | |
hochwertigen A-Trainerschein machen will, muss sich an den BDR wenden. Und | |
wenn eine EM oder WM ansteht? „Es werden – bei entsprechendem | |
Leistungsnachweis – auch Sportler des RKB für internationale Wettkämpfe | |
berücksichtigt“, teilt der BDR mit. | |
Über Pfanns Europameistertitel hieß es dann in einer BDR-Pressemitteilung, | |
sie habe Gold „für den BDR“ gewonnen. Pfann findet es schade, dass dort | |
nicht erwähnt wurde, dass in ihrem Wettbewerb Gold und Silber an | |
RKB-Sportlerinnen gingen. Auch dass der BDR nichts repostet hat, was die | |
RKB-Sportler auf Instagram geschrieben haben, bedauert sie. | |
Von manchen hört man, dass der BDR die Sportler, auch die in der Halle, | |
besser fördere. Kein Wunder, sagt der Kritiker Ralf Beduhn: „Der BDR hat | |
wesentlich mehr Finanzmittel, sein Zugpferd ist der Radrennsport, das sind | |
nicht die Kunstradfahrer.“ Die jährlichen Bundesmittel für den | |
Hallenradsport betragen gerade mal 26.000 Euro. | |
Dass die viel zu geringe öffentliche Beachtung ihrer Sportart aber an der | |
Konkurrenz der zwei Verbände liegt, glauben weder Jana Pfann noch Milena | |
Slupina. „Hallenradsport ist nicht olympisch“, nennt Slupina einen Grund, | |
so habe der Sport nicht einmal alle vier Jahre die Möglichkeit, sich einem | |
großen Publikum zu präsentieren. „Ein weiterer Grund könnte sein, dass wir | |
reine Amateure sind.“ Slupina selbst arbeitet in Vollzeit als | |
Maschinenbauingenieurin. | |
Jana Pfann klagt: „Es wird leider immer weniger. Man merkt es auch an | |
anderen Nationen, da gibt es kaum noch Kunstradfahrer. Nur noch Deutsche, | |
Schweizer und Österreicher.“ Sie hofft auf die WM 2023 in Glasgow. Die wird | |
erstmals als Multiradsport-WM ausgetragen: Straße, Bahn, BMX, Mountainbike, | |
Paracycling und eben auch der gesamte Hallenradsport. „Vielleicht fallen | |
wir da stärker auf.“ | |
Das ist die eine Hoffnung für die Zukunft des Arbeitersports. Die andere | |
formuliert Ralf Beduhn. „Ob der RKB Solidarität seine weitere Existenz | |
sichern und wieder an Bedeutung zulegen kann, wird davon abhängen, ob man | |
in der Lage ist, die Tür aus der Kunstradsport-Halle aufzustoßen und | |
mitzumischen in der Sphäre des Freizeitsports und der Radtouristik.“ | |
5 Aug 2022 | |
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