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# taz.de -- Alltag in der Westukraine: Der stillere Krieg im Westen
> Im ukrainischen Uschhorod wurden nach Kriegsbeginn Symbole russischer
> Kultur aus dem Stadtbild entfernt. Statt ihrer wird nun Gefallener
> gedacht.
Bild: Das zerstörte sowjetische Denkmal für die Befreier in Uschdorod im Nove…
Uschhorod taz | Es herrscht Krieg, aber es ist ein stillerer Krieg als im
Rest der Ukraine. In der Region Transkarpatien, im äußersten Westen des
Landes, benannt nach dem Karpatengebirge, gibt es keine nächtliche
Ausgangssperre – nur ein einziges Mal schlug hier tatsächlich ein
russisches Geschoss ein, andere konnten von der Luftabwehr erfolgreich
abgefangen werden. Sirenen sind dennoch immer wieder zu hören, seit
Kriegsbeginn ertönte fast 550 Mal Luftalarm.
Die Hauptstadt von Transkarpatien, Uschhorod, liegt unmittelbar an der
slowakischen Grenze und nahe der ungarischen, nach Rumänien und Polen ist
es ebenfalls nicht weit. Auf den Straßen hört man Gespräche auch auf
Russisch, denn viele Binnengeflüchtete aus frontnahen Gebieten sind nach
der russischen Großinvasion hierher gezogen. Früher lebten in Uschhorod
115.000 Menschen, jetzt sollen es wie in der gesamten Region etwa ein
Drittel mehr sein.
Neben einer großen ungarischen Minderheit leben in Transkarpatien auch
Russ*innen, Rumän*innen, Slowak*innen, Romn*ja und Rusin*innen – eine
slawische Ethnie aus den Karpaten. Früher gehörte Transkarpatien zum
Königreich Ungarn, in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg
war es Teil der Tschechoslowakei, dann fiel es an Ungarn und nach 1945
schließlich an die Sowjetunion. Seit 1991 gehört die Region [1][zur
unabhängigen Ukraine], die Russland gerade zu vernichten gedenkt.
Einst stand im Zentrum von Uschhorod wie in vielen Orten [2][der
Sowjetunion] eine Büste des russischen Nationaldichters Alexander Puschkin.
Jetzt ist nur noch ein leerer Sockel mit seinem Namen geblieben, das
Standbild wurde anderthalb Monate nach Beginn der russischen Großinvasion
abgerissen. Es ist verständlich, dass die Menschen sich hier mitten im
Krieg nicht mehr als Teil der russischen Welt verstehen und keine Symbole
ihrer in Teilen imperialen Kultur dulden möchten.
## Vom Sockel geholt
Kurz vor dem Abriss versuchten sie sich dieser Symbolik noch durch
ironische Umwidmung zu entledigen: Die Puschkin-Statue wurde mit dem Namen
des amerikanisch-französischen Musikers Joe Dassin versehen, dessen Familie
aus Odessa stammt und der äußerlich eine erstaunlich große Ähnlichkeit mit
dem Dichter aufweist.
Puschkins Landsmann Lenin wurde bereits im ersten Jahr der Unabhängigkeit
der Ukraine von seinem Sockel geholt. Der Bronze-Lenin lagerte dann bis
2010 in einer schäbigen Garage, bis es hieß, er solle eingeschmolzen und
als der griechisch-katholische Priester Andreas Bacsinsky
wiederauferstehen. Dazu kam es aber bislang nicht.
Ungleich ernster wird es, wendet man sich der symbolischen Ebene ab und den
Toten der Stadt zu. Im Zentrum von Uschhorod sind zahlreiche
Metallkonstruktionen mit ukrainischen Flaggen aufgestellt, auf jeder der
über den Metallstäben gespannten Planen wird der toten Soldaten aus
Uschhorod gedacht, die fielen, als sie ihr Land verteidigten. Einer von
ihnen ist der DJ und Musiker Maksym Naumenko, bekannt in der Uschhoroder
Szene. Er kommt ursprünglich aus Donezk und flüchtete 2014 mit seiner
Familie vor der russischen Aggression im Donbas hierher.
## Angst vor der Einberufung
Zu Beginn der Großinvasion meldete er sich freiwillig zum Dienst an der
Waffe und starb im Einsatz, ausgerechnet in seiner Heimatregion Donezk. Ein
Rekrutierungszelt der Nationalgarde wirbt mit „Ehre, Tapferkeit, Gesetz“.
Viele Männer sind schon bei der Armee. Die, die es noch nicht sind,
überlegen sich, wie sie sich zum Militärdienst melden, ohne ihr Leben allzu
sehr zu gefährden.
Die Angst vor dem Einberufungsamt, dem TZK, ist allgegenwärtig. In einer
Bar werden junge Männer vom Personal gewarnt und gefragt, ob sie eine
Bescheinigung bei sich tragen, die sie vom Dienst freistellt, denn das TZK
komme öfter vorbei. Man hört, dass einige kaum ihre Wohnungen verlassen aus
Angst, eingezogen zu werden.
Es herrscht Krieg in unterschwelliger Form. Er mag physisch und psychisch
weniger belastend sein als in den anderen Regionen, aber er ist deutlich
spürbar. Und es ist unsäglich, dass in Deutschland Politiker*innen
nicht nur der extremen Rechten oder autoritären Linken, sondern auch aus
der politischen Mitte regelmäßig mit populistischer Rhetorik gegen
Kriegsopfer aus diesem Landesteil auf Stimmenfang gehen.
29 Oct 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Yelizaveta Landenberger
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