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# taz.de -- Rechtsruck in den Niederlanden: „Wilders drückt der Regierung sp…
> Die Politikwissenschaftlerin Léonie de Jonge über die Asylpolitik der
> niederländischen Regierung und den Einfluss des Rechtspopulisten Geert
> Wilders.
Bild: Der Rechtspopulist Geert Wilders tritt 2023 in Den Haag auf einer Demonst…
taz: Die neue radikal rechte Regierung der Niederlande hat angekündigt, das
„strengste Asylregime aller Zeiten“ einzuführen. Was meint sie damit?
De Jonge: Geplant ist unter anderem, die Gültigkeit einer Asylerlaubnis von
fünf auf drei Jahre zu verkürzen und die unbefristete
Aufenthaltsgenehmigung für Asylbewerber ganz abzuschaffen. Auch die
Möglichkeit zur Familienzusammenführung soll eingeschränkt werden.
[1][Zudem plant die Regierung, Teile Syriens zu sicheren Gebieten zu
erklären], um so die Rückführung von Flüchtlingen dorthin zu ermöglichen.
Es sind auch verschärfte Grenzkontrollen vorgesehen, um illegal eingereiste
Migrantinnen und Migranten, darunter Asylsuchende, die bereits anderswo in
Europa Asyl beantragt haben, an den Landesgrenzen abzufangen und umgehend
nach Deutschland oder Belgien abzuschieben. Damit liegen die Niederlande
derzeit ‚im Trend‘ – auch Deutschland und Frankreich haben ja solche
Kontrollen eingeführt.
taz: Die Regierung wollte eigentlich wegen der angeblichen „Asylkrise“ den
Notstand ausrufen, sieht nun aber davon ab.
De Jonge: Ja, eine der Regierungsparteien, die NSC, [2][hatte große
Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit eines solchen Notstands].
Denn damit könnte die Regierung Maßnahmen ohne parlamentarische Zustimmung
anordnen. Zwar verzichtet sie nun auf das Notstandsgesetz und wird den
parlamentarischen Weg beschreiten müssen. Dafür plant die Regierung, die
bislang härteste Asylpolitik durchzusetzen.
taz: Es scheint, als gäbe der Rechtspopulist Geert Wilders die Richtung an
– obwohl er gar nicht Regierungschef ist.
De Jonge: Ja, er trägt keine Regierungsverantwortung, aber drückt der
Regierung spürbar seinen Stempel auf. Wilders kann sich als Außenseiter
gerieren, aber zugleich mitbestimmen. Einfluss bekommt er über die
Minister, die seine Partei stellt. In Wilders’ Partei PVV ist er das
einzige Mitglied. Deshalb kann er sich seine Minister allein aussuchen. Er
rekrutiert sie aus einer Gruppe von Loyalisten, die ihm treu ergeben sind.
taz: Die PVV hat 37 von 150 Sitzen im Parlament. Wieso kooperieren die
anderen Parteien nicht, um Wilders von der Macht fernzuhalten?
De Jonge: Das ist die Eine-Million-Euro-Frage. Hier zeigen Leute immer
wieder auf die AfD und sagen: „Das ist eine rechtsextreme Partei!“ Bei
Wilders ist das anders. Er sitzt schon seit über 20 Jahren im Parlament,
jeder kennt ihn. Deshalb ist er schon normalisiert und wird nicht als
rechtsextrem gesehen.
taz: Teilen Sie diese Einschätzung?
De Jonge: Nein. Zwar gibt es organisatorisch bedeutende Unterschiede – die
PVV hat keine Parteimitglieder und keine Kontakte zum rechtsextremen Milieu
-, aber inhaltlich ähneln die Parteien sich stark. Legt man die
Parteiprogramme von AfD und PVV nebeneinander, steht fast das Gleiche drin.
Wilders hat sich zwar immer ganz deutlich von Gewalt distanziert, vertritt
aber eindeutig antidemokratische Inhalte. Dass er den Koran verbieten und
alle Moscheen schließen lassen will, steht im Widerspruch zur
niederländischen Verfassung.
taz: Trotzdem wurde die PVV bei der letzten Wahl erstmals stärkste Kraft.
2021 bekam Wilders rund 10 Prozent der Stimmen, 2023 waren es plötzlich
23,5 Prozent. Was ist da passiert?
De Jonge: Zählt man alle Stimmen für die radikal rechten Parteien zusammen,
kamen sie schon vorher in Richtung der 20 Prozent. Bei der letzten Wahl
[3][gelang es Wilders, die allermeisten Stimmen des radikal rechten
Wählerblocks zu gewinnen]. Die liberalkonservative VVD, die mit Mark Rutte
den letzten Ministerpräsidenten gestellt hat, trug ihren Teil dazu bei.
taz: Inwiefern?
De Jonge: Sie hat vor der letzten Wahl erstmals bekundet, dass sie über
eine Koalition mit Wilders’ PVV nachdenkt. Der Wählerschaft wurde so
signalisiert, dass die PVV eigentlich regierungstauglich ist. Die meisten
neuen Wähler hat sie dann auch tatsächlich von der VVD hinzugewonnen.
taz: Woher kommt der Erfolg der Rechtsaußen-Parteien?
De Jonge: Schaut man sich den Wählermarkt an, hat nicht plötzlich ein
Viertel der Niederländer rechtsextreme Haltungen. Die Positionen zu
Migration in der Gesellschaft haben sich in den letzten 20 Jahren kaum
verändert. Unterschiede sieht man dagegen auf der Angebotsseite. Das Thema
Migration wird von radikal rechten Parteien politisiert und mit anderen
Themen wie der Wohnungskrise verknüpft. Um Wähler zurückzugewinnen,
sprechen auch Mitte-Rechts-Parteien darüber. Die Linken schaffen es
wiederum nicht, ihre Themen zu setzen. So wird Migration zum bedeutendsten
Wahlkampf-Thema, und damit punktet Wilders.
taz: Sie haben gesagt, Wilders ist sehr normalisiert. Wie hat er das
geschafft?
De Jonge: Er ist ein cleverer Politiker, der sich wie kein anderer auf
Stimmungen einstellen kann. Ihm ist es sehr erfolgreich gelungen, eine
mildere Version von sich selbst zu präsentieren. Dabei haben ihm
insbesondere die anderen Parteien und die Medien geholfen. Sie nannten ihn
auf einmal „Geert Milders“, weil er sich von seinen Islam-Standpunkten
distanziert hat – obwohl diese Distanzierung nicht glaubwürdig ist. Kurz
vor den Wahlen gab es etwa eine umstrittene Jugendnachrichten-Sendung, in
der Wilders in einem Tierheim mit kleinen Kätzchen spielt. Nicht umsonst
hat er auch einen Twitter-Account für seine Katzen.
taz: Wie sollten Journalisten mit Rechtspopulisten reden?
De Jonge: Ich habe keine Anleitung, kann aber erklären, was sie in den
Niederlanden falsch gemacht haben. Vor 2000 gab es eine klare Ausgrenzung
radikal rechter Parteien. Nach dem Attentat auf Pim Fortuyn 2002 haben die
Medien dann versucht, den „Angry Dutch Man“ zu Wort kommen zu lassen.
Seitdem ist es gängig, dass wirklich alle Parteien und Strömungen gehört
werden müssen, egal wie radikal sie sind. Die meisten Medien hierzulande
finden, dass es am Wähler und der Wählerin ist, sich selbst ein Bild zu
machen. [4][Deshalb werden medial keine Grenzen gesetzt].
taz: In Deutschland haben sich viele nach dem Wahlsieg von Wilders die
Augen gerieben. Hier sieht man die Niederlande immer noch als ein sehr
tolerantes und liberales Land. War das schon immer ein Mythos?
Das war immer ein Klischee, aber die Niederländer haben es selbst gerne
bedient. Dieses Bild der Toleranz ist eher ein Nationalmythos, der noch aus
der Seefahrergeschichte kommt. Ich kenne jedenfalls keine Daten, die
nahelegen, dass die Leute hier wirklich weltoffener oder toleranter sind.
taz: Haben sie Angst, Ihr Land unter der neuen Regierung bald nicht mehr
wiederzuerkennen?
De Jonge: Ich mache mir große Sorgen. Wir wissen nicht, wo das hinführen
wird. Die Normalisierung rechtsradikalen Gedankenguts geht noch schneller
voran als bisher. Mittlerweile ist etwa die Verschwörungstheorie vom
„[5][Großen Austausch]“ gang und gäbe im Parlament. Viele Leute haben das
Gefühl, sie könnten endlich mal alles sagen, was sie wollen. Sie verbreiten
dann ungefiltert rechtsextreme Ideen – die schon gar nicht mehr als
rechtsextrem angesehen werden!
taz: Wie sollen die Niederlande da wieder rauskommen?
De Jonge: Das wird ein wirklich langer und harter Weg. Mit der liberalen
Demokratie ist es wie mit einem Garten: Man muss sie gießen, damit sie
nicht eingeht. Es ist die Aufgabe der Oppositionsparteien und der
Zivilgesellschaft, als Hüter der liberalen Demokratie einzutreten. Die
Medien wiederum sollten Haltung zeigen, bevor sie sich noch selbst
abschaffen. Und man muss immer betonen: Stimmen 25 Prozent der Niederländer
für Rechtsaußen-Parteien, tun es 75 Prozent nicht. Die Rechtspopulisten
sind nicht in der Mehrheit.
1 Nov 2024
## LINKS
[1] /Neue-Regierung-in-den-Niederlanden/!6044899
[2] https://www.volkskrant.nl/binnenland/wilders-geeft-noodwet-alsnog-op-streng…
[3] /Rechtsruck-in-Niederlanden/!5974954
[4] /Debatte-Rechtspopulismus-in-Europa/!5385568
[5] /Rechtsextreme-Verschwoerungserzaehlung/!5853428
## AUTOREN
Nico Preikschat
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