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# taz.de -- Wahlen in Georgien: Ein SOS von der Straße
> Zehntausende protestieren in Georgien gegen den zweifelhaften Wahlsieg
> der Regierung. Doch wie können sie den mutmaßlichen Betrug beweisen?
Bild: Am 28. Oktober protestieren Menschen in Tiflis gegen die offziellen Ergeb…
TBILISSI taz | Die Wahl war betrügerisch. Ihr dürft die Hoffnung nicht
verlieren und müsst weiter kämpfen, um eure Stimmen zu schützen“, sagt die
[1][georgische Präsidentin Salome Surabischwili] am Montagabend vor dem
Parlamentsgebäude in Tbilissi. Zuvor hatte sie die Bevölkerung aufgerufen,
friedlich auf die Straße zu gehen. Tausende Menschen versammelten sich auf
dem Rustaweli-Boulevard mit georgischen und EU-Fahnen. Zehntausende sind es
im gesamten Land.
„Die Regierung hat eure Stimme gestohlen und versucht nun, eure Zukunft zu
stehlen“, ruft die Präsidentin und verspricht, auf ihren Weg nach Europa
auf ihrer Seite zu stehen. Jetzt erst mal stehen neben ihr die
Oppositionspolitiker:innen, einer nach dem anderen von ihnen tritt ans
Mikrofon und schreit sich die Seele aus dem Leib: „Wir werden diese
schmutzigen Wahlen nicht anerkennen“ und „Es wird keine Verhandlungen mit
der Regierung geben“. [2][Nach der Auszählung fast aller Stimmen für die
Parlamentswahl hatte die Wahlkommission die Regierungspartei Georgischer
Traum mit 53,9 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt. Das prowestliche
Oppositionsbündnis kam demnach auf knapp 37,7 Prozent.]
Giorgi Vaschadse, einer der Anführer der „Einheits-Nationalen Bewegung“,
sagt, dass die Opposition diesem Parlament nicht beitreten und auf alle
Mandate verzichten werde. Er fordert neue Parlamentswahlen, nicht unter der
georgischen Wahlkommission, sondern unter einer internationalen
Wahlbehörde.
Die Menschen applaudieren. Sie stehen so dicht beieinander, dass ein
Durchkommen kaum möglich ist. Eine Frau hält ein Plakat in die Höhe. Darauf
stehen nur drei Buchstaben: SOS. „An alle gerichtet“, sagt sie. „Die EU
darf uns nicht im Stich lassen, wir wollen nicht zum Satelliten Russlands
werden.“
## Moskau und Orbán sehen keine Manipulationen
Die zynische Reaktion aus Moskau dauerte nicht lange. Der stellvertretende
Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates und ehemalige Präsident und
Ministerpräsident Russlands, Dmitri Medwedew, nahm die georgische
Präsidenten Salome Surabischwili ins Visier: „Die Marionettenpräsidentin
von Georgien weigerte sich, die Wahl anzuerkennen, und rief
verfassungswidrig zu einem Staatsstreich auf. In solchen Fällen ist eine
Amtsenthebung und Verhaftung Standard“, schrieb er auf seinem
englischsprachigen Account im sozialen Netzwerk X (früher Twitter), das
allerdings in Russland gesperrt ist. Der Abgeordnete der Staatsduma und
Mitglied des Sicherheitsausschusses, Michail Scheremet, forderte das
georgische Volk auf, nicht zuzulassen, dass sich der Westen in die inneren
Angelegenheiten seines Landes einmischt, um das „bittere Schicksal“ der
Ukraine zu wiederholen.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gratulierte seinem
georgischen Amtskollegen Irakli Kobachidse erneut während einer
gemeinsamen Pressekonferenz in Tbilissi am Dienstag. In seiner Rede
erklärte er, dass in Georgien „demokratische und freie Wahlen abgehalten
wurden“ und dass es zwar Streitigkeiten in Europa geben würde, das
georgische Volk diese aber nicht ernst nehmen sollte.
Bei der Demonstration am Montagabend wehen auch ukrainische Fahnen. Taso
Gomelauri hat, wie sie sagt, eineinhalb Stunden Zeit, um den Protesten am
Rustaweli-Boulevard beizuwohnen. Ihre zwei kleinen Kinder hat die
32-Jährige dafür bei ihrem Lebenspartner gelassen: „Wenigstens einer von
uns kann heute hier sein, für die Zukunft unserer Kinder“.
Für sie ist der europäische Weg ihres Landes alternativlos. „Ich will nicht
nach russischen Gesetzen leben – unter Angst und Zensur“, sagt Gomelauri,
die als Keramikkünstlerin arbeitet. „Ich stehe heute hier, um auch gegen
höhere Preise im Supermarkt und korrupte Bildungssysteme zu protestieren.
Erst wenn dieses oligarchische politische System gestürzt ist, wird sich
etwas ändern“, sagt sie.
## Mehr Beweise gesucht
Auf der Bühne danken die Oppositionsführer den Protestierenden und fordern
sie auf, neue Beweise für die Wahlfälschungen zu sammeln. Denn viele aus
der Zivilgesellschaft haben ehrenamtlich als Wahlbeobachter gearbeitet.
Ein älterer Mann hat bereits das Dokument eines Wahlkomitees bei sich, auf
dem die Anzahl der Wähler in einem Bezirk vermerkt ist. Diese Zahl beträgt
nur die Hälfte von denen, die in der Region angeblich für den Georgische
Traum stimmten. Ob das was bringt? Er lacht und zuckt mit den Schultern.
Internationale und lokale Beobachter sowie oppositionelle und unabhängige
Medien haben bereist zahlreiche Beweise für Wahlmanipulationen vorgelegt.
Am Dienstag teilte die Wahlkommission mit, einen Teil der Stimmen neu
auszuzählen, in etwa 14 Prozent der Wahllokale, die landesweit zufällig
ausgesucht werden sollen.
Eine Gruppe georgischer Wahlbeobachter hatte zudem am Montag erklärt,
Beweise für einen komplexen und groß angelegten Betrug entdeckt zu haben.
„Diese Manipulation fand ausschließlich in ländlichen Gebieten statt, und
wir können sagen, dass die Regierungspartei Wahlbetrug begangen hat“,
[3][erklärte der Datenanalyst Levan Kvirkvelia auf X.]
Wie es weitergeht, wird auch von der Opposition abhängen. Ein
Hoffnungsschimmer ist die derzeitige Einigkeit im Oppositionslager,
unabhängig von den politischen Differenzen und persönlichen Beziehungen.
„Unser Kampf geht weiter“, sind an diesem Abend die letzten Worte von der
Bühne, bevor die Klänge der Europa-Hymne sie verstummen lassen. (mit
Material von afp)
29 Oct 2024
## LINKS
[1] /Georgiens-Praesidentin-ueberstimmt/!6012546
[2] /Wahlen-in-Georgien/!6045089
[3] https://x.com/LevanKvirkvelia/status/1850761181599858792
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
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