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# taz.de -- Krieg in Gaza: Die nackte Angst vor der letzten Nacht
> Einst bot die Nacht unserem Autoren aus Gaza Momente des Friedens. Doch
> vor einem Jahr haben sich die dunklen Stunden in einen Alptraum
> verwandelt.
Bild: Israelischer Angriff auf einen Zeltbereich im Hof des Al-Aqsa-Märtyrer-K…
Wenn ein Kind geboren wird, entscheidet das Leben, wie lange es leben und
wie viele Nächte es schlafen wird. Das habe ich seit meiner Jugend
geglaubt. Doch in dem Vernichtungskrieg, in dem wir leben, [1][ändern sich
alle Bedeutungen.] Dinge, die ich am meisten geliebt habe, sind zu einer
brennenden Hölle geworden, aus der es keinen Ausweg gibt.
Einst symbolisierte die Nacht Frieden, Ruhe und Kontemplation. Jeden Abend
saßen wir mit unserer Tochter Ellen auf dem Dach des Hauses und
betrachteten den Sternenhimmel, in dessen Mitte ein großer Mond stand.
Ellen schlief langsam ein, dann gingen wir hinunter, legten sie in ihr Bett
und schliefen in der Dunkelheit der friedlichen Nacht.
Ich erinnere mich gut daran, wie ruhig und klar die letzte Nacht vor
[2][Kriegsbeginn] war. Ich sprach mit meiner Frau über die Zukunft, über
die Beantragung der ägyptischen Staatsbürgerschaft, über Reisen, das neue
Gehalt und wie viel wir davon sparen könnten.
Am Morgen wurden wir von verdächtigen Geräuschen geweckt. In den ersten
Momenten des Morgens war uns nicht klar, dass es die letzte Nacht war, in
der wir gut schlafen würden und wir in einer anderen Realität aufwachen
würden.
## Das Geräusch von explodierenden Ballons
Wir verfolgten sofort die Nachrichtenkanäle und wussten, dass das, was auf
uns zukam, nur als Verwüstung bezeichnet werden konnte. Wann immer meine
Tochter mich nach den Explosionen fragte, während sie vor Angst zitterte,
umarmte ich sie schnell und sagte: „Hab keine Angst, meine Tochter, das ist
das Geräusch von Luftballons, die explodieren, wie die, mit denen du gerne
spielst.“
Die ewige Ruhe und Abgeschiedenheit der Nacht sind zu einem lebendigen
Albtraum geworden und haben sich in einen Kampf mit Angst und Beklemmung
verwandelt. Der Wunsch nach Schlaf ist übermächtig. Denn schlafen – wer
kann das schon noch?
Die Geräusche der Bombardierung wecken uns immer wieder auf. Und so fingen
wir an zu beten: Dass die Sonne in der Mitte des Himmels stehenbleiben,
dass die Nacht niemals kommen möge. Jedes Kind fürchtet, dass dies seine
letzte Nacht sein könnte, und so beschlossen die Kinder, weder Tag noch
Nacht zu schlafen, damit ihr Leben nicht verkürzt würde.
„Aber es gibt Kinder, die gestorben sind“, sagte meine Frau nach einigen
Monaten des Krieges: „Was ist deine Erklärung?“ Ich antwortete: „Sie war…
des Aufwachens müde.“ Jeder von ihnen machte ein kurzes Nickerchen, ohne
Kontrolle über seinen Körper, sodass sich der Tod einschlich, um sie zu
entführen und ihrem Leben und Leiden ein Ende zu setzen.
## Ohne Angst schlafen
Ellen kämpft immer noch gegen die Nacht und ihre Angst. Und immer wenn sie
Bomben hört, sagt sie: „Habt keine Angst … Das ist ein großer Ballon und
sein Geräusch ist laut, nicht wahr, Papa?“
„Das ist richtig, Baba“, sage ich dann: „Wenn die Geräusche der
explodierenden [3][Ballons] verstummt sind, werden wir wieder auf das Dach
gehen und den Mond und die Sterne betrachten und ohne Angst und Sorgen
schlafen.“
In einer dieser Nächte schwiegen wir lange, bevor eine schwere Träne aus
meinen Augen trat. Ich hielt die Hand meiner Tochter und sagte: „Oh Herr,
Vater … Oh Herr.“ Dann schliefen wir zittrig ein und fielen in einen Schlaf
voller Wachsamkeit und Unruhe.
Muhammad Ghoneim ist Schriftsteller und Komponist aus Gaza. Für seine
Kurzgeschichtensammlung „Beyond the Mirrors“ (Jenseits der Spiegel) wurde
er mit dem First Book Award der A. M. Qattan Foundation ausgezeichnet. Er
erhielt außerdem den Najati Sidqi Award.
Internationale Journalist*innen können seit rund einem Jahr nicht in
den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im [4][„Gaza-Tagebuch“]
holen wir Stimmen von vor Ort ein.
14 Oct 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Muhammad Ghoneim
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Israel
Klaus Lederer
Kolumne Gaza-Tagebuch
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