# taz.de -- taz Salon „Angst vor der Apokalypse“: „Man nimmt dem Kampf di… | |
> Der Autor Christian Jakob warnt vor dem Reden von irreversiblen | |
> Kipppunkten. Sie überforderten Menschen und verwischten reale | |
> Unterschiede. | |
Bild: Oft beschworen, aber noch nie eingetreten: die Apokalypse | |
Taz: Szenarien vom Weltuntergang oder dem Ende der Zivilisation sind sowohl | |
bei Rechten als auch bei Linken und Klimaschützer*innen verbreitet. | |
Was ist das Attraktive an der Apokalypse? | |
Christian Jakob: Die absolute Dringlichkeit und die Unmöglichkeit, sich den | |
Konsequenzen zu entziehen. Im Politischen wird immer öfter mit solchen | |
Szenarien operiert, um das eigene Anliegen durchzusetzen. Vor allem | |
[1][Rechtsextreme sind darin erfolgreich]: Sie beschwören den Untergang und | |
behaupten, es gäbe eine allerletzte Chance, das Unheil abzuwenden. Daraus | |
entwächst ein vermeintliches Notwehrrecht. Wem das totale Unheil droht, der | |
ist schließlich legitimiert, es mit allen Mitteln abzuwehren. | |
taz: Die Endzeit-Erzählungen von Klimaschützer*innen hingegen sind | |
nicht so aus der Luft gegriffen. | |
Jakob: Wenn es darum geht, dass natürliche Lebenswelten verschwinden, | |
stimmt das, und es ist legitim darauf hinzuweisen. Wer aber vor dem | |
Aussterben der Menschheit warnt, verwischt die großen Unterschiede in der | |
realen Betroffenheit. Alle werden dann ein großes Opfersubjekt, indem die | |
realen Unterschiede nicht mehr sichtbar sind. Und man nimmt dem Kampf, der | |
nötig ist, um die Verluste einzudämmen, die nötige Kraft. | |
taz: Angst kann auch ein Alarmsignal sein und Menschen aufrütteln. | |
Jakob: Ja. Aber wenn man die Ansprüche an das sofortige Handeln | |
überfrachtet, kann es dazu führen, dass Menschen sich entmutigt fühlen. | |
Wenn man sagt, die nächste Bundesregierung sei die letzte, die noch die | |
Weichen stellen kann zur Eindämmung der Krise, und die Bundesregierung dann | |
nichts unternimmt, führt das zu Frustration und Verzweiflung. | |
taz: Aber wenn es stimmt, ist es doch besser, frühzeitig darauf | |
hinzuweisen. | |
Jakob: Egal wie weit die Krise voranschreitet – es geht ja nicht anders, | |
als an einen Umgang damit zu finden. Außerdem ist der Fatalismus nicht | |
immer berechtigt. Etwa beim „autoritären Kipppunkt“, also der Behauptung, | |
wenn wir jetzt nicht die Notbremse ziehen, haben wir dauerhaften | |
Faschismus. Es gibt viele Fälle, wo wir sehen, dass sich autoritäre | |
Entwicklungen zurückdrängen lassen, etwa in Brasilien oder Polen. Der | |
Schaden ist in der [2][Kipppunkt-Vorstellung aber irreversibel]. Und das | |
kann eine gefährliche Lähmung des Handelns nach sich ziehen. | |
taz: Greta Thunbergs Angst vor der Klimaapokalypse hat Millionen Menschen | |
mobilisiert. Wie viel Angst ist produktiv? | |
Jakob: Das ist nicht allgemein zu sagen. Es braucht eine Balance. Da, wo | |
die Angst so groß wird, dass sich Menschen resigniert zurückziehen, liegt | |
die Grenze. Beim Konsum zu vieler schlechter Nachrichten etwa kann es | |
passieren, dass Menschen versuchen, Nachrichten ganz zu meiden. Dann | |
verabschieden sie sich aus gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und | |
suchen in ihrer Verzweiflung die innere Immigration. | |
taz: Wie schafft man es, handlungsfähig zu bleiben? | |
Jakob: Es hilft, sich von Katastrophenszenarien nicht lähmen zu lassen, | |
sondern auch den Blick für Fortschritte offen zu halten. Zum Beispiel sind | |
die globalen [3][Solarstromkapazitäten in den letzten Jahren nahezu | |
explodiert]. Das war so nicht absehbar. Man wusste zwar schon lange, dass | |
Klimaschutz nötig ist, hat aber fast 40 Jahre so gut wie nichts | |
unternommen. Erst 2018 kam wirklich Schwung in die Sache. Ich glaube das | |
liegt an Greta Thunberg und [4][Fridays for Future]. Das ist auch ein | |
Beweis für politische Handlungsfähigkeit, der wenig gewürdigt wird. | |
19 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Neonazis-im-Internet/!6037587 | |
[2] /Klimaexperte-ueber-Kipppunkte/!5989012 | |
[3] /Photovoltaikausbau-in-Deutschland/!6018468 | |
[4] https://fridaysforfuture.de/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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