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# taz.de -- Ausstellung über NS-Zwangsarbeit: Das Album der Schande
> Ein Fund auf dem Flohmarkt erweist sich als einmalige Fotodokumentation
> der NS-Zwangsarbeit in Griechenland. Nun werden die Bilder in Berlin
> gezeigt.
Bild: Blick in den Ausstellungsraum der Schau „Karya 1943. Zwangsarbeit und H…
Die kleinen Schwarz-Weiß-Fotos auf schwarzem Trägerpapier wirken nicht eben
spektakulär. „Blick vom Meer zur Stadt“ hat der Fotograf die Bilder von der
griechischen Hafenstadt Thessaloniki überschrieben. Sie zeigen Schiffe und
am Wasser gelegene Gebäude. „Hammelbraten am Spieß“ steht unter einem
anderen Bild, darauf vier Männer in sommerlicher Szene. Auf einigen Fotos
sind Uniformträger zu erkennen.
Als Andreas Assael vor mehr als 20 Jahren von einem Flohmarkthändler bei
München das Album mit diesen Bildern angeboten bekommt, ist er nur mäßig
interessiert. Der griechische Ingenieur sammelt Kollektionen wie diese, das
weiß der Verkäufer. „Du Grieche, ich habe etwas für dich“, habe der ihn
angehalten.
Doch an diesem Tag hat Assael schlechte Laune und will kein Geschäft
machen. Aber dann sieht er auf einer der Seiten das Foto einer
Marschkolonne, offenbar Gefangene, und bemerkt, dass sie scheinbar mit
„Judensternen“ marschieren müssen. Assael ist selbst Sohn eines
Holocaust-Überlebenden aus Thessaloniki. Er entscheidet sich zum Kauf. „Ein
paar hundert Euro“, so erinnert er sich, habe er damals bezahlt.
22 Jahre später steht das Album im Mittelpunkt einer [1][Ausstellung im
Berliner Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit]. Uli Baumann von der
Stiftung Denkmal für die ermordete Juden berichtet, wie er erstmals von den
Fotos erfuhr: „Eines Tages erhielt ich einen Anruf vom deutschen
Generalkonsul“, erzählt er. „Da habe jemand einen bemerkenswerten Fund
gemacht, hieß es.“ Es war der Beginn einer ungewöhnlichen Kooperation
zwischen deutschen Gedenkstätten und dem Entdecker des Albums.
## Assael entdeckte eine einmalige Fotodokumentation
Andreas Assaels Familie hat 43 Angehörige im Holocaust verloren. 15 Jahre
lang hat der Ingenieur über die Bilder geforscht und immer wieder neue
Details entdeckt. Anfangs, so sagt er, habe sich in Griechenland niemand
für die Bilder interessiert. Jetzt endlich wird das Album präsentiert. Zur
Eröffnung der Schau im September ist der Entdecker der Bilder extra aus der
Region um Thessaloniki, wo er heute lebt, nach Berlin gekommen.
„Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaust“ lautet der Titel der Ausstellung.
Tatsächlich hatte Assael in München eine einmalige Fotodokumentation
entdeckt. Ein deutscher Ingenieur hat darin die Umstände der Sklavenarbeit
von später größtenteils in Auschwitz ermordeten griechischen Juden
abgebildet.
Hans Rössler hieß der Mann, der 1930 in die NSDAP eingetreten war und der
ab 1942 im deutsch besetzten Teil Griechenlands als Mitarbeiter einer
Baufirma für die Organisation Todt tätig war. Das war eine paramilitärische
Nazi-Bautruppe, die den Namen ihres Chefs Fritz Todt trug. Rösslers Firma
leitete ein gewisser Josef Langbeil. Sogar über den 1969 Verstorbenen fand
Assael noch Dokumente – erneut auf einem deutschen Flohmarkt.
Die Bilder zeigten „einen von Zehntausenden Tatorten in Europa“, sagt die
Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide,
Christine Glauning, bei der Eröffnung. Es sind Fotos aus Sicht der Täter.
Rössler interessierte sich vor allem für den Baufortschritt, gewiss auch
für die Schönheiten des Landes, aber weniger für die versklavten Menschen.
## Viele starben bei der schweren Arbeit
Tatsächlich war Assaels erster Eindruck richtig. Auf einem der Bilder ist
mit der Lupe erkennbar, dass die Männer einer Marschkolonne „Judensterne“
tragen mussten. Aber was ist auf den anderen Fotos zu sehen? Und wo wurden
die Bilder überhaupt gemacht?
Andreas Assael ging daran, die Fotos zu entschlüsseln. Es gab nur wenige
schriftliche Angaben in der Sammlung. Die Bilder waren in der falschen
Reihenfolge eingeklebt. Im Album ist von einem „Bahnbau in Karia“ die Rede.
Assael fand heraus, dass der Ort an der wichtigen Bahnlinie von Athen nach
Thessaloniki zwischen zwei Tunneln liegt.
Er fand sogar drei jüdische Überlebende, die ihm von den Qualen dort
berichten. Die Deutschen verlangten 1943 den Bau eines Ausweichgleises auf
der militärisch wichtigen Strecke. Dazu sollte ein Teil eines Hügels
abgetragen werden – 24.000 Kubikmeter Stein mussten in Handarbeit bewegt
werden. Viele der Männer starben bei der schweren Arbeit.
„Es gab für jeden von uns eine leere Konservendose als Essgeschirr und eine
weitere zum Pinkeln, denn nachts durften wir die Baracke nicht verlassen“,
erinnerte sich Sam Nachmias. Ein anderer Zwangsarbeiter gab zu Protokoll:
„Das Leben dort war schrecklich. Es gab wenig zum Essen, man musste
andauernd hart arbeiten, 12 Stunden am Tag.“ Karya liegt abseits von
Siedlungen. Die 300 bis 500 Arbeiter waren in einem streng bewachten
Barackenlager untergebracht. Ein Zwangsarbeiter entkam. Er konnte sich bei
einer christlichen griechischen Familie verstecken.
Heute ist der Bahnhof Karya das, was man einen „lost place“ nennt. Die
modernisierte Eisenbahnstrecke nimmt inzwischen einen anderen Verlauf und
die alte Linie ist seit 2019 geschlossen. Die Gleise verrosten, die wenigen
Überbleibsel des Bahnhofs verschwinden.
Wissenschaftler der Universität Osnabrück haben in Karya nach Artefakten
der Zwangsarbeiter gesucht und neue Bilder von den alten Standpunkten des
damaligen Fotografen Rössler aus gemacht. Das ergibt in der Ausstellung
eine Multimedia-Schau mit sich ergänzenden alten und aktuellen
Perspektiven, die die damalige Situation anschaulich machen. Informationen
zur Lage der Juden im deutsch besetzten Griechenland ergänzen die Bilder
aus dem Album.
Wohl im Juli 1943 endete die Arbeit in Karya; bereits im März hatten die
großen Deportationen der griechischen Jüdinnen und Juden nach Auschwitz
begonnen. Auch die meisten der Zwangsarbeiter aus Karya entgingen diesen
Verschleppungen nicht. Kaum einer kehrte zurück. Mehr als 58.000
griechische Jüdinnen und Juden fielen dem Holocaust zum Opfer.
Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaust. Dokumentationszentrum
NS-Zwangsarbeit, Berlin-Schöneweide. Bis zum 30. März 2025, Eintritt frei.
Ein Katalog erscheint voraussichtlich 2025
23 Oct 2024
## LINKS
[1] https://www.ns-zwangsarbeit.de/ausstellungen/karya-1943/
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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