# taz.de -- Schädel von Indigenem aus Chile: Eine halbe Rückgabe | |
> Lübecks Sammlung der Kulturen der Welt hat Indigenen aus Feuerland einen | |
> Schädel zurückgegeben. Begraben wird er dennoch in Lübeck – zu seinem | |
> Schutz. | |
Bild: Die verzierte Dose birgt den Schädel des Mannes, den sie Hoshkó nennen | |
Lübeck taz | „Wir sind hier, um Ihnen Ihren Vorfahren zurückzugeben“, sag… | |
der Direktor der Lübecker Museen Tilmann von Stockhausen zu den | |
chilenischen Besuchern. Die Chilenen von der indigenen Gemeinschaft der | |
Selk’nam in Feuerland haben dem Vorfahren den Namen Hoshkó gegeben, weil | |
sie seinen echten Namen nicht mehr wissen. Sie wissen nur, dass er etwa | |
fünfzig Jahre alt wurde und dass [1][ein Auswanderer aus Deutschland] | |
seinen Schädel 1914 dem [2][damaligen Völkerkundemuseum in Lübeck] | |
schenkte. | |
Seit Ende des 19. Jahrhunderts erwarben oder raubten deutsche Museen, | |
Sammlungen und medizinische Institute [3][tausende Schädel von Menschen] | |
aus Kulturen, die Opfer kolonialer Ausbeutung bis hin zum Ethnozid wurden. | |
Heute ist der Schädel von Hoshkó in einer Holzkiste, die mit grüngoldenen | |
Ornamenten aus Lackfarbe aufwändig verziert ist. Er steht in Lübecker | |
Renaissance-Rathaus, umringt von Kameras. Filmteams zeichnen die Zeremonie | |
auf, mit der der Schädel des Chilenen seiner Gemeinschaft zurückgegeben | |
wird. | |
Die Restitution passt, wie das geplante Verbot des privaten Handels mit | |
Schädeln, perfekt in aktuelle Wiedergutmachungs-Debatten. Das ist doch mal | |
eine positive Nachricht: Wir kümmern uns, wir sagen Entschuldigung, wir | |
geben zurück, was uns nicht wirklich gehört. | |
## Erste Restitution schon 1911 | |
Dabei ist das so neu nicht. „Schon 1911 gab es eine Rückgabe menschlicher | |
Überreste nach Samoa“, sagt Sarah Fründt vom Deutschen Zentrum | |
Kulturgutverluste. Es bezahlt seit 2019 Forschungen zur Herkunft von | |
Museumsobjekten und ihre Rückgabe. Von insgesamt rund 80 Anträgen zu | |
Kolonialforschung „sind ein Viertel bis ein Drittel Forschungen zu | |
menschlichen Überresten“, sagt sie der taz. | |
Vor einer solchen Rückgabe liegt viel Arbeit. Jahrelang erforschte eine | |
Wissenschaftlerin die Objekte der Sammlung, die seit diesem Jahr [4][nicht | |
mehr altbacken „Völkerkunde“], sondern „Kulturen der Welt“ ausstellt. … | |
den 26.000 Objekten fand sie 26, die etwa aus Gewaltkontexten stammen und | |
zurückgegeben werden sollen. Postwendend gab es im Kulturausschuss | |
Debatten: Wem gibt man die Objekte zurück, wenn sie etwa aus einem | |
diktatorisch regierten Land kommen? | |
Mit den Selk’nam ist der Leiter der Sammlung Lars Frühsorge seit rund zwei | |
Jahren in Kontakt, es gab gegenseitige Besuche. An diesem Tag sind vier | |
Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinschaft gekommen, rituell bemalt und | |
in traditionellen Fell-Ponchos. „Die sterblichen Überreste unserer | |
Vorfahren sind keine Ausstellungsstücke“, sagt die Selk’nam Hema’ny Moli… | |
Sie bedankt sich mit einem traditionellen Collier als Gegengeschenk. | |
Alle sind sich einig, dass der Schädel beerdigt werden soll – allerdings in | |
Lübeck. Die Delegation wird mit leeren Händen zurückfahren und hofft, ihn | |
irgendwann später holen zu können. Der Grund: Sobald sie ihn über die | |
Grenze nach Chile bringen, wird er in den Besitz des chilenischen Staates | |
übergehen – und dort wahrscheinlich in einem Museum ausgestellt. | |
„Chilenische Gesetze schützen alle, außer uns“ | |
„Er gilt als archäologisches Erbe, dabei ist er erst hundert Jahre alt“, | |
sagt die Selk’nam Marcela Compte. Ihre ethnische Gruppe, sagt sie, galt bis | |
vor einem Jahr als ausgestorben. Indigene hätten in Chile keine eigenen | |
Territorien, keine Selbstverwaltung und kaum Rechte – auch nicht das Recht, | |
ihre Toten aus der Kolonialzeit aus den Museen zu holen und zu bestatten. | |
„Wir sind seit 10.000 Jahren in Feuerland. Den chilenischen Staat gibt es | |
erst 200 Jahre“, sagt Molina. „Seine Gesetze schützen alle, außer die | |
ethnischen Gruppen.“ Sie hofften jetzt, dass ein Gesetz zum Schutz des | |
Kulturerbes im Kongress beschlossen wird, das ihre Rechte stärkt. | |
Dann wollen sie noch einmal nach Lübeck kommen – und Hoshkó nach Hause | |
holen. | |
11 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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