# taz.de -- Antisemitismus-Streit in Berliner Linke: Kompromiss unmöglich? | |
> Zwei prominenten Austritten aus der Berliner Linken könnten weitere | |
> folgen. Der Streit über Antisemitismus droht die Partei zu zerlegen. | |
Bild: Die Stimmung war schon mal besser: Maximilian Schirmer und Klaus Lederer | |
Berlin taz | Die Berliner Linke steht vor der Zerreißprobe. Nachdem in den | |
vergangenen Tagen sowohl der langjährige Fraktionschef Udo Wolf als auch | |
der frühere Bezirksbürgermeister von Pankow, Sören Benn, die Partei | |
verlassen haben, drohen nach taz-Informationen spätestens nach einer | |
Sondersitzung des Landesvorstands am Dienstag weitere Austritte prominenter | |
Mitglieder des Realo-Flügels, jener Regierungslinken, die lange tonangebend | |
in der Partei waren. | |
Hintergrund der Auseinandersetzungen ist die Positionierung zum Thema | |
Antisemitismus, auch innerhalb der Partei, die am Freitag vor einer Woche | |
zum [1][Eklat auf dem Landesparteitag] geführt hatte. Etwa zwei Dutzend | |
Delegierte rund um den Ex-Kultursenator Klaus Lederer hatten die | |
Veranstaltung im Streit verlassen. Auf der nun anberaumten Sitzung des | |
Landesvorstands soll es, wie der Co-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer | |
der taz sagte, um eine „Auswertung des Landesparteitages“ gehen; eine | |
abschließende Klärung sei dabei nicht zu erwarten, stattdessen der „Auftakt | |
für eine umfassende Diskussion“. | |
Auf dem Tisch liegt der Vorschlag für einen Kompromiss der verschiedenen | |
Parteitagsanträge zum Nahost- und Antisemitismus-Komplex, der der taz | |
vorliegt. Darin enthalten ist ein Bekenntnis „gegen jede Form des | |
Antisemitismus – unabhängig davon, von welcher politischen und | |
weltanschaulichen Richtung er ausgeht“. Doch während aus elf Bezirken | |
Zustimmung signalisiert wurde, will man sich in Pankow, dem Kreisverband | |
von Lederer und vielen seiner Verbündeten, wohl nicht darauf einlassen. | |
Befürchtet wird eine Relativierung ihrer | |
Antisemitismus-Problembeschreibung. | |
Groß ist die Aufregung in jenem Lager auch über einen an den Tagesspiegel | |
durchgestochenen Resolutionsentwurf: Darin zeigt sich der Landesvorstand | |
„bestürzt über den Ausgang und die Außenwirkung“ des Parteitagsabgangs. … | |
Gespräch sagt Schirmer derweil, es gehe „darum, alle an einen Tisch zu | |
bringen“ und „nicht sich gegenseitig Vorwürfe zu machen“. Die Bereitscha… | |
im Realo-Flügel, sich für das Verlassen des Parteitages kritisieren zu | |
lassen, ist dem Vernehmen nach gering, wie die taz im Hintergrund erfuhr. | |
## Streit um Neukölln Linke | |
Auf wenig Verständnis stößt zudem die Formulierung in dem | |
Resolutionsentwurf, sich schützend vor diejenigen zu stellen, „die | |
öffentlich diffamiert werden“. Gemeint sind vor allem Mitglieder des | |
Kreisverbandes Neukölln, die sich einer propalästinensischen Positionierung | |
verschrieben haben und auch für eine Zusammenarbeit mit Gruppen wie | |
„Palästina spricht“ eintreten. Deren Sprecher, Ramsis Kilani, ist ebenfalls | |
Parteimitglied in Neukölln. | |
Für ihren Kurs stehen die Neuköllner derzeit massiv in der Kritik. So hatte | |
die Integrationsbeauftragte des Bezirks, Güner Balci, kürzlich gesagt, | |
einige „der schlimmsten Antisemiten“ säßen in der | |
Bezirksverordnetenversammlung. Die Bezirks-CDU fordert sogar die | |
Überwachung der Neuköllner Linken durch den Verfassungsschutz. | |
Prominente Linken-Mitglieder aus Neukölln, etwa der kurdisch-stämmige | |
Abgeordnete [2][Ferat Kocak], weisen Antisemitismusvorwürfe von sich und | |
sprechen von einer Kampagne. Auch der Landesvorstand stellt sich gegen die | |
pauschalen Frontalangriffe, verweist stattdessen auf die „klare | |
Beschlusslage gegen jeden Antisemitismus“, wie Schirmer sagt. Gleichzeitig | |
kündigt der Co-Landesvorsitzende allerdings auch an: „Dort, wo diese | |
infrage gestellt wird, werden wir genauer hingucken und Konsequenzen | |
beraten.“ Übersetzt dürfte das heißen: Im Härtefall wird die Partei nicht | |
vor Parteiausschlussverfahren zurückschrecken. | |
## Beschlüsse gegen Antisemitismus | |
Die Linke hat sich wiederholt gegen Antisemitismus positioniert, etwa beim | |
Parteitag 2023 kurz nach dem Attentat der Hamas. Auch vor einer Woche gab | |
es Zustimmung für einen Antrag, der sich von „Judenhass“ und Angriffen auf | |
„Jüd*innen und auf jüdische Einrichtungen“ distanzierte. Dagegen hatten | |
zahlreiche Änderungswünsche an einen dreiseitigen Antrag des Lederer-Lagers | |
über Antisemitismus zum Eklat geführt. Gestört hatte sich die | |
Parteitagsmehrheit etwa an der Bezeichnung des Hamas-Terrors als | |
„eliminatorischem Antisemitismus“ sowie der Forderung, jüdische Menschen | |
„unter Einsatz rechtsstaatlicher Mittel zu schützen“. | |
Für Udo Wolf war mit jener Debatte die „persönliche Schmerzgrenze | |
überschritten“. In seinem Austrittsschreiben heißt es: „Die | |
Täter-Opfer-Umkehr, die Behauptung, der Vorwurf eines „eliminatorischen | |
Antisemitismus“ an die Hamas sei eine „Relativierung der Shoah“ sind | |
perfide und widerlich“. Zudem schreibt er: „Der Umstand, dass die | |
Landesspitze dem nicht in aller Schärfe entgegentrat und das nachträglich | |
herunterspielt, ist nicht minder unerträglich.“ | |
Pankows ehemaliger Bezirksbürgermeister Sören Benn dagegen arbeitet sich in | |
seiner Austrittsbegründung vor allem an der Bundespartei ab. Diese „mutiert | |
zu den Zeugen Jehovas der Politik“, schreibt er. An anderer Stelle ist er | |
zurückhaltender, weist darauf hin, „dass bei der Frage, was Antisemitismus | |
sei, niemand Recht und Autorität für sich beanspruchen kann“, betont aber | |
dennoch: „Und dass Linke meinen, bei sich selbst Antisemitismus | |
ausschließen zu können, ist absurd.“ Maximilian Schirmer nennt die beiden | |
Austritte „traurige Nachrichten“ mit denen man sich „eingehend | |
beschäftigen“ werde. | |
## Bundespartei als Vorbild? | |
Dass die Partei die große Spaltungsfrage der Linken auch produktiv und | |
kompromissbereit bearbeiten kann, zeigte dagegen der [3][Bundesparteitag | |
der Linken am Wochenende in Halle (Saale)]. Statt des erwarteten großen | |
Clashs wurde sich mit übergroßer Mehrheit auf einen Kompromiss geeinigt, | |
mitverhandelt von Ferat Kocak. | |
Darin ist die Rede von der „Gefahr genozidaler Handlungen in Gaza“, wie sie | |
der Internationale Gerichtshof formuliert, ebenso wie vom Antisemitismus, | |
„der den mörderischen Terror von Hamas oder Hisbollah antreibt“. | |
Zusammenfassend heißt es: „Wer den Terror der Hamas relativiert, kann für | |
uns ebenso wenig Bündnispartner*in sein wie diejenigen, die | |
rassistische, antimuslimische oder antipalästinensische Angriffe und | |
Propaganda gutheißen oder betreiben.“ | |
Doch dass dieser Kompromiss die verfeindeten Lager zusammenführt, scheint | |
vor dem Dienstag unwahrscheinlich. Möglich jedoch wäre es. Denn auch Klaus | |
Lederer hat den Kompromiss in Halle mitgetragen. | |
21 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Parteitag-der-Berliner-Linken/!6039765 | |
[2] /Linken-Abgeordneter-Ferat-Kocak/!5809397 | |
[3] /Bundesparteitag-der-Linken/!6041226 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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