# taz.de -- Übergriffig gegen Lieferando-Rider: Schwach, schwächer, am schwä… | |
> Lieferando-Fahrer*innen werden ausgebeutet. Doch die Übergriffe gegen | |
> sie kommen von Kund*innen und Restaurantangestellten. | |
Bild: Lieferando Fahrer | |
Männer empfangen sie nackt an der Tür oder lassen ihr Handtuch im letzten | |
Moment fallen. Sie werden unangemessen nach Dates gefragt und verbal | |
sexuell belästigt – sei es auf der Straße, im Restaurant oder in | |
Privatwohnungen. Davon [1][berichten Berliner Lieferando-Kurier*innen]. | |
Die sexuelle Belästigung bei Ridern ist kein hauptstadtspezifisches | |
Problem. Von Bremen über Karlsruhe bis nach Köln berichten Kurier*innen | |
der taz von Vorfällen. „Ich habe noch nie eine Frau bei Lieferando | |
getroffen, die nicht belästigt wurde“, erzählt Anne Gardiner (Name von der | |
Redaktion geändert), eine Kurierin aus Bremen, die sich bei der | |
Interessenvertretung [2][Lieferando Workers Collective] engagiert. Die | |
Verantwortung sieht sie bei Lieferando: „Wenn die Firma die Rechte der | |
Mitarbeiter*innen nicht schützt, dann tun andere es auch nicht.“ | |
Der orangefarbene Lieferdienst steht seit Langem wegen niedriger Löhne, | |
Verletzung von Arbeiter*innenrechten, Gewerkschaftsfeindlichkeit und | |
einer „Hire & Fire“-Unternehmensführung in der Kritik. Die meist | |
migrantischen Kurier*innen sind dem schutzlos ausgeliefert. „Die meisten | |
von uns sprechen kein Deutsch und wissen nicht was ihre Rechte sind“, | |
berichtet Anne. „Außerdem wollen sie kein Stress riskieren, aus Sorge ihr | |
Visum zu verlieren.“ Lieferando profitiere von dieser Tatsache. | |
Die Ausbeutung der wehrlosen Kuriere ist integraler Bestandteil des | |
Geschäftsmodells. Der systematisch Machtmissbrauch durchzieht das gesamte | |
Unternehmen, das wie eine undurchsichtige Black Box agiert. In den meisten | |
Städten, den sogenannten Remote-Städten“ gibt es keine | |
Ansprechpartner*innen, sondern nur eine Mail-Adresse, an die sich die | |
Kurier*innen wenden können. In den sogenannten Hub-Städten wie Berlin | |
und Hamburg hingegen gibt es wenigstens in der Theorie | |
Ansprechpartner*innen. | |
## Perfides Katz- und Maus-Spiel | |
In der Praxis entpuppt sich diese „Unterstützung“ jedoch als ein perfides | |
Katz-und-Maus-Spiel, um Kurier*innen ihre Rechte vorzuenthalten. So ist | |
etwa das Büro des Betriebsrats am Berliner Ostkreuz nicht einmal | |
ausgeschildert, bis vor Kurzem gab es keinen Briefkasten. Daher ist der | |
Betriebsrat für die Rider kaum zu finden. | |
Dabei ist es angesichts der auf Entrechtung basierenden | |
Unternehmensstruktur essenziell, dass es mittlerweile vereinzelt | |
Betriebsräte sowie eine Interessenvertretung gibt. Ihre Forderungen – | |
Verifikationsmechanismen, um Kund*innen bei Fehlverhalten zu blockieren, | |
die Möglichkeit, Fahrten bei Sicherheitsbedenken abzubrechen, sowie die | |
Etablierung einer sensibleren Firmenkultur – sind richtig und wichtig. | |
Allerdings gehen die [3][Übergriffe gegen Rider] nicht von der Firma aus, | |
sondern von Restaurantmitarbeiter*innen, Kund*innen und | |
Verkehrsteilnehmer*innen, die offenbar eine Genugtuung in der | |
Erniedrigung wehrloser Menschen finden. Diese Übergriffe offenbaren die | |
Abgründe einer Gesellschaft, die solche Praktiken nicht nur ungestraft | |
duldet, sondern möglich macht. | |
Es steht außer Frage, dass Lieferando ein unmoralisches Unternehmen ist, | |
das die Graubereiche im Arbeitsrecht ausreizt wie Cum-Ex-Banker das | |
Steuerrecht. Aber ihr Machtmissbrauchssystem kann die Firma nur | |
aufrechterhalten, weil es von außen gestützt wird. | |
Es braucht daher nicht nur schärfere Regelungen innerhalb des Unternehmens, | |
um Kurier*innen besser zu schützen. Es bedarf einer | |
Entpatriarchalisierung, eines gesellschaftlicher Wandels, sodass | |
migrantische Menschen, die sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen | |
befinden, nicht zur Zielscheibe der Erniedrigung werden. Ein Mindestmaß an | |
Menschlichkeit ist gefragt. | |
11 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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