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# taz.de -- Streik bei Lieferando in Hamburg: Die Räder sollen still stehen
> Am Wochenende sollen die Hamburger Lieferando-Fahrer streiken. Dazu
> aufgerufen hat die Gewerkschaft NGG, um endlich einen Tarifvertrag zu
> erzwingen.
Bild: Warnstreik für bessere Arbeitsbedingungen: Alle Lieferando-Räder sollen…
Hamburg taz | Per App Essen bestellen – für viele Menschen ist das Alltag.
Nur am kommenden Wochenende nicht für alle: Viele hungrige
Hamburger:innen sollten sich darauf einstellen, dass sie vor die
Haustür gehen müssen, um sich ihre Pizza zu kaufen. Oder selbst kochen.
Denn die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ruft Hamburgs
Lieferando-Mitarbeiter:innen ab Freitag zu einem gleich 36-stündigen
Warnstreik auf. Er soll der bislang längste bei dem [1][wegen seiner
Arbeitsbedingungen umstrittenen Lieferdienst] werden.
Nach Angaben der NGG soll das auch erst der Anfang einer bundesweiten
Protestaktion sein. Ziel der Gewerkschaft ist der komplette Shutdown des
orangenen Lieferriesen. Hintergrund des Aufrufs ist die jahrelange
Weigerung des Mutterkonzerns „Just Eat Takeway“, sich auf
Tarifverhandlungen einzulassen. „Seit über zwei Jahren stellt sich
Lieferando taub. Gerade nach der hohen Inflation der letzten Jahre ist ein
Tarifvertrag mehr als überfällig“, erklärt der Hamburger NGG-Referatsleiter
Mark Baumeister.
Gleichzeitig soll, so die NGG, Lieferando mithilfe von Subunternehmen eine
Art Schattenflotte aufbauen. Das Ziel: möglichst viele Fahrer:innen,
„Rider“ genannt, aus ihren bestehenden Arbeitsverträgen vergraulen, nur
damit sie von Firmen wie „fleetlery“ einen neuen Vertrag angeboten bekommen
können – allerdings zu schlechteren Konditionen. Nach diesem Modell seien
laut NGG in Berlin bereits rund 500 Stellen abgebaut worden. Hinzu gebe es
im Zuge dessen bereits Berichte über Verstöße gegen das Mindestlohngesetz.
Vorbild für das Vorgehen ist offenbar Österreich. Dort hatte Lieferando im
März allen über 1.000 Fahrer:innen gekündigt und ihnen eine
Beschäftigung als selbstständige Auftragnehmer:innen angeboten.
Konkret bedeutet das für Lieferando: Der Konzern muss sich nicht mehr um
Urlaubsansprüche und Sozialabgaben kümmern und eine Kündigungsfrist gibt es
auch nicht mehr. Medienberichten zufolge hat Lieferando damit das Konzept
seiner österreichischen Konkurrenten Foodora und Wolt übernommen.
## Ein Bonus fällt weg
Derzeit verdienen die Fahrer:innen von Lieferando in Deutschland den
Mindestlohn von 12,82 Euro. Das Geschäft boomt und die Fahrer:innen
[2][müssen bei Wind und Wetter das Essen an die zahlreichen Kund:innen
ausliefern.] Dazuverdienen können sie sich einen Bonus, wenn das Essen
besonders schnell ausgeliefert wird. Nur: Ab August sollen
Kraftfahrer:innen, also Angestellte, die Essen mit Autos ausliefern, keine
Schnelligkeitsboni mehr bekommen. Zu hoch sei die Unfallgefahr, wenn
Fahrer:innen dazu verleitet werden, durch die Stadt zu heizen.
Diese sogenannten „Order-Boni“ machen jedoch einen relevanten Teil des
Gesamtlohns aus, heißt es von der Gewerkschaft. Wenn dieser wegfällt,
verliere ein großer Teil der Beschäftigten die Möglichkeit, von ihrem Job
überhaupt leben zu können. Mittels des geforderten Tarifvertrags könne
dieser Wegfall aufgefangen werden.
Lediglich Lieferandos Logistikgesellschaft „Takeaway Express“ äußert sich
zur Kritik der Gewerkschaft: „Eine Tarifvertragsinsel ist im gegebenen
Marktumfeld unrealistischer denn je“, heißt es in einer Mitteilung. „Unsere
konzernangehörige Logistik ist bereits besonders arbeitnehmerfreundlich.
Das wissen auch unsere Fahrer und die NGG. Zugleich müssen wir uns im
Wettbewerb behaupten und halten die Darstellung für irreführend.“
Ob dem Hamburger Streikaufruf viele Fahrer:innen folgen werden, ist noch
ungewiss. „Diesem Aufruf der NGG werden erfahrungsgemäß nur wenige Fahrer
folgen“, teilt einerseits Takeaway Express mit. „Die meisten schätzen ihre
im Markt einzigartig abgesicherten Arbeitsbedingungen – und sie verstehen,
dass eine Streikwelle nur den eigenen Betrieb schwächen würde.“ Baumeister
hingegen ist optimistischer: „Mit unseren Forderungen rennen wir bei den
[3][überwiegend migrantischen Beschäftigen]00 offene Türen ein.“
Befragt, ob sie denn auch am Streik teilnehmen wollen, antworten zwei
Lieferando-Fahrer am Mittwochnachmittag in der Hamburger Innenstadt während
ihrer Schicht zurückhaltend. Einer überlegt mitzudemonstrieren. Der andere
hat vom Aufruf noch nichts gehört, will aber möglichst bald bei Lieferando
aufhören, um Fahrlehrer zu werden. Beide wünschen sich ein höheres Gehalt
und die Arbeitszeiten seien besonders am Wochenende zum Teil lang. Beide
sehen ihre Jobs jedoch bislang nicht durch Subunternehmen gefährdet.
10 Jul 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Krischan Meyer
## TAGS
Lieferdienst
Gewerkschaft NGG
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