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# taz.de -- Belästigung von Lieferando-Kurier*innen: Die gläsernen Boten
> Lieferando-Kurier*innen berichten über zunehmende Belästigung durch
> Kunden und Restaurantmitarbeiter. Das Unternehmen sieht keinen
> Handlungsbedarf.
Bild: Abfällige Bemerkungen, Blockieren des Weges, sexuelle Anmachen – für …
Berlin taz | Respektlosigkeit ist die Norm, Respekt die Ausnahme – so
schildern Lieferando-Kurier*innen ihren Alltag. „Wir erleben beinahe
täglich Beleidigungen, sexistische Bemerkungen auf der Straße oder
Kund*innen, die uns die Tür in Unterhose öffnen“, berichtet der
Lieferando-Kurier Fabian Sommer der taz. Oder ganz konkret: „Neulich hat
ein Kunde durch die Gegensprechanlage obszöne Geräusche gemacht, gestöhnt
und gefragt, ob wir uns treffen können.“
Fabian Sommer heißt in Wirklichkeit anders. Er möchte nicht mit seinem
echten Namen in der Zeitung stehen. Ebenso wie sein Kollege Carlo Jiménez,
der von mehreren Fällen sexueller Belästigung berichtet. Erst kürzlich habe
er gegen Mitternacht einen Anruf von einem Kunden erhalten, der ihn zu sich
nach Hause bestellte, „um etwas Geld zu verdienen“. Den Kunden habe er
zuvor mit seinem Privathandy kontaktieren müssen, weil Lieferando keine
Diensthandys zur Verfügung stelle.
Lieferando ist kein Einzelfall: „Verbale und physische Angriffe auf
Fahrer*innen nehmen lieferdienstübergreifend zu“, sagt Max Wendler von
der Interessenvertretung Lieferando Workers Collective (LWC). Auch sein
Name ist auf Wunsch hin anonymisiert. Wendler sagt, es häuften sich
Vorfälle, bei denen Männer nackt an die Tür kämen, um Essen
entgegenzunehmen oder ihr Handtuch im Moment des Türöffnens fallen ließen.
Kurierinnen berichteten vermehrt von Anfragen nach einem Date oder ob sie
zum Essen reinkommen wollen. Diesen Sommer hätten die Übergriffe eine neue
Spitze erreicht.
Die Verantwortung sieht Wendler bei Lieferando: „Wenn die Firma die Rechte
der Mitarbeiter*innen nicht schützt, dann tun andere es auch nicht.“
Der Lieferdienst steht seit Langem wegen [1][niedriger Löhne, Verletzung
von Arbeiter*innenrechten und Union Busting in der Kritik.] „Frust
und Aggressionen von Kund*innen und Restaurantmitarbeiter*innen
auf Kurier*innen sind geradezu programmiert“, so Max. Denn den
Kund*innen werde eine Lieferzeit angezeigt, die bei jedem Klick länger
werde. Im Restaurant würden den Mitarbeiter*innen zugleich andere
Abholzeiten angezeigt als den Kurier*innen in der App. So kämen die
Kurier*innen immer „zu spät“.
## Kurier*innen fühlen sich exponiert
„Wir werden entmenschlicht, exponiert und als rechtlose Boten präsentiert“,
kritisiert Wendler. „Die Kunden haben unsere Vor- und Nachnamen, sie können
alle fünf Sekunden überwachen, wo ihr Liefersklave sich gerade auf der
Karte befindet.“ Das Bild vom „gläsernen Boten“ ermutige Kund*innen, sie
schlecht zu behandeln. „Wir stehen nackt vor ihnen und dann ziehen sich
auch die Kunden aus.“
Von solch einem Vorfall berichtet auch Carlo Jiménez. Im Mai habe ihm ein
Kunde komplett nackt die Tür geöffnet. In der Ecke seines Flures habe er
gesehen, dass der Kunde das Geschehen mit seinem Handy filmte. Er meldete
den Vorfall Lieferando und forderte, dass sie das Konto des Kunden löschen.
Die Verantwortlichen im Unternehmen hätten ihn immer wieder hingehalten.
Schließlich sei ihm mitgeteilt worden, dass es nutzlos sei, das Konto des
Kunden zu schließen, da dieser problemlos ein neues anlegen könne. Die
Essensbestellung auf Lieferando erfordert keine Identitätsüberprüfung.
Max Wendler fordert daher Verifikationsmechanismen, damit Kund*innen bei
Fehlverhalten effektiv blockiert werden können. Bei anderen Unternehmen
gibt es das bereits: So müssen sich Kund*innen beim Lieferdienst Uber in
den USA seit September verifizieren. Zudem können Kurier*innen
neuerdings Fahrten abbrechen, wenn sie sich unsicher fühlen, ohne dafür
bestraft zu werden.
Eine taz-Anfrage an Lieferando, ob das Unternehmen ähnliche Maßnahmen
plane, blieb ohne konkrete Antwort. Ein Unternehmenssprecher versicherte
jedoch: „Fahrer*innen können ihre Fahrt bei Sicherheitsbedenken jederzeit
abbrechen.“ Für eine nicht zugestellte Bestellung müssten sie
„selbstverständlich keinesfalls“ selbst aufkommen.
Wendler berichtet allerdings, dass sich viele nicht trauen, von diesem
Recht Gebrauch zu machen, da sich [2][Berichte über Entlassungen vor Ende
der Probezeit ohne ersichtlichen Grund häuften].
## LWC fordert, dass Kurier*innen Orte blockieren können
Auch Carlo Jiménez erzählt, einen Monat nach dem Vorfall erneut einen
Auftrag von jenem übergriffigen Kunden erhalten zu haben. Er habe dann die
Lieferung abgebrochen. Damit Kurier*innen gar nicht erst in solche
Situationen geraten, sollten sie Orte blockieren können, an denen sie
negative Erfahrungen gemacht haben, fordert das LWC. Beim Lieferservice
Wolt sei dies bereits der Fall.
„Aber Lieferando sind die Rechte und das Wohlempfinden ihrer
Arbeiter*innen egal, Hauptsache, sie verdienen Geld“, sagt Wendler. Das
gelte insbesondere bei Vorfällen in großen Restaurants, mit denen
Lieferando viel Geld verdient. Erst Ende August soll ein Rider laut LWC bei
einem Restaurant in der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg von
Restaurantmitarbeiter*innen [3][erst verbal, dann physisch
angegriffen worden sein]. Der Kurier soll Kopfverletzungen erlitten haben.
„Die Übergriffe gehen nicht nur von Restaurantmitarbeiter*innen
aus, sondern auch von Privatpersonen, Kund*innen und
Verkehrsteilnehmer*innen“, so Max Wendler. Eine weitere Kurierin
berichtet der taz von Belästigungen durch Kund*innen in Restaurants.
Abfällige Bemerkungen, Blockieren des Weges und sexuelle Anmachen seien an
der Tagesordnung. „Viele scheinen immer noch zu denken, dass sie einen
Freifahrtschein hätten, eine junge Frau anzubaggern, wenn sie allein in ein
Restaurant kommt“, sagt sie. Auch sie betont, dass sich die Vorfälle
häufen, im Juli und August sei es „wirklich extrem“ gewesen.
Das LWC fordert von Lieferando eine klare Positionierung: „Sie sollen die
Probleme öffentlich machen, sich positionieren und in den AGBs und in der
Kommunikation mit Kund*innen klarmachen, dass es eine
Null-Toleranz-Politik gibt“, fordert Wendler. Zudem müsse eine sensiblere
Firmenkultur geschaffen werden, die vertrauenswürdige
Ansprechpartner*innen bereitstellt, um besser mit derartigen
Situationen umzugehen.
7 Oct 2024
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## AUTOREN
Lilly Schröder
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Lieferdienste
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