# taz.de -- Chefredakteur auf Abwegen: Kuscheln mit Russland | |
> Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ kooperiert mit umstrittenen Medien, über | |
> den Kreml berichtet sie wohlwollend. In der Belegschaft wächst Unmut. | |
Bild: Der russische Botschafter Sergei Netschajew liest wahrscheinlich gerne di… | |
Osnabrück taz | Manchmal wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Wohin | |
das führen kann, hat sich am 15. Oktober 2024 gezeigt. An diesem Tag | |
veröffentlicht die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) einen Text über eine | |
Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa: „Jeder sechste Deutsche | |
klagt über Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung“. Die Umfrage sei „im | |
Auftrag der ‚Neuen Osnabrücker Zeitung‘ und des Online-Magazins | |
‚Multipolar‘ erfolgt. Auf Multipolar erscheint am selben Tag, unter Verweis | |
auf die Kooperation mit der NOZ, der Text „Forsa-Umfrage: 19 Prozent hatten | |
Impfnebenwirkung, 40 Prozent fordern Untersuchungsausschuss“. | |
Eine namhafte Tageszeitung kooperiert mit einem Magazin, das | |
Politikwissenschafts-Professor Markus Linden, Universität Trier, 2021 in | |
einem Vortrag zum Thema Verschwörungsmythen zu den „klassischen | |
verschwörungstheoretischen Alternativmedien“ gezählt hat? Heikel. | |
Das muss sich auch Forsa gedacht haben. Alleinige Auftraggeberin der | |
Umfrage sei die NOZ gewesen, schreibt Forsa-Geschäftsführer Thorsten | |
Thierhoff der taz. Man arbeite „grundsätzlich nicht für | |
Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale oder extremistische | |
Institutionen“. Forsa sei nicht bekannt gewesen, „dass die | |
Umfrageergebnisse auch in Multipolar veröffentlicht werden sollten“. | |
Das Meinungsforschungsinstitut schickt Multipolar eine | |
Unterlassungserklärung. Multipolar unterschreibt. In dem Beitrag auf der | |
ist seither nur noch von einer „von Multipolar initiierten und von der | |
Neuen Osnabrücker Zeitung daraufhin beauftragten Umfrage“ die Rede. Die NOZ | |
wirkt dadurch wie ein Handlanger von Multipolar. | |
„Die Idee zu einer Umfrage zum Thema Corona und Impfnebenwirkungen hatte | |
Multipolar“, schreibt Stefan Korinth, Herausgeber von Multipolar, der taz. | |
Man habe die Umfrage „gemeinsam erarbeitet und formuliert“. | |
## Zur Kooperation bereit | |
Multipolar hatte im Mai 2024 Anfragen an vier deutsche Umfrageinstitute | |
geschickt, ohne Erfolg. Forsa ignorierte die Anfrage, „da wir Zweifel | |
hatten, ob deren Redaktion unsere Umfrageergebnisse redaktionell sorgfältig | |
verarbeitet und wiedergibt“, so Thierhoff. Multipolar wandte sich daraufhin | |
an die NOZ. „Chefredakteur Burkhard Ewert war zu einer Kooperation mit | |
Multipolar bereit und beauftragte Forsa“, steht unter dem | |
Multipolar-Artikel, der aus den Umfrageergebnissen eine „deutliche Zunahme | |
der Kritik“ an den Coronamaßnahmen schließt. | |
Im Forsa-Newsletter von Mitte Oktober steht über die Umfrage: Der Anteil | |
derer, die einen Corona-Untersuchungsausschuss nicht für erforderlich | |
halten, sei im Oktober „mit 58 Prozent sogar noch größer als im April mit | |
55 Prozent“. Klingt wie das Gegenteil. Forsa sehe seine Zweifel bestätigt, | |
sagt Thierhoff. „Die Kernaussagen der Umfragen sind insbesondere in | |
Multipolar aus unserer Sicht in unzulässiger Weise verkürzt dargestellt | |
worden. Die Wiedergabe stellt teilweise eine sehr freie Interpretation der | |
Ergebnisse dar.“ Das fällt auch auf die NOZ zurück. | |
Der Text über die Impffolgen war nicht die erste Zusammenarbeit zwischen | |
NOZ und Multipolar. Der Beitrag „‚De-Banking‘: Der lautlose Angriff auf | |
oppositionelle Medien“ aus Multipolar von Ende Juni 2024, wurde Mitte Juli | |
unter dem Titel „Banken kündigen zunehmend Konten: Der lautlose Angriff auf | |
Regierungskritiker“ von der NOZ übernommen, verändert und verkürzt. | |
Eine systematische Kooperation mit Multipolar bestehe nicht, schreibt | |
Salloa Lange, Sprecherin der NOZ, der taz. Multipolar-Herausgeber Korinth | |
beschreibt die Zusammenarbeit beider Häuser so: „Die Kooperation ging von | |
der Neuen Osnabrücker Zeitung aus.“ Sie „bleibt bestehen“, stellt er kla… | |
In der NOZ sorgt all das für Unmut. Mitarbeitende, mit denen die taz | |
gesprochen hat, und die anonym bleiben wollen, sagen Dinge wie: „Wir machen | |
Verschwörungstheoretiker salonfähig und setzen unseren eigenen Ruf aufs | |
Spiel.“ Oder: „Das hat mit Meinungspluralität nichts mehr zu tun. Das ist | |
gefährlich.“ | |
## Kritik verhallt | |
Sie sagen auch: „Die kritischen Stimmen innerhalb der Redaktion gegenüber | |
der Chefredaktion waren nach der ersten Kooperation zwischen Multipolar und | |
der NOZ deutlich zu vernehmen. Es bleibt aber der Eindruck, dass Kritik | |
verhallt.“ Die Zusammenarbeit mit Multipolar lasse sich nicht mit einem | |
360-Grad-Blick-Journalismus rechtfertigen: „Es fehlt die differenzierte | |
Einordnung und eine Abgrenzung von verschwörungstheoretischen Narrativen | |
und Erzählenden.„Manche sehen in der Offenheit gegenüber Multipolar die | |
Spitze eines Eisbergs: „Schon seit Jahren sorgen Beiträge und Gewichtungen | |
aus der Chefredaktion für Diskussionen und in der Redaktion für Unbehagen“, | |
heißt es von Insidern. | |
Neben Corona habe es auch um den Russland-Kurs des Hauses in den | |
vergangenen Jahren lebhafte Debatten gegeben. Tatsächlich gab | |
NOZ-Chefredakteur Ewert Russlands Botschafter Sergej Netschajew mehrfach | |
Gelegenheit, russische Standpunkte zur Ukraine und zur deutschen | |
Außenpolitik darzulegen. Zuletzt geschah das Mitte Februar 2024, in | |
„Russlands Botschafter Netschajew beklagt ‚antirussische Rhetorik‘ in | |
Deutschland“. Kritische Nachfragen hier? Keine.Mehr noch: Die Russische | |
Botschaft machte aus Ewerts Autorentext einen „Kommentar“ des Botschafters, | |
„für die Neue Osnabrücker Zeitung“, stellte ihn auf ihre Website, NOZ-Logo | |
inklusive. | |
Ewert verfolgt seinen Kurs schon seit Jahren. Mitte 2014 schrieb er in | |
„Ukraine-Krise: Irgendetwas läuft grundlegend schief“: „Der Präsident in | |
Kiew weist einen Aufruf zur Waffenruhe nach dem nächsten zurück und erhält | |
trotzdem Geld, während Russland vor weiteren Sanktionen steht, die nichts | |
bewirken außer einer neuen Spaltung der Welt. Wegen eines maroden Landes, | |
das sich selbst nicht einig ist.“ | |
Man müsse „misstrauisch“ werden „gegenüber der westlichen Lesart und dem | |
mit ihr verbundenen, so unverhältnismäßig erscheinenden Ausmaß der | |
Empörung“ schrieb er 2018 anlässlich der Vergiftung von Sergei Skripal. | |
Manches Opfer habe „selbst keine weiße Weste“, schrieb er 2020 anlässlich | |
des Kollapses des Oppositionellen Alexej Nawalny, es könne sich „eine ganz | |
gewöhnliche gesundheitliche Erklärung“ finden. Und: Möglich sei die | |
Annahme, „ein fremder Geheimdienst wie der ukrainische“ habe diesen „Coup… | |
gelandet, „um Russland zu schaden“. | |
Auch eine Rüge vom Presserat gab es bereits, im Herbst 2023, zu Ewerts | |
Kolumne „Krieg in der Ukraine. Zum Glück gibt es ‚Telegram‘“. Aus Mang… | |
Sorgfaltspflicht. | |
Ewert hat zur Forsa-Umfrage übrigens jüngst noch mal nachgelegt, in seinem | |
Newsletter „Rest der Republik“, unter Verweis auf die Zusammenarbeit mit | |
Multipolar. Darin schreibt er, die Gräben zum Thema Corona seien „nach wie | |
vor bedauerlich tief“. | |
25 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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