| # taz.de -- Neue Osnabrücker Zeitung: Monopol mit Schlagseite nach rechts | |
| > Steuert die NOZ nach rechts? Leserschaft und viele Mitarbeitende | |
| > verunsichert die neue politische Ausrichtung – und intern rumort es | |
| > kräftig. | |
| Bild: Aus der Provinz in die Weite senden: Das „NOZ“-Medienzentrum in Osnab… | |
| Denk ich an Deutschland in der Nacht“, schreibt Heinrich Heine 1844 im | |
| Schlusstext seiner „Zeitgedichte“, „dann bin ich um den Schlaf gebracht�… | |
| Ein bisschen abgenutzt ist das Zitat – zugegeben –, aber es kommt einem | |
| doch immer wieder in den Sinn, wenn es Grund zu politischer Sorge gibt. | |
| Dass es sich hier und in diesem Moment ganz besonders aufdrängt, dürfte | |
| auch daran liegen, dass Heine nicht nur Dichter, sondern auch Journalist | |
| war: vom Feuilleton bis zur politischen Reportage. Seine Stimme hat der | |
| Freiheit gegolten. | |
| Gerade bewegt sich die Stimmungslage hingegen nach rechts. Mehr als 10 | |
| Millionen Zweitstimmen für die AfD bei der Bundestagswahl alarmieren. Dass | |
| der Verfassungsschutz die Partei in drei Bundesländern als gesichert | |
| rechtsextrem einstuft und in den übrigen unter Beobachtung hält, hat ihr | |
| fatalerweise nicht geschadet. | |
| Und während völkisches und autoritäres Denken wieder an Boden gewinnen, | |
| gibt es immer unterschiedlichere Antworten auf die Frage, in welcher Welt | |
| wir eigentlich leben. Realität ist ein Kampfbegriff geworden zwischen | |
| „Lügenpresse“, „Mainstreamdiskurs“ und so weiter. Die Medien stehen an | |
| vorderster Front – auf beiden Seiten. | |
| Die politische Standortbestimmung neu zu setzen, versucht derzeit die Neue | |
| Osnabrücker Zeitung (NOZ): mit Nachdruck hin zu rechten Narrativen, zu | |
| immer größerer Putin-Nähe und Verschwörungserzählungen. | |
| Die NOZ rühmt sich, nicht nur in der Osnabrücker Region bekannt zu sein, | |
| sondern „eine der meistzitierten Tageszeitungen Deutschlands“. Tatsächlich | |
| wird sie als Regionalzeitung aus der Provinz oft unterschätzt. Denn als | |
| Teil von NOZ/mh:n Medien – mit über 3.000 Mitarbeiter*innen an 70 | |
| Standorten eine der größten Zeitungsverlagsgruppen Deutschlands – ist sie | |
| wirkmächtig. Ihr Output wirkt in die Fläche, aufs platte Land, wo es oft | |
| gar [1][keine anderen lokale Pressestimmen] gibt. | |
| Noch mal in Zahlen: Allein die gedruckten Tageszeitungen der Mediengruppe | |
| haben täglich eine Auflage von rund 280.000 Exemplaren. Sie reichen von der | |
| Lingener Tagespost bis zu den Schleswiger Nachrichten. | |
| Dazu kommen Wochenzeitungen vom Emsland-Kurier bis zur WochenSchau | |
| Nordfriesland: Ein Imperium, das von der niederländischen bis zur dänischen | |
| Grenze reicht, von Ostfriesland bis nach Mecklenburg-Vorpommern. Fast 100 | |
| Tageszeitungen, Wochenblätter, Magazine und Audio-Formate umfasst NOZ/mh:n | |
| Medien, und die Neue Osnabrücker Zeitung liefert für viele den Mantel, also | |
| den gemeinsamen überregionalen Teil dieser Zeitungen. | |
| Eben dieser Mantel steht seit einiger Zeit in der Kritik, besonders zwei | |
| Speerspitzen des Politik-Ressorts: NOZ-Chefredakteur Burkhard Ewert und | |
| Michael Clasen, operativer Verantwortlicher der Gemeinschaftsredaktion von | |
| NOZ und NOZ/mh:n. | |
| Ewert inszeniert sich als diffus widerständiger Geist, dabei aber mit immer | |
| wieder erstaunlich eindeutigen Positionierungen: In einem Kommentar zur | |
| Bundestagswahl schrieb er etwa: „Zwar zieht 80 Jahre nach Ende des Zweiten | |
| Weltkriegs eine rechtspopulistische Partei mit verdoppeltem Stimmenanteil | |
| in den Deutschen Bundestag ein, aber das ist in Ordnung.“ In einem Text zum | |
| Ursprung der Coronapandemie fordert Ewert Mitte März, „selbst ernannte | |
| ‚Faktenchecker‘ wie den ‚Volksverpetzer‘ und staatlich geförderte | |
| ‚Recherche-Netzwerke‘“ zu hinterfragen. | |
| Denn: „Zu häufig beschränken sie sich darauf, regierungsamtliche Aussagen | |
| oder politisch genehme Positionen zur Wahrheit zu deklarieren, während es | |
| während der Pandemie und auch jetzt freie, private und unabhängige Medien | |
| oder auch nur Menschen sind, die den Mächtigen auf die Finger schauen, die | |
| offizielle Behauptungen hinterfragen, die mutig Stellung beziehen und dafür | |
| nicht selten Repressalien ausgesetzt waren und sind.“ | |
| Es klingt ein bisschen nach Freiheitskampf, dieses Lob der | |
| Alternativmedien, ist tatsächlich aber ein Türöffner in die wirre Welt von | |
| Verschwörungstheorien – im Gegensatz eben zu den „genehmen Positionen“ d… | |
| Eliten. | |
| ## Bedenklicher Russland-Kurs | |
| Clasen, der soeben den Jahres-Herausgeberpreis der NOZ bekam, ist oft | |
| gröber. Unter dem Titel „Warum Trumps Friedenspläne Europa nicht empören | |
| sollten“ heißt es: „Aber gut, dass wieder mit Putin geredet wird. Es | |
| braucht jetzt mehr Realismus und weniger Moralismus, damit dieser Konflikt | |
| nicht doch noch im dritten Weltkrieg mündet.“ Aber was ist das für ein | |
| verzichtbarer Moralismus, den Verursacher eines Angriffskriegs als solchen | |
| zu verurteilen? | |
| Zwei Tage später schrieb Clasen, Trumps Administration scheine zweierlei | |
| verstanden zu haben: Moskau habe „Sicherheitsinteressen, die plausibel | |
| klingen“. Zweitens müssten „die Interessen der russischsprachigen | |
| Minderheit berücksichtigt werden, die sich zum Teil Moskau zuwenden will“. | |
| Das ist die Erzählung russischer Staatsmedien. | |
| Zu den Kritiker*innen dieser Entwicklung zählt das lokale | |
| Non-Profit-Onlinemagazin „Osnabrücker Rundschau“ von Heiko Schulze und | |
| Kalla Wefel. Es kommentiert die NOZ satirisch durch die KOZ, „Kleine | |
| Osnabrücker Zeitung“, deren Kürzel sich als Würgegeräusch deuten lässt. | |
| Ihre Dokumentation des „Turbo-Rechtsdralls“ der NOZ sind Stadtgespräch, mit | |
| bis zu 12.000 Aufrufen. | |
| Auch NOZ-Chefredakteurin Louisa Riepe steht in der Kritik. Ende Januar | |
| hatte sie den Text „Nach Demo in Osnabrück: Euer Protest macht die AfD nur | |
| stärker!“ geschrieben, über eine Anti-AfD-Aktion des Bündnisses „Osnabr�… | |
| – bunt und solidarisch!“ Sie könne bewirken, so Riepe darin, „dass die | |
| Anhänger der AfD im Widerstand gegen die woke Gesellschaft, gegen die | |
| Medien, die Altparteien und den Verfassungsschutz noch enger | |
| zusammenstehen“. „Woke“ ist ein rechter Kampfbegriff und „zusammenstehe… | |
| klingt sonderbar heroisch – und schon auch nach Volksgemeinschaft. | |
| Der Text führte zu einer öffentlichen Rüge durch Osnabrücks Caritas und | |
| Diakonie. Dass die NOZ den „Protest eines breiten zivilgesellschaftlichen | |
| Bündnisses gegen eine rechtsextremistische Partei“ abwerte, sei „ein Schlag | |
| ins Gesicht aller Demokrat*innen“, schreiben die beiden Wohlfahrtsverbände, | |
| die zu den über 40 Partnern des Bündnisses gehören. | |
| Caritas-Geschäftsführerin Maren Wilmes sagt: Den Protest „derart in Verruf | |
| zu bringen“, stärke „eher Rechtsextremisten“. Viele Leserkommentare auf … | |
| Internetseiten der NOZ sehen das ähnlich. | |
| Frank Otte, Osnabrücks einstiger Stadtbaurat, hat sein NOZ-Abo kürzlich | |
| gekündigt. Seine Begründung gegenüber dem Leserservice: „Die NOZ hat unter | |
| der neuen Chefredaktion einen Rechtsruck erfahren, der für mich nicht mehr | |
| tragbar ist.“ Früher sei Osnabrück „ein Bollwerk gegen die AfD“ gewesen, | |
| sagt Otte zur taz. | |
| „Das ist kontinuierlich geschwunden, auch durch die NOZ. Jetzt wird den | |
| Rechtsextremisten der Boden bereitet, mit verdrehten Fakten, mit | |
| Verschleierungen. Und nächstes Jahr haben wir Kommunalwahlen!“ Er habe viel | |
| über die Ausrichtung der NOZ gesprochen, auch Ratsmitglieder teilten seine | |
| Meinung. | |
| ## Gegen den „Mainstream“ | |
| Driftet die NOZ also nach rechts? In ihren Leitlinien heißt es, man setze | |
| sich „kritisch mit dem politischen Mainstream auseinander“. Man sei | |
| „kritisch gegenüber den Mächtigen“. Das klingt erst mal aufklärerisch �… | |
| aber in Zeiten, in denen Rechte und Verschwörungserzähler*innen | |
| „Mainstream“ als Kampfbegriff längst okkupiert haben, zumindest gewagt | |
| formuliert. Von der taz um Auskunft zu ihrer politischen Ausrichtung | |
| gebeten, schweigt die NOZ. | |
| Und die Belegschaft? Die Meinungsschlacht tobt inzwischen sogar nach außen | |
| sichtbar in sozialen Medien. So etwa Anfang März, als Michael Clasen Trumps | |
| Anti-Selenskij-Narrativ auf Facebook übernahm, indem er schrieb: „Bitter | |
| für die Ukraine, dass ihr Präsident nicht fähig ist, Frieden zu schließen | |
| und lieber einen Dritten Weltkrieg riskiert.“ „Lieber Michael“, entgegnete | |
| NOZ-Redakteur Markus Poehlking, „ich möchte dir da ausdrücklich | |
| widersprechen. Einen Krieg, egal welchen Umfangs, riskiert der, der ihn | |
| beginnt.“ | |
| Auch Stephan Schmidt, Chefredakteur der Ostfriesischen Nachrichten, einer | |
| Partnerzeitung der NOZ, ging gegen Clasen auf die Barrikaden: „Die | |
| demokratische Welt ist zurecht entsetzt – und Sie rechtfertigen diesen | |
| widerlichen Angriff auf den Präsidenten dieses überfallenen Landes auch | |
| noch.“ Er sei „fassungslos“. | |
| Während sich einzelne Kolleg*innen gegen die umstrittenen Redakteure | |
| positionieren, vernetzt sich das Unternehmen hinter den Kulissen mit Medien | |
| ähnlichen Denkens. Besonders in den Fokus geraten: die [2][Zusammenarbeit | |
| der NOZ mit dem Magazin „Multipolar]“, das etwa Politikwissenschaftler | |
| Markus Linden von der Universität Trier zu den „klassischen | |
| verschwörungstheoretischen Alternativmedien“ zählt. Medienjournalist Stefan | |
| Niggemeier sprach [3][in seinem Online-Portal „Übermedien“]2024 von einem | |
| „Querdenker-Magazin“, „das zum Verschwörungsglauben neigt“. | |
| Mitte Oktober 2024 veröffentlicht die NOZ einen Text über eine Umfrage des | |
| Meinungsforschungsinstituts Forsa: „Jeder sechste Deutsche klagt über | |
| Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung“. Auf „Multipolar“ erscheint am | |
| selben Tag der Text „Forsa-Umfrage: 19 Prozent hatten Impfnebenwirkung, 40 | |
| Prozent fordern Untersuchungsausschuss“. Beide Medien verweisen | |
| aufeinander, auf eine Kooperation. | |
| Der Hintergrund: „Multipolar“ hatte Anfragen an vier deutsche | |
| Umfrageinstitute geschickt, aber keines wollte mit dem Onlineblatt | |
| zusammenarbeiten. Daraufhin wandte man sich an die NOZ. „Chefredakteur | |
| Burkhard Ewert war zu einer Kooperation mit Multipolar bereit und | |
| beauftragte Forsa“, schrieb „Multipolar“ unter seinen Artikel. Es war nic… | |
| die erste Zusammenarbeit zwischen NOZ und „Multipolar“. | |
| Verbindungen gibt es auch zur Schwäbischen Zeitung, deren Redaktionslinie | |
| [4][nicht nur die taz], sondern auch F.A.Z. und Zeit irritiert. Letztere | |
| fragte Ende 2024, ob die Zeitung „zur Bühne für die AfD und Querdenker | |
| geworden“ sei. Der Schwäbische Verlag (SV) ist ähnlich schwergewichtig wie | |
| NOZ/mh:n Medien: Etwa 2.500 MitarbeiterInnen arbeiten an mehr als 100 | |
| Standorten in sechs Bundesländern – für Zeitungstitel, Magazine, | |
| Onlineportale, Anzeigenblätter, Radio, Lokal-TV, Druckhäuser. NOZ und | |
| Schwäbische Zeitung äußern sich gegenüber der taz nicht über ihre | |
| Zusammenarbeit, aber Texte von NOZ-RedakteurInnen wie Rena Lehmann oder | |
| Tobias Schmidt sind in der Schwäbischen Zeitung zu lesen. | |
| „Dass wir mit der Schwäbischen zusammenarbeiten, ist nach der Kooperation | |
| mit ‚Multipolar‘ ja fast schon folgerichtig“, sagt ein Mitglied der | |
| Redaktion, das lieber anonym bleibt*, der taz. Leitende Redakteure der | |
| Häuser schienen offenbar einig in der Haltung, „dass man einen | |
| 360-Grad-Blick braucht, also alle Meinungen gleichberechtigt abgebildet | |
| werden sollen“. Dagegen sei an sich zwar nichts zu sagen, aber die | |
| Faktenbasis müsse eben stimmen. | |
| Und so sehe das eben nicht mehr aus, seit der russische Botschafter in der | |
| NOZ unwidersprochen Propaganda verbreiten dürfe und neuerdings große Hymnen | |
| auf den angeblichen Friedensstifter Trump angestimmt werden. Das sei eben | |
| die Gefahr: „Halbwahrheiten, Verdrehungen oder schlicht Propaganda unter | |
| dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu verbreiten, ist verantwortungslos. | |
| Vor allem, weil das Verbreitungsgebiet so groß ist und das die Meinung in | |
| der Fläche prägt.“ | |
| ## Beklemmungen bei der Belegschaft | |
| In der NOZ-Belegschaft erzeugt diese Gemengelage Beklemmung. Die | |
| mittlerweile öffentlich ausgetragenen Konflikte im Netz scheinen allerdings | |
| eher der Verzweiflung geschuldet zu sein. Es habe in der Vergangenheit auch | |
| in Konferenzen starkes Kontra gegen die neue Linie der Chefredaktion | |
| gegeben, erzählt ein Mitglied der Redaktion, das ebenfalls lieber | |
| unbekannt* bleibt. Derzeit sei es in den Konferenzen zwar ruhiger, | |
| allerdings eher aus Frustration. Man habe den Eindruck, dass längst Fakten | |
| geschaffen wurden. Das erzeuge ein Gefühl der Ohnmacht. | |
| Ewert hatte die interne Kritik mit einem „Publizistischen Café“ gekontert, | |
| nächster Termin im Juli. Dort könnten ihn Kritiker direkt konfrontieren. So | |
| würde Kritik abgedrängt, kanalisiert, sagt das Redaktionsmitglied. Ob | |
| dieses Café überhaupt stattfinde und was in ihm geschehe: Darüber höre man | |
| im Betrieb nichts. | |
| Von oben jedenfalls ist mit keiner Kurskorrektur zu rechnen: Als es im | |
| November 2024 zu Schwierigkeiten mit der zuverlässigen Beschaffung von | |
| Stimmzetteln für die Neuwahlen kam, [5][schaltete NOZ-Herausgeber Jan Dirk | |
| Elstermann eine Anzeige] des Druckhauses Meinders & Elstermann, dessen | |
| Geschäftsführer er selbst ist: „Sie benötigen 61.500.000 Wahlzettel? Wir | |
| benötigen 3 Wochen“. | |
| Die eigentliche Botschaft der Anzeige war ein Bashing von Rot-Grün: „Drei | |
| Jahre Öko-Ideologie und Sozi-Träumereien haben mit einer beispiellosen | |
| Verbots-Politik und belehrenden Regulierungen dem Mittelstand massiv | |
| geschadet.“ Winzig klein steht drüber: „Achtung: Enthält Satire“. Klang | |
| nicht so. | |
| * Name der Redaktion bekannt | |
| 22 Mar 2025 | |
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