# taz.de -- Unterhauswahl in Japan: Kein großes Herz für Politiker | |
> Skurrile Regelungen schränken den Wahlkampf für das Votum am Sonntag ein. | |
> Posten können vererbt werden. Beides stützt die Dauerregierungspartei | |
> LDP. | |
Bild: LDP-Abgeordnete im Unterhaus am 1. Oktober: Der kurz darauf zum Premier g… | |
Takasaki taz | Der Hauptbahnhof von Takasaki, einer Großstadt zwei | |
Zugstunden nördlich von Tokio, ist der perfekte Ort für eine Wahlkampfrede. | |
Zahlreiche Geschäfte und Restaurants sorgen für viel Laufpublikum. Auch | |
Hiroki Yamada, der lokale Kandidat der oppositionellen | |
Konstitutionell-demokratischen Partei bei der Parlamentswahl am Sonntag, | |
legt hier einen Stopp ein. | |
Auf dem Wahlkampfkleinbus prangen sein Name, sein Konterfei und das Kürzel | |
der liberalen CDP. Sie ist Japans größte Oppositionspartei. Der | |
hochgewachsene, grauhaarige Mann gürtet sich eine Schärpe mit seinem Namen | |
um, stellt sich auf den Bürgersteig und wirft in seiner Rede der | |
konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) dunkle Geldgeschäfte, | |
Vererbung von Ämtern und Anhäufung von Privilegien vor. | |
„Solange wir das nicht ändern, gibt es keine glückliche und gesunde Zukunft | |
für Japan“, ruft der Oppositionspolitiker. Aus den Lautsprechern auf dem | |
Kleinbusdach schallen seine Worte ohrenbetäubend laut über den | |
Bahnhofsvorplatz. | |
Doch niemand bleibt zum Zuhören stehen. Die meisten wenden nicht einmal den | |
Kopf in seine Richtung. Das geringe Interesse erstaunt: Schließlich rumort | |
es im Wahlvolk heftig wegen eines Finanzskandals in der Regierungspartei. | |
82 LDP-Abgeordnete hatten insgesamt 3,5 Millionen Euro an Einnahmen nicht | |
ordnungsgemäß angegeben. | |
## Trotz schlechter Umfragen dürfte die LDP weiter regieren | |
Der [1][Rücktritt von Premier Fumio Kishida zum 1. Oktober], die Auflösung | |
interner Machtgruppen sowie Strafen für 39 Mandatsträger halfen der LDP, | |
die Japan seit 1955 fast ununterbrochen regiert, nicht aus dem | |
Umfragekeller, sodass sie bei dieser Wahl erstmals seit 2009 ihre Mehrheit | |
verlieren könnte. | |
Zum Regieren bräuchte sie dann ihren kleinen Partner, die buddhistische | |
Komeito. „Es ist eine äußerst harte Wahl mit beispiellosem Gegenwind“, | |
gestand [2][der neue Regierungschef Shigeru Ishiba]. | |
Dennoch erwartet Rintaro Nishimura vom Politikberater Asia Group, dass die | |
Koalition aus LDP und Komeito weiterregieren wird. „Das Wahlsystem nützt | |
der LDP“, meint Nishimura. Zwei Drittel der 465 Mandate werden per | |
einfacher Mehrheit direkt vergeben. Wo sich die Oppositionsparteien nicht | |
auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können, setzt sich häufig der | |
LDP-Vertreter durch. | |
Lokale Lobbys wie Bauern und Baufirmen unterstützen ohnehin meist die LDP. | |
Nur ein Drittel der Mandate wird per Zweitstimme proportional zu den | |
Parteianteilen anhand ihrer Listen bestimmt. | |
## Kleine Poster, kaum Reden, kein Haustürwahlkampf | |
Skurrile Vorschriften schränken den Wahlkampf so ein, dass sich die | |
Opposition nur schwer Gehör verschaffen kann. Öffentliche Reden dürfen | |
Politiker nur in den zwölf Tagen vor dem Wahltermin halten. Ihre maximal | |
DIN-A2 großen Wahlposter müssen die Kandidaten an eine vorgeschriebene | |
Stelle auf den wenigen offiziellen Wahlständern kleben. Das beliebte, da | |
auffällige rote Herzsymbol um ihr Gesicht herum darf höchstens 42 | |
Zentimeter hoch sein. | |
Statt einer politischen Aussage betont die Wahlwerbung den Namen der | |
Kandidatin oder des Kandidaten. Auf dem Wahlzettel muss man nämlich die | |
Schriftzeichen des Namens mit der Hand schreiben. | |
Daher stehen die Kandidaten frühmorgens vor den Pendlerbahnhöfen und | |
wiederholen im 15-Sekunden-Takt unter ständigen Verbeugungen ihren Namen. | |
Tagsüber fahren sie mit einem Lautsprecherwagen durch die Straßen, winken | |
mit weißen Handschuhen aus dem Fenster und nennen in Endlosschleife wieder | |
nur ihren Namen mit der Aufforderung zur Wahl. Mehr ist gesetzlich nicht | |
erlaubt. | |
An Haustüren zu klingeln, ist verboten, das Verteilen von Geschenken wie | |
Kugelschreibern ebenfalls. Wahlwerbung per E-Mail geht nur, wenn der | |
Empfänger vorher zugestimmt hat. Immerhin ist die Wähleransprache über | |
soziale Medien wie Twitter und YouTube seit elf Jahren zugelassen – | |
aufgrund einer Fehleinschätzung der Behörden. | |
„Damals konnte man sich nicht vorstellen, welche Bedeutung diese Medien | |
einmal bekommen“, erklärt der Politologe Harumichi Yuasa von der Tokioter | |
Meiji-Universität. Doch diese Wahlwerbung erreicht nur Japaner, die | |
sozialen Medien folgen. | |
## Politdynastien sind „Rassepferde der Politikwelt“ | |
Personalmangel bremst die Wahlkampfaktivitäten zusätzlich. Bis auf Fahrer | |
und „Announcer“ in den Lautsprecherbussen müssen alle Wahlkampfhelfer | |
ehrenamtlich arbeiten. Einzig erlaubter Tageslohn sind eine Bento-Essensbox | |
für 6 Euro und Süßigkeiten für 3 Euro. | |
Das erklärt, warum die LDP über viele Jahre auf die Mitglieder der aus | |
Südkorea stammenden Vereinigungskirche als willfährige Wahlkampfhelfer | |
zurückgriff. Im Gegenzug tolerierte die LDP, dass die Sekte ihre | |
japanischen Angehörigen finanziell auspresste. | |
Auch die traditionelle Vererbung von politischen Ämtern nützt der | |
Regierungspartei: Den Wahlbezirk Gunma Nummer 4, zu dem Takasaki gehört, | |
dominiert Tatsuo Fukuda. Jeder kennt den Namen dieser LDP-Dynastie, weil | |
sein Vater und Großvater von hier ins Parlament einzogen und jeweils | |
Premierminister wurden. | |
„Rassepferde der Politwelt“ heißen solche prominenten Politiker, die sich | |
generationsweise im Parlament ablösen. Fast jeder dritte LDP-Abgeordnete | |
gelangte als Kind oder Enkel eines vorigen Mandatsträgers ins aktuelle | |
Parlament, indem sie Namen, Wahlbezirk und Spender erbten. | |
## Skandalpolitiker ist auch ohne Wahlkampf siegessicher | |
Dank dieser Boni siegte auch Fukuda schon vier Mal. Allerdings läuft es | |
diesmal nicht so glatt wie gewohnt: Auch Fukuda füllte eine schwarze Kasse, | |
wenn auch nur mit 6.000 Euro. Daher strich ihn seine Partei, so wie 33 | |
andere Abgeordnete, von ihrer Liste für die proportional vergebenen Sitze. | |
Doch Fukuda braucht keine Absicherung über die Parteiliste, er dürfte auch | |
jetzt direkt gewinnen. Sein Gegenkandidat Yamada, dem am Bahnhof niemand | |
zuhören wollte, ist ein politischer Neuling und stammt nicht aus der | |
Region. | |
Fukuda lässt ihn einfach ins Leere laufen. Unter dem Slogan „Neustart“ | |
tritt der 57-jährige Dynastie-Sprössling nur vor loyalen Unterstützern auf | |
und verzichtet auf Reden an Bahnhöfen. Zur Ausrede verweist er auf seine | |
zeitraubende neue Aufgabe als amtierender LDP-Generalsekretär. | |
In Wirklichkeit will er, dass traditionelle LDP-Wähler möglichst wenig von | |
seiner Verfehlung mitbekommen. „Dieser Wahlbezirk ist fest in der Hand der | |
LDP“, seufzt Yamadas Wahlkampfhelferin Chika Setsumi fast resigniert. | |
26 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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