# taz.de -- Die Wahrheit: Räudiges Schlamassel | |
> Was tun, wenn der Hautarzt das Weite sucht, sämtliche Patientenakten hat | |
> verschwinden lassen und nicht mehr aufzufinden ist? Wohin mit der Pelle? | |
Bild: Allein gelassen mit den Problemen der Haut | |
Als ich einen Termin machen will, ist mein Hautarzt auf einmal spurlos | |
verschwunden. Im Netz steht „Dauerhaft geschlossen“, kein Patient wurde | |
benachrichtigt oder weiß irgendwas. Unsere Krankengeschichten hat der | |
Verschwundene mitgenommen, wohin auch immer, in den Untergrund, auf die | |
Reise, in sein Grab. Was nun – wer heilt mich denn jetzt? | |
Hautärzte scheinen mir schon ein recht eigenes Völkchen zu sein. Hier wird | |
eine Praxis ohne Vorwarnung zugemacht, da verschwindet ein Hautarzt als | |
Prostituiertenmörder jahrelang hinter Gittern. Eine nichtendenwollende | |
Pechsträhne scheint die gesamte Zunft ergriffen zu haben. | |
Die wenigen, die geblieben sind, können sich nun selbstverständlich die | |
Rosinen aus dem leckeren Patientenkuchen picken. Auf der Suche nach Ersatz | |
werde ich fast ausnahmslos abgewiesen: „Nur privat Versicherte oder | |
Selbstzahlende“ wechselt sich ab mit dem Hinweis „Privatpraxis“. | |
Im Umkreis von zehn Kilometern nimmt keiner der wenigen verbliebenen | |
Kassenärzte Neupatienten an, und wenn doch, dann frühestens in sieben | |
Monaten. Keiner will mich haben, außer dem einen, der laut | |
Patientenbewertungen praktisch der Teufel selbst sein muss. Ich versteh das | |
nicht. Wäre ich Hautarzt, würde ich doch zusehen, dass möglichst viele | |
Kranke kommen, die ich dann gesund machen kann – ein Stürmer will doch auch | |
immer möglichst viele Tore schießen. | |
## Rosa Traum | |
Hätte ich jedenfalls gedacht, in meiner kleinen rosa Einhorntraumwelt. Aber | |
gut, was weiß ich denn schon. Wahrscheinlich lohnt sich das einfach nicht. | |
Kassenpatienten sind wie Flöhe. Wo die sich eingenistet haben, wird man sie | |
schwer wieder los. Denn einerseits ist deren Haut total kaputt – die | |
schlechte Ernährung; die Lauge in dem Ätzwerk, wo sie arbeiten müssen; dazu | |
die vielen Drogen –, andererseits zahlen die Armenkassen für das räudige | |
Schlamassel kaum einen Almosen. | |
Und dann kommt das Lumpenpack auf der Tränendrüse angeritten, Folgetermin | |
für Folgetermin, und quäkt rum – „huä, huää, ich bin immer noch voll k… | |
und so –, aber für das Geld kann man da natürlich gar nichts machen, das | |
reicht nicht mal für den Gnadenschuss, und deshalb ist es besser, sie | |
kommen gar nicht erst. Manche werden ja auch von selbst wieder gesund. | |
Andere sterben. Alles löst sich immer irgendwie. | |
## Zart wie Butter | |
Wie von selbst behandelt sich im Vergleich die herrlich straffe Haut der | |
Reichen und Schönen. Ihre von Austernsaft und sündhaft teuren Kosmetika | |
butter-zart geschmirgelte Edelpelle zu untersuchen, ist wie ein Werk von | |
van Gogh zu restaurieren, ein rassiges Rennpferd zu striegeln oder einen | |
brandneuen Autobahnabschnitt zu weihen. | |
Die Zuständigkeit der Dermatologen auch für Geschlechtskrankheiten macht | |
die Lage nicht besser. Denn wer möchte schon in dem ekligen Sifftripper von | |
irgendwelchen AOK-Gossenknaben rumrühren. Das wäre ohnehin vergebliche | |
Liebesmüh, denn am nächsten Tag stehen sie erneut laut schreiend mit ihrer | |
nassen Muchte vor der Tür, och nö, jetzt muss schon wieder die Security | |
kommen. Die Geschlechtskrankheiten der Privatversicherten sind hingegen | |
sauber und duftend wie sie selbst. Da muss höchstens mal ein goldenes | |
Zepter aus einem gesalbten Popo gezogen werden, wo es sich im edlen | |
Liebesspiel verfangen hat. | |
Dass unter diesen Umständen ein Kassenarzt aus dem Beruf scheidet, um als | |
Pförtner, Philosoph oder eben Prostituiertenmörder unter anderem Namen an | |
anderem Ort noch mal völlig neu anzufangen, verstehe ich ja. Aber deshalb | |
muss man doch nicht gleich mit meiner ganzen Anamnese abhauen – so sieht | |
das wohl aus, wenn der gläserne Patient zerbricht. Selbst Diebe schmeißen | |
ein leergeräumtes Portemonnaie oft in einen Briefkasten, sodass wenigstens | |
die Papiere zurück zu ihrem Besitzer finden. Meine Unterlagen sind doch für | |
andere wertlos. Ich will sie einfach bloß wiederhaben, ist das denn | |
wirklich zu viel verlangt? | |
Am Ende gelingt es mir, einen Termin zu vereinbaren, indem ich behaupte, | |
ich wäre Privatpatient. Dazu lege ich mir am Telefon extra einen | |
französischen Akzent zu. Ich hoffe, wenn ich auffliege, schicken sie mich | |
nicht einfach weg, weil das Zeitfenster ja gefüllt sein will. Doch ich habe | |
Angst, dass mir die Lüge so schwer auf die eigenen Füße fällt, dass ich | |
danach auch noch einen Unfallorthopäden brauche. Und dann geht der ganze | |
Mist wieder von vorne los. | |
11 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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