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# taz.de -- Die Wahrheit: Gar nicht ruckelfrei durchs Leben
> Warum es so schwierig ist, irgendwann mit Veränderungen aller Art
> umzugehen. Resilienz? Pustekuchen!
Bild: Bei großen Veränderungen am besten militärisch organisiert vorgehen
Seit geraumer Zeit stelle ich fest, dass mich jede Form von Veränderung mit
Panik und Verzweiflung erfüllt. Und nicht nur Veränderung, sondern im
Grunde jegliche Aktivität nicht komplett repetitiver Natur, so wie Arbeit,
zum Beispiel auch an diesem Text.
Mich jedes Mal von Neuem mit einem unüberwindlich erscheinenden
Buchstabengebirge abzumühen – dem kantigen K, dem banalen E und dem feigen
Q mit seinem kleinen Schwanz –, verunsichert mich zutiefst. Ich habe keine
Lust mehr, mich zu quälen. Für mich wäre eine Art garantierte Leibrente
nach meinetwegen Besoldungsgruppe C4 exakt das angemessene Modell.
Und nun erwartet mich auch noch ein Hindernis, wie es für jemanden meines
Schlags grauenerregender nicht sein könnte: ein Umzug. Zwar erst in einem
halben Jahr, aber das Ereignis lässt mich jetzt schon nicht mehr schlafen.
Die neue Wohnung ist sehr schön, da würden sicher viele gern drin wohnen.
Die nähmen mein Problem gewiss mit Kusshand.
Aber mir wird das alles sofort zu viel. Das ist doch ganz woanders. Wie
soll ich denn dahinkommen? Wer organisiert das alles? Wie bekomme ich den
Fernsehanschluss und das Internet von hier nach da? Und meinen ganzen Kram?
Ich kenne mich da doch überhaupt nicht aus. Dann wird alles anders, als es
jetzt ist. Wenn ich daran nur denke, muss ich mich auf der Stelle wieder
hinlegen und möchte nur noch schlafen.
In solchen Momenten fällt mir auf, wie lange ich alles schon so
eingerichtet habe, dass sich möglichst wenig ändert. Ich gehe immer
dieselben Wege. Meine Tage sind in identische Routinen gegliedert. Ich esse
alternierend stets das Gleiche. In leichten Variationen schreibe ich auch
nur den immergleichen Text: Ein halbfiktionaler weinerlicher Alter matscht
seine schrullige und lebensuntüchtige Attitüde breit – eine Palette, so
eintönig wie die gesammelten Songs von Status Quo.
I have a dream. Mein Leben soll komplett ruckelfrei und jede Unwägbarkeit
ausgeschaltet sein, die den leichtgängigen und gewohnten Lauf der Dinge
stören könnte. Alles soll bleiben, wie es ist, während ich früher gefühlt
fast jede Woche umgezogen bin. Wie so ein crazy Tramp, in die
verschiedensten Straßen innerhalb Neuköllns.
Hihi, haha, hopplahopp und scheißegal – so lautete mein Lebensmotto. Ich
kaufte neue Sachen, testete auch mal einen anderen Döner-Imbiss oder sprach
fremde Leute an. Mein Haupthaar war verwuschelt und mein Blick verwegen.
Doch längst habe ich ein Mindset wie aus Wachs. Aber nicht wie weiches,
sondern wie fest geronnenes, leicht ranzig riechend; darein gedrückt ist
ein Siegel auf meinem Dasein, das mein Wappen zeigt: Fernseher, Sessel und
Schlafmütze unter gekreuztem Messer und Gabel. Meine Persönlichkeit ist ein
Museum. Alles ist an seinem Ort, bitte nichts anfassen. Jedes Stück ist von
unschätzbarem Erinnerungswert.
Ob ich mich denn gar nicht langweile, fragen mich die flatterhaften
Hasardeure. Sie können es sich wohl nicht vorstellen, dass man eben nicht
auf Schritt und Tritt neuen „Herausforderungen“, wie sie jeden frischen
Sprühdurchfall nennen, hinterherhechelt. Aber ich langweile mich nie, ich
kann doch mit dem Handy spielen.
Und später kommt noch Fußball im Fernsehen, Wolfsburg gegen Hoffenheim. Das
wird so richtig geil. Ich habe alle Pay-TV-Sender abonniert, die Fußball
zeigen. Das ist zwar teuer, aber ich spare ja viel Geld, weil ich nicht
mehr ausgehe. Kneipe, Kino, Theater, Museum. Was soll ich denn da?
Nur einmal im Jahr treffe ich mich mit meinem einzigen Freund. Mehr Freunde
brauche ich nicht, das würde mich sozial wie logistisch überfordern. Sollte
er eines Tages sterben, werde ich keine neue Freundschaft suchen. Das wäre
unseriös. Mit diesem Freund gehe ich dann jedes Mal für wenige Stunden auf
den Spandauer Weihnachtsmarkt.
## Einfach einen Glühwein mehr
Da komme ich hin, ohne umzusteigen, und dort kenne ich mich auch schon aus.
Wenn ausnahmsweise doch mal eine neue Bude an einem ungewohnten Ort steht,
trinke ich einfach einen Glühwein mehr, bis endlich alles wieder gleich
aussieht.
Manchmal denke ich allerdings, ich wäre resilienter, wenn ich Kinder hätte.
Ich sehe das ja bei den Leuten: Wenn du Kinder hast, kannst du nie sicher
planen. Jederzeit kann sich alles ändern. Wer Kinder hat, muss stets
flexibel sein. Eltern haben ein für meine Begriffe übermenschliches
Zeitmanagement und trotzdem oft die Ruhe weg.
Wenn ich noch im Bett liege, in ängstlicher Erwartung, was der kommende Tag
schon wieder Unvertrautes bringen könnte, sind deren Kinder längst
angezogen, haben ihr Frühstück bekommen und auf dem Weg zur Schule schon
zweimal ins Auto gekotzt, gekackt oder geblutet. Dann müssen sie sie gleich
wieder neu anziehen und wickeln oder so – wovon ich nicht wirklich die ganz
große Ahnung habe –, und später landen die Pausenbrote im Müll, sie essen
ja lieber Drogen.
Und überall lassen sie Gläser oder Becher stehen, weil sie offenbar denken,
die räumen sich von selbst weg. Kinder weinen, wenn sie mittags zur Uni
müssen, wechseln permanent ihr Geschlecht und sitzen oft sehr lange im
Gefängnis. Menschen mit Kindern haben also ständig völlig neue Situationen,
auf die sie reagieren müssen. Die haben natürlich kein Problem mit einem
Umzug oder den neuen Milchtüten, wo der Deckel nicht mehr richtig abgeht.
Aber warum um Gottes Willen hätte ich, bloß um ein wenig Stressresistenz zu
erreichen, mein eigenes Leben auf eine derart grundlegende Art schrotten
sollen, wie man sie sonst nur von Selbstmordattentätern kennt? Was für eine
Schnapsidee! Ich hacke mir doch auch nicht die rechte Hand ab, damit ich
besser lerne, mit der linken zu schreiben.
Vielleicht suche ich mir einfach ein Umzugsunternehmen, das so eine
Dämmerschlafnarkose anbietet wie bei einer Magenspiegelung. Und dann wache
ich mitsamt Internet und allem Zeug schon in der neuen Wohnung auf. Ja, so
könnte es gehen.
13 Dec 2024
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Die Wahrheit
Umzug
Resilienz
Angst
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