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# taz.de -- Die Wahrheit: Gift und Gegengift für die Beißerchen
> Aronal und Elmex: Zwei Zahnpastasorten im Krieg des brutalen Konsumismus,
> der auf die Angst der Verbraucher setzt und einen Verlierer produziert.
Der Anblick einer Tube Aronal ist heute relativ selten geworden, viel
seltener als der einer Tube Elmex – das war vor einigen Jahren noch
unvorstellbar. Denn Aronal und Elmex traten immer nur zusammen auf. Wenn
ich die Hochzeit der berühmten Kampagne für diese beiden quasi
unzertrennlichen Zahnpasten exakt datieren sollte, müsste ich lügen. Aber
ich lüge ja auch gern. Allemal lieber als zu recherchieren, deshalb sage
ich einfach mal: in den 1990er Jahren.
„Morgens Aronal und abends Elmex“: So lautete die Botschaft. Man hatte die
beiden unvollständigen Zahnputzmittel erfunden, um dem Gebiss die zu diesem
Zweck eigens getrennten Hauptwirkstoffe, hier gegen Karies, da gegen
Parodontose, jeweils einzeln zuzuführen, Das gewährleistete angeblich den
optimalen Schutz.
Was kompletter Unsinn war, da jeder anderer Zahnpastahersteller, der mehr
als zwei Gehirnzellen sein eigen nannte, die Komponenten selbstverständlich
zusammenschmiss, damit die Nutzer morgens und abends in den Genuss eines
lückenlosen Vollschutzes kämen.
Aber die verkauften dann eben auch nur eine Tube, wo die gerissenen Aronal-
und Elmex-Leute immer zwei auf einmal verhökern konnten. Eine äußerst
aggressive Werbestrategie machte das möglich. In meiner Erinnerung wurden
Aronal und Elmex als das ideale Gleichgewicht des Schreckens lanciert, ein
Schrecken zumindest für Karius und Baktus, um hier zwei weitere Ikonen der
bundesrepublikanischen Zahnhygiene des ausgehenden zweiten Jahrtausends
anzuführen.
In meiner Erinnerung waren Aronal und Elmex über Jahre hinweg ohne die
jeweils andere Paste überhaupt nicht denkbar. Ohne die ergänzende
Unterstützung des kongenialen Schwestermittels, so suggerierte der mahnend
fuchtelnde Zeigefinger des Anbieters, wäre eine jede nur für sich allein
bestenfalls wirkungslos, wenn nicht gar kontraproduktiv. Denn wer glaubte,
sich eine der beiden Pasten sparen zu können, erzielte den gleichen Effekt,
wie wenn er sich die Zähne mit konzentriertem Zuckerwasser putzen würde.
Noch gefährlicher war es, die beiden in verbotener Reihenfolge zu nehmen.
Denen, die also abends Aronal und morgens Elmex auf die Bürsten quetschten,
drohte nichts geringeres als der Tod.
## Ein geniales Werbekonzept, um geradewegs Milliardär zu werden
Und das, obwohl in der Fernsehreklame eindringlichst vor dieser Form des
Missbrauchs gewarnt wurde. Denn das lernte man schon im ersten Semester auf
der Werbekaufmannsschule: Angst ist der Schlüssel zum Verkaufserfolg.
Versicherungen, Fahrradhelme, Pillen gegen alles Mögliche – wer die
Furchtsamkeit der Konsumenten geschickt zu nutzen wusste, war praktisch
schon Milliardär. Und diese beiden als Gegenspieler aufzubauen und zu
etablieren, also Elmex praktisch als rettendes Gegengift zu Aronal, war im
Prinzip genial.
Was man dabei jedoch schändlich vertan hat, ist der Elfmeter einer sicheren
Eselsbrücke: A wie Aronal wie abends; M wie in Elmex wie in morgens. Also
morgens Elmex und abends Aronal. Der Ball lag auf dem Punkt, die Werbeleute
hätten ihn einfach nur reinhauen müssen: Die Aronal-Rezeptur mit der Formel
der Elmex-Rezeptur versehen und umgekehrt. Die Verbraucher hätten sich das
so viel leichter merken können, für alle Zeiten ein sicheres Produkt.
Aber nein. „Morgens Aronal, abends Elmex.“ Bämm! Wie blöd kann man
eigentlich sein? Aus genau diesem Grund musste es geradezu zwangsläufig zu
Unfällen kommen. Jedem von uns sind die schockierenden Bilder sattsam
bekannt: Wir warten morgens an einer Bushaltestelle; in unseren Rücken
öffnet sich eine Haustür, und da noch eine und dort eine weitere.
Verzweifelte Menschen, nackt, im Nachtgewand oder im Morgenmantel stürzen
unter entsetzlichen Schreien aus ihren Häusern und auf die Straße, Rettung
erheischend oder auch nur irgendwie Linderung, um jeden Preis, und sei es
durch einen schnellen Gnadentod, herbeigeführt durch den herannahenden Bus.
Sie müssen schreckliche Schmerzen haben, die Gesichter sind verzerrt, die
blutigen Münder aufgerissen, und voller Schaum husten sie ihre gesammelten
Beißerchen durch die Gegend. Und alle Zeugen dieser schlimmen Szene wissen
sofort Bescheid: Hier hat wieder eine Unglückliche am Morgen zu Elmex
gegriffen.
Solche Vorfälle waren natürlich nicht das beste Verkaufsargument. Und so
kam es, wie es kommen musste, das symbiotische System eines polaren
Dualismus war gescheitert, nur eine der beiden Teilmarken konnte
fürderhin überleben.
Ein blutiger Verdrängungskampf setzte ein. Hier sabotierten Arbeiter von
Aronal die Produktion bei Elmex, da setzten Elmex-Kommandos eine
Aronal-Fabrik in Brand. Elektrische Zahnbürsten wurden zu Drohnen
umfunktioniert, die Fluoridbrandbomben auf Werkhallen und die Nachschubwege
für Eukalyptus, Zink und Putzkörper fallen ließen. Auf dem Weg zu ihren
Produktionsstätten wurden Arbeitswillige an Straßensperren aus straff
gespannter Zahnseide von Guerillas der jeweiligen Feindpasta aus ihren
Autos gezogen und zuweilen gar kurzerhand wurzelbehandelt. Der unerbittlich
tobende Bruderkampf forderte nicht wenige Opfer.
## Ein vergessenes Produkt, nur noch in wenigen Geschäften zu kaufen
Am Ende hatte Aronal verloren. Nur noch ausnahmsweise sieht man ein paar
verschämt zwischen Rattengift und Klosteinen versteckte Restbestände in
heruntergekommenen Drogerien irgendwo am Stadtrand inmitten eines
abgewrackten Industriegebiets. Die wenigen Aronal-Fabriken, die das Fiasko
einigermaßen unbeschadet überstanden hatten, wurden für die Herstellung von
Elmex umgewidmet. Loyale Aronalisten wurden entlassen; Überläufer, Verräter
oder Wendehälse durften, im Anschluss an eine ganz kurze Überprüfung und
Entaronalisierung, bleiben. Auch mit ihrer Hilfe wird seither das neue
Elmex-Imperium vergrößert.
Als wäre nichts gewesen, wird jetzt behauptet, man könne auch nur Elmex
nehmen. Auf einmal gibt es „Elmex Sensitive“, „Elmex Super Sensitive“ u…
„Elmex Volle Pulle Sensitive“. Elmex, Elmex, Elmex und kein Aronal. Ein
Protagonist ohne Antagonisten. Von Aronal ist keine Rede mehr, als hätte es
das nie gegeben. Es wird praktisch totgeschwiegen, das schwarze Schaf einer
sehr kleinen Zahnpastafamilie. Eben noch waren wir, waren unsere Zähne, war
Elmex ohne Aronal quasi nicht lebensfähig. Und nun braucht man das
angeblich einfach nicht mehr? Also war es niemals falsch, geschweige denn
gefährlich gewesen, ausschließlich Elmex zu benutzen?
Das kann nur eines heißen: Man hat uns offenkundig jahrelang belogen.
28 Feb 2025
## AUTOREN
Uli Hannemann
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