# taz.de -- Die Wahrheit: Pfortenschließer im Paradies | |
> Warum nur sollte man im Winterurlaub weit weg in der Ferne mit den innen | |
> und außen braungebrannten Anwesenden sprechen? Ein Schweigereport. | |
Wir machen Urlaub auf einer kleinen Insel in Thailand. Relativ lange, dafür | |
mit Arbeit. „Worcation“, sagen dazu die unter Fünfzigjährigen – wir Alt… | |
nennen es wie Goethe noch „Arberien.“ | |
Nach einer Weile äußert meine Frau den Wunsch, mit Menschen zu sprechen. | |
Und zwar, in Ermangelung thailändischer Sprachkenntnisse, mit wildfremden | |
anderen Touristen. Auf einem Schnorchelausflug quatschen wir mit Leuten aus | |
Finnland, Holland, Kanada und auch einer Berlinerin. | |
Meine Frau blüht auf. Sie braucht das, sie unterhält sich gern mit | |
Menschen. Ich könnte das ja nicht. Manchmal versucht sie sogar mit mir zu | |
reden, wenn sonst keiner da ist, aber da beißt sie schnell auf Granit; | |
vielleicht ein weiterer Grund dafür, warum sie im Urlaub immer mit so | |
random Leuten quackelt. Sorry, aber wenn man das Schweigen nicht aushält, | |
kann man eben nicht so lange in den Urlaub fahren. So einfach ist das, | |
meine Meinung. | |
Am Abend nach dem Ausflug bin ich fix und fertig. War ja schön, mit | |
Menschen zu sprechen, aber noch schöner, dass es jetzt vorbei ist. Bei mir | |
reicht das dicke für den Rest des Urlaubs. | |
Doch bereits am nächsten Tag sehen wir die Berlinerin beim „Charly“ wieder. | |
Das ist nämlich die Dynamik dieser kleinen Urlaubsinseln. Die immergleichen | |
Touristen stanzen sisyphosisch die immergleichen Trampelpfade in den | |
abwechslungsarmen Mikrokosmos: über die abgezählten Strände, Restaurants | |
und Bars zur Sundowner-Location und am Ende immer zum „Charly“. | |
## Alte in Sandalen | |
Man begegnet sich ständig. Ah, da sind wieder die beiden Alten in den | |
Trekking-Sandalen. Ah, da ist wieder die Familie mit den kleinen Kindern, | |
die immer mit zwei Scootern fährt. Ah, da ist wieder die Trulla mit der | |
affigen Hibiskusblüte im Haar. Ah, da ist wieder das junge Paar, das | |
gestern mit uns auf dem Schnorchelausflug war. | |
Und auf jeder dieser kleinen Inseln gibt es den besonders angesagten Laden, | |
den, ich nenn ihn hier mal pauschal, der „Charly“ führt, ein ostentativ gut | |
gelaunter Aussteiger, seltener ein Einheimischer. Da hocken dann immer die | |
ganzen Expats, Digital Nomads, Rentner oder Leute, die aus den | |
verschiedensten seidenen oder halbseidenen Gründen unbedingt ihr Land | |
verlassen wollten; dazu diejenigen Touristen, die etwas auf sich halten, | |
und trinken Cocktails. Die Expats verachten die Touris: Sie kennen sich | |
nicht aus und gehören nicht dazu. Doch aus demselben Grund brauchen sie sie | |
auch, um sich ihnen überlegen zu fühlen – wegen dieser Symbiose dürfen auch | |
wir mit beim „Charly“ sitzen. | |
Wir sagen „Ach, hallo“, sie auch „Ach, hallo“, diesmal ist ihr Typ mit | |
dabei – ich steuere selbstverständlich einen Platz weiter hinten an, damit | |
die Leute hier auch ein bisschen Privacy haben und wir selbst ebenfalls, | |
klar. Man will sich im Urlaub ja nicht auf die Nerven gehen. | |
Doch meine Frau setzt sich, setzt uns, einfach direkt daneben. Labern die | |
doch glatt weiter. Ich fand die gestern auch nett. Gar keine Frage. Aber | |
deshalb muss ich doch kein zweites Mal mit ihr sprechen. Wir kennen die | |
doch gar nicht. Wer weiß, womöglich entpuppt sie sich dann auch als weniger | |
nett und man hätte sich ohne Not die positive Erinnerung kaputt gemacht. | |
Ihr Freund sagt auch eher wenig. Der findet das wohl selber komisch. | |
„Müssen wir die kennen?“, fragt sein Gesicht. Ich bin also nicht allein, | |
hätte mich ja auch gewundert. Wir sind viele, die Stimmen der Vernunft. Wer | |
mich hier als sozial gestört framen will, ist schief gewickelt. Ich bin nur | |
zurückhaltend. | |
Und zwar aus einschlägiger Erfahrung. Denn auf der kleinen griechischen | |
Insel, auf der wir im Herbst manchmal sind, urlaubt zur gleichen Zeit immer | |
auch ein österreichisches Paar unseres Alters im Appartement über unserem. | |
Der Typ ist meine totale Nemesis. Denn Ösis können die tollsten Menschen | |
sein, die es gibt, aber eben auch die schlimmsten. | |
Bei jedem Gang dort lässt der Ösi demonstrativ die Gartentür auf. Es ist | |
aber gar nicht allein seine Gartentür, sondern die vom Haus. Ich mache sie | |
dann immer zu. Er lässt sie wieder auf. Sperrangelweit. Ich mache sie | |
wieder zu. Gott, wie ich den Typen hasse. | |
## Hippies mit Flipflops | |
Und mich zugleich auch ein bisschen. Ich sehe mich mit seinen Augen. Den | |
unentspannten Piefke, den Spießer, den depperten Pfortenschließer. Mei, | |
Bua, samma im Süden, samma easy. Er ist dagegen so ultralocker, ein lässig | |
gebräunter Hippie, der trotzdem FPÖ wählt – einen solchen Spagat bringen | |
nur die Ösis fertig. Haider, Strache, lässige Skilehrergaudiburschen, mit | |
drei Jagatee im Hirn auf der schwarzen Piste in Mauthausen – hei, und obi! | |
Oder sie sitzen unten beim „Charly“ in der Beachbar, der dort | |
wahrscheinlich „Georgios“ heißt, und schlürfen Moscow Mule; Hitler trägt | |
Flipflops, Adiletten, gäh wie leiwand. | |
Unsere deutschen Nazis sind im Vergleich derart unsexy, dass es kracht. | |
Uncharismatische, verkniffene Schreibtischtäter in schlecht sitzenden | |
Anzügen. Sie lächeln, als hätten sie das vorm Zerrspiegel auf dem | |
Rummelplatz geübt. Ich verstehe nicht, wie gerade junge Leute so was wählen | |
können. | |
Der Honk kommt sich jedenfalls dermaßen hammergeil vor, wie er jeden Morgen | |
mit seinen arschlangen grauen Haaren und freiem Oberkörper, innen wie außen | |
braungebrannt und nur mit einem umgekrempelten Neoprenschurz angetan, auf | |
seinem Moped runter brummt zum Strand: Frühschwimmen, Training für den | |
Triathlon, was auch immer. Gartentür natürlich aufgelassen. Das | |
Urlaubsgesicht des Faschismus. Ich woanders hin zum Frühschwimmen, Training | |
für den Monothon. Gartentür zu. | |
Laut quäkend ösit er oben auf seiner Terrasse herum – ein Singsang wie eine | |
schlecht geölte Tür. Seine Frau ist angenehmer. Den Torkrieg überlässt sie | |
den Männern, sie geht einfach außen ums Haus herum. Das ist sogar | |
schneller, was einmal mehr beweist, dass der Depp das aus reiner | |
Provokation abzieht. Wenn die nächsten Herbst wieder da sein sollten, zieh | |
ich seinem Moped die Zündkerze raus und schmeiß sie ins Meer. | |
Doch zurück zu unserer kleinen thailändische Insel. Der Gesprächsstoff ist | |
ein anderer als zu Hause. Wenn wir wieder in Deutschland sind, gehen wir | |
dem Vernehmen nach ein letztes Mal zur Wahl, das wird es dann gewesen sein. | |
Doch unser Hauptthema vor Ort ist stattdessen die original fränkische | |
Bratwurst, die es beim „Charly“ gibt. Mit Demokratie haben sie es in diesen | |
Urlaubsländern ja oft ebenfalls nicht so. Bestimmt ist es hier deshalb auch | |
so schön. | |
8 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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