Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kritik am Nobelpreis: Forscherinnen bleiben die Ausnahme
> Acht Männer haben diesmal für ihre herausragende Forschung den Nobelpreis
> erhalten. Noch immer steht der Preis vor strukturellen Problemen.
Bild: Viele Nobelpreisträger*innen sind wie Alfred Nobel selbst: Weiß, männl…
Statistisch gesehen passen die Gewinner der diesjährigen Nobelpreise in
Biologie, Physik und Chemie gut zu ihren vielen Vorgängern. Sie sind meist
weiße, über 50-jährige Männer, geboren in den USA oder Großbritannien.
Die Themen der Preise geben aber auch einen Blick auf die Fortschritte, die
künstliche Intelligenz (KI) in der Forschung ermöglicht haben und welchen
Stellenwert sie dort mittlerweile und wohl auch zukünftig haben wird. Für
den Umgang mit KI brauche „verantwortliche Wissenschaft die Aufsicht des
Menschen“, sagte der Vorsitzende des Chemie-Nobelkomitees, Heiner Linke.
Sowohl der Preis in Physik als auch der in Chemie honorieren die
Fortschritte, die KI ermöglicht. [1][Für ihre Grundlagenforschung zu
neuronalen Netzwerken, auf denen KI basiert, gewannen der 92-jährige John
Hopfield und der 76-jährige Geoffrey Hinton]. Ihre Entwicklung ermöglicht
heute die Gedächtnisfunktion von KI.
Es waren auch Fortschritte in der KI, die die Vorhersage von
Proteinstrukturen allein auf Grundlage ihrer Aminosäuresequenz ermöglicht
haben. Mehr als 50 Jahre war das in der Forschung unmöglich. Für ihren
[2][Durchbruch haben Demis Hassabis und John Jumper die Hälfte des
diesjährigen Preises gewonnen]. Die andere ging an David Baker, für seine
Pionierarbeit im Protein Design. Wie bei den Physik-Nobelpreisträgern
liegen die Forschungserfolge oft über 20 Jahre zurück.
## Durchbruch und Preis liegen immer weiter auseinander
Die Abstände sind seit dem ersten Nobelpreis 1901 immer größer geworden.
Erst wenn die großen Linien der Arbeit sichtbar werden, wurden sie
ausgezeichnet. Den Preis in Biologie [3][haben die zwei Forschenden Victor
Ambros und Gary Ruvkun, 70 und 72, für ihre Arbeit an der microRNA
erhalten]. Diese kleinen RNA-Moleküle spielen eine bedeutende Rolle in der
Genregulation.
Aber genauso wie seit Jahrzehnten ist der höchste Preis der Wissenschaft
auch heute noch ein männerdominierter westlicher Preis, wie Daten zeigen.
Am Montag, dem 14. Oktober, wird noch der letzte Forschungspreis vergeben,
in Wirtschaft. Dieser Preis wird erst seit 1969 verliehen.
## Forschung ist männlich
Frauen, die an den Entdeckungen der Nobelpreise maßgeblich beteiligt waren,
wurde in der Vergangenheit bei der Preisvergabe immer wieder übergangen.
Etwa die Biochemikerin [4][Rosalind Franklin] oder die [5][Kernphysikerin
Lise Meitner]. Die Quote der Frauen unter den Nobelpreis-Sieger*innen ist
miserabel. Nur 59 Frauen erhielten seit 1901 den Preis.
Am schlechtesten schneiden sie in der Physik ab. Gerade mal zwei Prozent
der Ausgezeichneten in dieser Kategorie sind weiblich. In den anderen
Forschungsfeldern sieht es ähnlich aus. Höher liegt der Anteil nur
außerhalb der Forschung in der Literatur und beim Friedensnobelpreis, dort
sind es um die 14 Prozent.
Für die schlechte Quote ist nicht allein das Gremium um den Preis
verantwortlich. Forscherinnen in Spitzenpositionen sind bis heute
unterrepräsentiert. In Deutschland waren 2020 etwa ein Drittel der
Professuren von Frauen besetzt, obwohl unter Studierenden der Anteil
wesentlich höher ist. Zudem geht ein Großteil der aktuellen Nobelpreise an
Forschungserfolge aus den 90ern und 2000er hervor, in denen die Verteilung
global noch ungleicher war.
Bis heute bleiben Frauen wie Marie Curie die Ausnahme. Sie hat 1903 nicht
nur als erste Frau den Preis gewonnen, sondern auch als eine von nur fünf
Preisträger*innen hat sie zwei Auszeichnungen erhalten, in den
Kategorien Physik und Chemie. Seit Anfang der 2000er wurden wesentlich mehr
Frauen ausgezeichnet. Bis zur Jahrtausendwende erhielten in den
Naturwissenschaften über die knapp hundert Jahre insgesamt elf Frauen den
Preis. Seitdem waren es bereits 15.
## Eine große Forschungsfamilie
[6][Fast alle Nobelpreisträger*innen kennen sich]. Also nicht direkt,
aber sie stammen aus den gleichen akademischen Familien. Nicht weniger als
702 von 736 Forscher*innen bis einschließlich 2023 aus Chemie, Physik,
Medizin und Medizin waren irgendwann in der Geschichte mal miteinander
verbunden.
Angefangen hat es etwa mit John W. Strutt. 1904 gewann er den Nobelpreis in
Physik für seine Forschung über die Eigenschaften von Gasen. Einer seiner
Lehrlinge, Joseph Thomson, wurde dann 1906 ebenfalls ausgezeichnet und
trainierte neun weitere Nobelpreisträger in Physik und Chemie. Ausgehend
von [7][Strutt folgten ihm mit 228 die meisten akademische Nachkommen], die
ebenfalls den Preis erhielten. Der Nobel-Staffelstab übergaben sie als
Mentor*innen an ihre Schüler*innen über Generationen hinweg. Selbst
wenn sie mal eine Generation aussetzen.
Geht man also in ein Labor, in dem schon einmal ein*e
Nobelpreisträger*in gearbeitet hat, steigen die Chancen, selbst einen
zu bekommen.
Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Womöglich fördert Talent wiederum
Talent und zieht dieses an. Aber auch Klüngelei könnte ein anderer Grund
sein. Indem etwa Nobelpreisträger*innen ihren wissenschaftlichen
Nachwuchs immer wieder für den Preis nominieren. Denn nur wer von anderen
vorgeschlagen wird, kann einen Nobelpreis überhaupt erhalten. Wer
nominieren darf, entscheidet das Nobelpreiskomitee.
Auch das könnte zu den immer gleichen Typen führen, die den Nobelpreis
gewinnen. Am Ende bleibt alles gleich.
## Preis des globalen Nordens
Vier von fünf Nobelpreistragenden kommen aus Europa oder Nordamerika.
Besonders häufig gingen die Preise in die USA, nach Großbritannien und
Deutschland. Preisträger aus anderen Ländern haben im Verlauf ihrer
Forschungskarriere häufig dort gearbeitet. Das Bewusstsein dafür ist in der
Nobelpreiskommission zwar gewachsen, so wurde mehr über Herkunft und
Geschlecht gesprochen. Aber in den Vergaben zeigt sich das nicht.
Einer der wichtigsten Gründe liegt im Kapital. Forschung kostet Geld, davon
haben die großen etablierten Institutionen viel und sie werden staatlich
gut gefördert. Ein Ansatz dagegen können Forschungskooperationen sein. Die
Macht in ihnen haben aber zumeist die mit dem Geld und so entstehen teils
neue Abhängigkeiten. Aber es geht auch um Veröffentlichungen. Am
wichtigsten sind die Erst-Autor*innenschaften, also zuerst im Paper genannt
zu werden, sowie die Zitate.
Dafür sinken die Chancen, wenn die Forschenden aus dem Globalen Süden
kommen, zeigt auch eine Studie des Soziologen Charlie Gomez [8][im
Fachmagazin Nature Human Behaviour]. Also stehen Forschende in
Kooperationen häufiger hinten dran und treten seltener als Führungspersonen
auf. Ein kleiner Shift ist dennoch sichtbar. In den letzten 30 Jahren
gewannen zunehmend auch Menschen vom asiatischen Kontinent, allen voran
Japan. Preisträger*innen gab es zudem aus Israel, Indien und China.
Auch vom afrikanischen Kontinent gab es Preisträger*innen in den
Naturwissenschaften – insgesamt acht. So gut wie alle haben europäische
Eltern.
11 Oct 2024
## LINKS
[1] /Physik-Nobelpreis/!6041677
[2] /Physik-Nobelpreis/!6041677
[3] /Medizinnobelpreistraeger-im-Portraet/!6038088
[4] /DNA-Entdeckung-beruht-auf-Ideendiebstahl/!5927364
[5] /Frauen-in-der-Naturwissenschaft/!5982128
[6] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0234612
[7] https://link.springer.com/article/10.1007/s11192-024-04936-1
[8] https://www.nature.com/articles/s41562-022-01351-5
## AUTOREN
Adefunmi Olanigan
## TAGS
Nobelpreis
Forschung
Wissenschaft
Westen
Frauen
Netzwerk
Feminismus
GNS
Sexualisierte Gewalt
Nobelpreis
Chemie
Schwerpunkt Coronavirus
Interview
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gewalt gegen Frauen: Und die Politik schweigt
Dank des Muts von Gisèle Pelicot sprechen wir endlich wieder über
sexualisierte Gewalt. Es ist Zeit, dass die Politik ihrer Verantwortung
nachkommt.
Wirtschaftsnobelpreis: Ausgezeichnete Binsenweisheit
Der Wirtschaftsnobelpreis geht an Daron Acemoglu, Simon Johnson und James
A. Robinson. Sie haben die Gründe für Wohlstand erforscht.
Nobelpreis für Chemie: Proteinforscher gewinnen Nobelpreis
David Baker, John Jumper und Demis Hassabis erhalten in diesem Jahr den
Preis. Sie werden für ihre Forschungen zur Struktur von Proteinen geehrt.
Nobelpreis für Medizin: Aus der Zeit gefallen
Das Nobelkomitee hat sich dagegen entschieden, Verdienste um die
mRNA-Forschung auszuzeichnen. Das ist mutlos und zeigt: Der Preis ist ein
Relikt der Vergangenheit.
Regisseurin über „Marie Curie“: „Hart, konzentriert, kompromisslos“
Marjane Satrapi porträtiert Marie Curie in ihrem Film als wahnsinnig sture
Wissenschaftlerin. Niemand gewinnt Nobelpreise, indem er Kuchen backt, sagt
sie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.