Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kritik am Sicherheitspaket: Gefährliche Datenspeicherung
> Teile des neuen Sicherheitspakets könnten eine weitreichende Überwachung
> der Bevölkerung erlauben. Einige Maßnahmen verstoßen gegen das
> Grundgesetz.
Bild: Seit dem Attentat in Solingen fordern Behörden die Befugnis zum biometri…
Der Ruf nach mehr Sicherheit ist immer dann laut, wenn etwas passiert ist,
wie jetzt nach dem islamistischen Attentat [1][in Solingen]. Die Politik
ist unter Druck, die Öffentlichkeit fordert Konsequenzen, die Opposition
treibt die Koalition, und die Regierung zeigt Aktivismus. Ja, es ist eine
zentrale Aufgabe des Staates, für Sicherheit zu sorgen. Aber was nun als
Gesetzespaket auf dem Tisch liegt, [2][ermöglicht Grundrechtseingriffe] von
ganz erheblichem Ausmaß und kann bei Missbrauch zur tiefgreifenden
Überwachung führen.
Dabei ist keineswegs sicher, ob die geplanten Maßnahmen ein solches
Attentat hätte verhindern können und ob sie in einem angemessenen
Verhältnis zu dem versprochenen Gewinn an Sicherheit stehen.
Entsprechend ist das Urteil vieler Sachverständigen bei der Anhörung im
Bundestag ausgefallen. Dennis-Kenji Kipker von der Universität Bremen
spricht von einem „sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau“, die
Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider von einem
Gesetz, welches „morgen in Karlsruhe kassiert wird“, und Christoph Sorge
von der Universität Saarland von einer „Superdatenbank“, was „so rechtli…
nicht haltbar“ sein dürfte.
Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert die
geplanten neuen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden als
„verfassungsrechtlich hoch bedenklich“ und einen Verstoß gegen das
Europarecht. Auch im Digitalausschuss konnten die Vertreter:innen des
Bundesinnenministeriums die Zweifel nicht zerstreuen, im Gegenteil.
## Der Fall Daniela Klette
Die Sicherheitsbehörden sollen die Befugnis zum biometrischen Abgleich von
öffentlich zugänglichen Bildern und Stimmen im Internet erhalten, um
gesuchte Personen identifizieren zu können. Dabei wird auf den Fall der
untergetauchten früheren RAF-Terroristin [3][Daniela Klette] verwiesen, die
Journalisten Anfang des Jahres mithilfe eines (rechtwidrigen) KI-Tools zur
Gesichtserkennung im Internet aufgespürt hatten.
Schnell wurde gefordert, Sicherheitsbehörden die Fahndung mit solchen Tools
zu ermöglichen. Nun existiert aber bislang kein Programm, das das gesamte
Internet und insbesondere soziale Netzwerke ad hoc einfach so durchscrollen
kann; es ist auch in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Selbst das
Bundesinnenministerium räumte im Digitalausschuss ein, man könne noch nicht
sagen, wie der Abgleich konkret erfolgen könne.
Klar ist, dass dies mit verfügbaren Programmen nicht erlaubt ist. Zum
Abgleich bedarf es einer Datenbank. Beim Fall Klette bediente man sich
alter Fahndungsfotos, die in dem Gesichtserkennungstool hochgeladen wurden.
Überträgt man das auf die geplanten Befugnisse für die Sicherheitsbehörden,
müsste eine große Datenbank angelegt werden, die einen
Gesichtserkennungsabgleich erst ermöglicht.
Dazu müssten auch Daten von Menschen verarbeitet werden, die individuell
keinen Anlass, etwa in Form eines Verdachts, bieten, der eine Datenerhebung
und -speicherung rechtfertigen würde.
## Zentrale Superdatenbank
Bei der geplanten Erfassung von persönlichen Daten würde der Ausnahmefall
zum Regelfall gemacht. Man käme dem viel befürchteten „gläsernen Bürger“
näher als jemals zuvor. Eine solche zentrale Superdatenbank würde also jede
Art der bisher diskutierten Vorratsdatenspeicherung in den Schatten stellen
und könnte anlasslos jeden Bürger, jede Bürgerin treffen. Nach der
Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung ist diese im Sicherheitspaket
vorgesehene Maßnahme weder mit dem Grundgesetz noch mit Europarecht zu
vereinbaren.
Es drängt sich der Eindruck auf, das Bundesinnenministerium und die
Sicherheitsbehörden nähmen die derzeitige Stimmung zum Anlass, ihre
Befugnisse derart zu erweitern, wie sie es in der Vergangenheit schon oft
(erfolglos) versucht hatten.
Jüngstes Beispiel ist das BKA-Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht
vergangene Woche für teilweise rechtswidrig erklärte. Man bedenke
angesichts einer an Stärke gewinnenden Rechten nur, wie
Antidemokrat:innen solche Instrumente gegen missliebige
Kritiker:innen einsetzen könnten.
Massive Eingriffe in die Grundrechte müssen immer geeignet, erforderlich
und angemessen, also verhältnismäßig sein. Dies sehen wir nicht.
## Unbekannte Dimensionen der Überwachung
Wir Grüne sind zur Bundestagswahl mit dem Vorhaben angetreten, die
Sicherheitsgesetzgebung auf den Prüfstand zu stellen. Im Koalitionsvertrag
haben wir uns auf eine sogenannte Überwachungsgesamtrechnung – übrigens
eine Auflage des Bundesverfassungsgerichts – sowie auf die Gründung einer
unabhängigen Freiheitskommission verständigt.
Erstere soll die Überwachungsgesamtlast der Bürger:innen bemessen;
Letztere soll Bürgerrechte und Freiheit gegen die Eingriffsbefugnisse der
Sicherheitsbehörden abwägen und damit als Schutzinstrument gegen übermäßige
staatliche Kontrolle dienen. Leider wurden beide Projekte bisher nicht
umgesetzt.
Stattdessen geht die Bundesregierung nun in die entgegengesetzte Richtung.
Bevor die überfällige Bilanz der bereits bestehenden Überwachungsgesetze
gezogen ist, diskutiert der Bundestag nun über neue, noch weiterreichende
Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, die bislang unbekannte Dimensionen
der Überwachung eröffnen.
Aufgrund der in Rede stehenden Befugnisse und des damit verbundenen sehr
intensiven Eingriffs in die Grundrechte fordern 20 Organisationen der
Zivilgesellschaft in einem offenen Brief die Abgeordneten auf, das
Sicherheitspaket abzulehnen, Rechtsstaatlichkeit zu wahren und die
Grundrechte zu schützen. Nicht nur dieser Appell sollte Anlass genug sein,
das Sicherheitspaket einer differenzierten Betrachtung zu unterwerfen und
die verschiedenen Befugnisse auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen.
Dabei sollte auch bedacht werden, inwieweit bereits bestehende
Ermächtigungen schlicht konsequent vollzogen werden müssten, um
ausreichende Sicherheit zu garantieren. Wir werden uns für diese
differenzierte Betrachtung in der Koalition einsetzen. Einer uferlosen
Verarbeitung persönlicher Daten werden wir uns verweigern. Den
Sicherheitsbehörden darf kein Freifahrtschein in eine unbekannte Zukunft
ausgestellt werden. Es muss mit den wesentlichen Akteur:innen wie den
Datenschutzbeauftragten, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft an
verfassungskonformen Lösungen gearbeitet werden.
9 Oct 2024
## LINKS
[1] /Anschlag-in-Solingen/!6030795
[2] /Karlsruhe-zum-BKA-Gesetz/!6036968
[3] /Ex-RAF-Terroristin-Klette/!6036126
## AUTOREN
Tabea Rößner
Sabine Grützmacher
## TAGS
Datenschutz
Sicherheitsbehörden
Gesichtserkennung
GNS
Datenschutz
Vorratsdatenspeicherung
Ampel-Koalition
Ampel-Koalition
Ampel-Koalition
Bundeskriminalamt
Rote Armee Fraktion / RAF
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Datenschutzbeauftragte schlägt Alarm: Wer darf die Geheimdienste kontrollieren?
Union und SPD wollen mehr Überwachung durch die Geheimdienste. Warum die
Datenschutzbeauftragte vor einer Novellierung warnt.
„Quick Freeze“: Nur noch schnell Daten einfrieren
Justizminister Buschmann kann endlich seinen Gesetzentwurf für eine
Alternative zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen. Das Kanzleramt gab grünes
Licht.
Ampel-Gesetzesvorhaben: SPD-Abgeordnete lehnen Sicherheitspaket ab
Gegen das geplante Sicherheitspaket gibt es vom linken Flügel der SPD
massiven Widerstand. Auch die Jusos sind dagegen und nennen es „Politik
gegen die Menschenwürde“.
Sicherheitspaket der Ampelparteien: Verschärfungen geplant
Die Ampelkoalition hat beim Sicherheitsgesetz nachgebessert. Ende der Woche
sollen die Gesetze beschlossen werden.
Nach Solingen-Anschlag: Ampel einig über Sicherheitspaket
In Asylfragen ergeben die Nachverhandlungen im Bundestag wenig Änderungen.
Ausreisepflichtigen Dublin-Flüchtlingen werden Sozialleistungen gestrichen.
Karlsruhe zum BKA-Gesetz: Verhältnismäßig kompliziert
Karlsruhe ist das Gesetz zur BKA-Datenbank zu unpräzise. Es ist wichtig,
nach der Verhältnismäßigkeit zu fragen, auch wenn es Gesetze komplexer
macht.
Ex-RAF-Terroristin Klette: Haftbefehl erweitert
Seit Ende Februar sitzt die frühere RAF-Terroristin Daniela Klette in
Niedersachsen in Untersuchungshaft. Jetzt wird sie weiterer Taten
beschuldigt.
Rassismus in Algorithmen: Gesichtserkennung für die Tonne
In Detroit findet die Polizei per Gesichtserkennung einen mutmaßlichen
Dieb. Der aber sieht nicht annähernd wie der Täter aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.