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# taz.de -- Konsequenzen nach Österreichwahl: Engagiert und verbissen
> Leidenschaft kann in Sturheit enden. Die österreichischen
> Sozialdemokraten müssen die Ursachen für das Wahlergebnis auch bei sich
> selbst suchen
Bild: Andreas Babler, Vorsitzender der Sozialdemokraten (SPÖ), nach der Bundes…
Manchmal, nein, unglücklicherweise sogar eher häufiger, muss ich an die
schöne Formulierung von George Orwell denken: „Wie bei den Christen sind
beim Sozialismus seine Anhänger die schlechteste Reklame.“ Orwell dachte an
wirre Zausel, aber auch an Doktrinäre, an Besserwisser, die sich so gerne
selbst reden hören, und an Charaktere ähnlicher Art. Sie kennen das. Sie
können gerne auch statt „Sozialismus“ eine ganze Reihe unterstützenswerter
Anliegen einfügen.
Sie stoßen bestimmt in jedem Fall auf ganze Bataillone von Anhängern, die
„die schlechteste Reklame“ der jeweiligen Sache sind. Nun mag es so sein,
dass jede gute Sache auch Schrullis und Spinner aller Art anzieht wie das
Licht die Motten. Hinzu kommt, dass jede echte Überzeugung und die
Leidenschaftlichkeit, mit der man für sie eintritt, die Gefahr der
Über-Überzeugtheit schon in sich trägt und damit das Risiko, in einen
Tunnelblick zu geraten.
Damit geht die Gefahr einher, den Rest der Welt nur mehr in Verbündete und
Feinde zu unterscheiden. Oder dass wir womöglich glauben: Wenn unsere
Argumente noch nicht überzeugen, wird es vielleicht besser, wenn wir
besonders laut und ohrenbetäubend brüllen.
Grundsätzlich sind wir Menschen sowieso gut darin, die Fehler der anderen
krass wahrzunehmen, den eigenen Unzulänglichkeiten gegenüber aber große
Nachsicht walten zu lassen. Für die eigenen Fehler, sofern wir ein
Bewusstsein für diese überhaupt zulassen, finden wir stets mildernde
Umstände.
## Unterstützung für Sozialdemokraten
Ganz nebenbei gesagt, um hier nicht selbstgerecht zu erscheinen, glaube
ich, dass es eine ausgesprochen herausfordernde Aufgabe ist, für die Sache,
der man sich verschreibt, eine gute Reklame zu sein. Dies nur als eine
Bemerkung, damit niemand glaubt, ich sei selber mal wieder fein raus.
In Österreich hatten wir gerade Nationalratswahlen. Von Österreich hört man
nur, wenn wieder einmal etwas mit Nazis ist oder mit gestörten Männern, die
Frauen in Keller einsperren. Die [1][Rechtsextremisten] landeten mit rund
29 Prozent auf Platz eins, die Konservativen stürzten auf 26 Prozent ab und
retteten sich auf Platz zwei, und die Sozialdemokraten landeten weit
dahinter, bei 21 Prozent.
Ich habe nicht nur die Sozialdemokraten unterstützt, sondern explizit deren
neuen Vorsitzenden, Andreas Babler. Aus mehreren Gründen, deren wichtigster
davon: In einer orbanistischen Quasi-Diktatur will ich nicht leben, also
muss man alles tun, um sie zu verhindern.
In den Medien spricht man jetzt gerne von „Verlusten“ der Konservativen und
von einem „Debakel“ der Sozialdemokraten, weshalb viele andere Unterstützer
von Andreas Babler jetzt erklären, dass schon diese Formulierung eine fiese
journalistische Verschwörung sei. Schließlich habe man nicht nennenswert
verloren, die Konservativen schon.
## Es braucht Selbstreflexion
Ich verfolge diese Verbissenheit mit einer gewissen Fremdscham für die
eigenen Leute. Denn: 21 Prozent sind natürlich ein Fiasko, und der Umstand,
dass schon die Wahlen vor fünf Jahren ein Debakel waren, macht es nicht
wirklich kleiner. Manche glauben gar, es sei ein Erfolg, da man trotz
„schwieriger Umstände“ das Ergebnis gehalten habe.
Oh mein Gott, wenn ich das höre, will ich gleich versinken. Wenn [2][man
selbst stagniert, gleichzeitig die Grünen verlieren] – und man alles, was
man an Stimmen von diesen gewinnt, in gleichem Umfang ins
Nichtwählersegment verliert, dann ist das, sorry my french, richtig Oarsch.
Wenn wir dieses Geschehen als Fingerzeig nehmen, der nicht nur für
Österreich ein paar Lektionen bereithält, dann müsste man daran
herumzugrübeln beginnen: Eine Erwartung war ja, dass man mit einem
geerdeten, volkstümlichen, vom Habitus her „proletarischeren“
Parteivorsitzenden und einer energetischen Unterstützerbasis die
Vertrauensverluste in jenen Milieus ein wenig gutmachen kann, die sich von
den „abgehobenen“ Progressiven in den letzten Jahrzehnten „verlassen“
fühlten.
Fakt ist: Man hat hier gar nichts gewonnen und in der „Mitte“ – in eher
bürgerlichen, konservativen Arbeitnehmermilieus – sogar verloren.
Ziemlicher Mist. Gewiss: Dass Babler und sein Team von Teilen der eigenen
Partei teilweise sabotiert wurden, hat dazu auch beigetragen.
## Alles besser als gar keine Meinung
Das ist übrigens das Blöde an der Realität, das es auch so schwer macht,
aus Erfahrungen zu lernen: Sie ist multikausal. Sie ist komplex. Es sind
immer verschiedene Dinge zugleich wahr. Was es erleichtert, dass sich alle
den für sie bequemsten Aspekt des Wahren herauspicken.
Weil es ein so schwieriges Geschäft ist, sich einer Sache mit Leidenschaft
zu verschreiben, und weil es irgendwie oft auch uncool ist, für etwas
einzutreten und dann auch auf Spur zu bleiben, wenn einem der Wind ins
Gesicht bläst, ziehen manche Leute den Schluss, dass es besser ist, für
nichts einzutreten.
Das ist natürlich nicht cool, sondern die billigste Haltung überhaupt. Wir
kennen diesen Typus der neutralen Unberührtheit, der sich die Ironie und
Sarkasmus in alle Richtungen erlaubt und glaubt, der „Unabhängigismus“ wä…
auch noch eine intellektuell besonders überlegene Position.
Bei Reinald Goetz habe ich dazu gerade sehr schöne Zeilen in seinem
Journalband „wrong“ gelesen. „Spießertum“, nennt er diese „Weltdista…
und „außerdem ist aufregenden Dingen gegenüber die kühle, unaufgeregte
Reaktion der Souveränität auch ganz einfach FALSCH, defizitär“.
Sie sei „Kompetenzmangel, die Unfähigkeit nämlich, auf Anlässe adäquat zu
reagieren. Die Machtgeste der inneren Unabhängigkeit interessiert die Welt
gar nicht, sie schränkt nur die eigene Resonanzfähigkeit ein, das
weltadäquate Erkennen und Verstehen. Und die Stilisierung dieses Defizits
zum überlegenen Verfahren verhindert, dass man die Passionen des
Involvements und der Hitze und deren Schönheit entdeckt.“
4 Oct 2024
## LINKS
[1] /Die-EU-nach-der-Oesterreich-Wahl/!6036981
[2] /Wahlerfolg-der-FPOe-in-Oesterreich/!6036899
## AUTOREN
Robert Misik
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