| # taz.de -- Nachruf auf Fania Brancovskaja: Die Partisanin aus dem Wald | |
| > Einst zog Fania Brancovskaja in den Wald bei Vilnius, um gegen die | |
| > Wehrmacht zu kämpfen. Nun ist die jüdische Partisanin mit 102 Jahren | |
| > gestorben. | |
| Bild: Fania Brancovskaja war die letzte lebende jüdische Untergrundkämpferin … | |
| BERLIN taz | „Wir jagten Eisenbahnzüge in die Luft und versteckten Bomben | |
| unter dem Material des Gegners. Wir nahmen Teil an den militärischen | |
| Operationen gegen [1][die Nazi-Besatzer]. Wir schossen und töteten sie. Ja, | |
| das tat ich.“ So sprach eine eher klein gewachsene ältere Dame mit | |
| Kurzhaarfrisur über ihre Jugendjahre, die sie in einem Wald verbrachte. | |
| Fania Brancovskaja hatte Jahrzehnte später längst ihren Frieden mit den | |
| Deutschen gemacht. Sie trat als Zeitzeugin auf, spielte in einem Film mit | |
| und erhielt für ihre Versöhnungsarbeit den Verdienstorden der | |
| Bundesrepublik. Sie war die letzte lebende jüdische Untergrundkämpferin aus | |
| den Wäldern bei Vilnius. Sie wurde 102 Jahre alt und starb diese Woche, wie | |
| die jüdische Gemeinde von Litauen mitteilte. | |
| Von den 60.000 eingesperrten Bewohnern des 1941 eingerichteten | |
| [2][jüdischen Ghettos von Vilnius] überlebten nur wenige. Fast alle wurden | |
| in Ponary, einem Waldgebiet zehn Kilometer von Vilnius entfernt, ermordet, | |
| darunter viele Verwandte von Fania Brancovskaja, geborene Jocheles. | |
| Eigentlich hatte die Widerstandsgruppe mit dem jiddischen Namen Fareynegte | |
| Partizaner Organizatsye (FPO) einen Aufstand im Ghetto geplant. Als sich | |
| das jedoch als unmöglich herausstellte, versuchte die Gruppe, möglichst | |
| viele ihrer Mitglieder aus dem Ghetto zu schleusen. In den Wäldern Litauens | |
| sollten sie sich dem Kampf gegen die Nazis anschließen. Fania hatte zuvor | |
| in einem Keller unter der Ghetto-Bibliothek das Schießen gelernt. Am 23. | |
| September 1943, nur Stunden vor der Auflösung des Ghettos durch die Nazis, | |
| erhielten sie und eine Kameradin den Auftrag, Kontakt zu einer | |
| Partisaneneinheit aufzunehmen. Die Flucht gelang. | |
| ## Eigentlich war sie Lehrerin | |
| Die 21-Jährige stieß zur Partisanengruppe „Für den Sieg!“. Sie zerstört… | |
| Telefonverbindungen, sprengten Brücken und Bahngleise „Wir waren große | |
| Spezialisten“, sagte sie dazu in der Rückschau. Sie schliefen in von | |
| Baumstämmen gedeckten Unterkünften oder selbst gegrabenen Höhlen im Wald. | |
| Bei den Partisanen lernte Fania auch ihren späteren Ehemann Mikhail | |
| Brantsovsky kennen. Im Juli 1944 nahm ihre Einheit an der Befreiung von | |
| Vilnius teil. Aber was hieß Befreiung? Kaum einer der früheren jüdischen | |
| Bewohner im „Jerusalem des Nordens“, wie Vilnius auch genannt wurde, war | |
| noch am Leben. Fania und Mikhail Brantsovsky aber überlebten, gründeten | |
| eine Familie und blieben im sowjetischen Vilnius. Stalin trieb ihr alle | |
| Sympathien für die roten Herrscher aus. Sie arbeitete fortan in der | |
| Statistikbehörde. | |
| Eigentlich hätte Fanias Leben ganz anders verlaufen sollen. Geboren 1922 in | |
| Kaunas, zog ihre Familie fünf Jahre später nach Vilnius. Fania besuchte das | |
| Realgymnasium, wurde zunächst zionistische Pfadfinderin und dann Aktivistin | |
| bei der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol. Sie absolvierte eine | |
| Lehrerinnenausbildung und unterrichtete in einer Dorfschule – bis der | |
| Einmarsch der Wehrmacht alle ihre Pläne zunichte machte. | |
| Anlässlich ihres Todes würdigte Litauens Staatspräsident [3][Gitanas | |
| Nausėda] das Leben von Brancovskaja. Sie habe als eindringliche Zeitzeugin | |
| gegen das Vergessen gekämpft. Zu ihren Lebzeiten gab es aber auch andere | |
| Töne. 2008 bekam sie auf Weisung der Staatsanwaltschaft ungebetenen Besuch | |
| von der Polizei. Sie sei als Partisanin an der Ermordung litauischer | |
| Zivilisten beteiligt gewesen, so die Behauptung von rechtsradikalen | |
| Nationalisten. Die Ermittlungen wurden bald eingestellt. | |
| 25 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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