| # taz.de -- Redakteurin über Straßenmagazin für Kids: „Kinder haben keine … | |
| > Hamburgs Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ bekommt einen Ableger für Kinder. | |
| > Ideengeberin Annette Woywode über Berührungsängste und Präventionsarbeit. | |
| Bild: Platte machen: Die erste Ausgabe der Hinz&Kids erklärt, was das bedeutet | |
| taz: Wie ist die Idee entstanden, ein [1][Straßenmagazin] für Kinder zu | |
| machen, Frau Woywode? | |
| Annette Woywode: Ich habe zwei, drei Mal beobachtet, wie Kinder Obdachlose | |
| auf der Straße gesehen und gefragt haben: „Du, Mama, was macht denn der | |
| Mann da?“ Oder: „Wieso sieht die Frau so komisch aus?“ Da bekam ich mit, | |
| dass die Eltern nicht so richtig wussten, was sie antworten sollen oder | |
| verunsichert waren. Aber die Kinder sehen Obdachlosigkeit tagtäglich. Also | |
| hatten wir das Gefühl: Es wäre doch schön, wenn man den Kindern die Sache | |
| korrekt erklären könnte. | |
| taz: Ist Hinz&Kids auch Präventionsarbeit gegen Ressentiments? | |
| Woywode: Für das Magazin sind wir mit ehemals Obdachlosen in Schulklassen | |
| gegangen und haben die Kinder Interviews machen lassen. Das war zum Teil | |
| rührend. Wenn Fragen unbeantwortet bleiben oder die Kinder Unsicherheiten | |
| bemerken, werden sie oft selbst unsicher oder bekommen Ängste, die nicht | |
| sein müssten. Von daher ist es tatsächlich eine Art Präventionsarbeit, aber | |
| das ist mir eigentlich erst im Nachhinein klar geworden. | |
| taz: Was war das Rührende bei den Gesprächen? | |
| Woywode: Ich war zum Beispiel in einer Schulklasse mit einem Kollegen aus | |
| dem Vertrieb, der war früher selbst obdachlos. Die Kinder durften ihn | |
| interviewen und dabei kam zur Sprache, dass er als Jugendlicher obdachlos | |
| war. Die Kinder haben ihn gefragt: „Bist du sauer auf deine Eltern?“ und am | |
| Ende wollten sie ihn umarmen und abklatschen. Einem | |
| [2][Hinz&Kunzt-Verkäufer], mit dem ich in einer anderen Klasse war, wollten | |
| sie am Ende ihre Brote schenken, und haben sie dann auf seine Unterarme | |
| gestapelt, weil er gar nicht so viele in der Hand halten konnte. Die Kinder | |
| haben nicht unbedingt von vornherein Vorbehalte. Die kommen erst mit der | |
| Zeit, weil die Gesellschaft Obdachlose häufig stigmatisiert. | |
| taz: In dem Interview erzählt ein Kind, dass es von einem Obdachlosen | |
| beleidigt wurde und Angst hatte. Das fand ich sehr offen und zugleich | |
| herausfordernd für den, der darauf reagieren soll. | |
| Woywode: Erwachsene würden das auch fragen, aber sie würden das anders | |
| formulieren, etwa: „Der steht ja die ganze Zeit unter Alkoholeinfluss und | |
| dann ist es kein Wunder, dass er die Kontrolle verliert.“ Und Kinder sagen | |
| dann eben: „Der ist unheimlich.“ Mein Kollege Marcel aus dem Vertrieb, der | |
| selber damit Erfahrung hat, konnte verstehen, was die Kinder meinen, aber | |
| er konnte eben auch sagen: „Es ist nicht jeder Obdachlose gleich und das | |
| ist genau wie bei allen anderen Menschen auch.“ Der eine hat eine | |
| Parfumwolke, vor der man am liebsten wegrennen möchte, und andere haben | |
| nicht die Möglichkeit, jeden Tag zu duschen und ihre Klamotten zu waschen | |
| und sehen dann entsprechend aus. Solche praktischen Fragen werden auch in | |
| den nächsten Ausgaben Thema sein: Der Duschbus oder der Umgang mit Kälte | |
| oder wo man überhaupt etwas zu essen bekommt, wenn man auf der Straße lebt. | |
| taz: Heute, wo [3][Print eher ein Auslaufmodell] ist, wirkt es mutig, | |
| gleich ein zweites Printprodukt auf den Markt zu bringen. | |
| Woywode: Das ist erst mal ein Sondermagazin. Fünf Ausgaben haben wir | |
| geplant, dann müssen wir gucken, ob wir weitermachen. Aber es ist unser | |
| Anspruch, Kinder im Grundschulalter noch nicht mit so viel Digitalem | |
| vollzublasen. Es ist einfach toll, wenn sie ganz klassisch etwas anfassen | |
| und Seiten durchblättern können. Deswegen haben wir auch extra ein bisschen | |
| dickeres Papier genommen, sodass sie auf den Rätselseiten wirklich malen | |
| und schreiben können. | |
| taz: Das klingt so, als seien ökonomische Überlegungen das Letzte gewesen, | |
| was bei dem neuen Magazin im Spiel war. | |
| Woywode: Bei uns ist es mit Digital grundsätzlich etwas anderes als bei | |
| anderen Printmedien. Wir gehen ja immer den Verkaufsweg über den Verkäufer | |
| oder die Verkäuferin, die auf der Straße stehen und darüber in Kontakt mit | |
| der Kundschaft kommen. Das ist bei einem Printprodukt im Moment noch | |
| wesentlich einfacher als mit einem digitalen Angebot. Letztlich liegt unser | |
| ökonomisches Interesse immer darin, dass die Hinz&Kunzt-Verkaufenden etwas | |
| verdienen. | |
| taz: Ist nach fünf Ausgaben alles über den Alltag von Obdachlosen erzählt? | |
| Woywode: In der ersten Ausgabe haben wir eine Reportage darüber, was es | |
| bedeutet, Platte zu machen. Da könnte man aber auch etwas über das Leben | |
| von Geflüchteten schreiben. Wichtig ist, dass es aus Perspektive von | |
| Kindern geschieht. Es gibt so viele Menschen auf der Welt, denen es nicht | |
| so gut geht, die kann man besuchen und zu Wort kommen lassen. | |
| Berührungsängste gibt es nicht nur gegenüber Obdachlosen. | |
| 17 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Strassenzeitung-wird-30/!5968150 | |
| [2] /Der-Strassenzeitungsverkaeufer/!5874648 | |
| [3] /Digitale-Strassenzeitungen/!5973275 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
| ## TAGS | |
| Obdachlosigkeit | |
| Hamburg | |
| Kinder | |
| Medien | |
| Hinz&Kunzt | |
| Obdachlosigkeit in Hamburg | |
| Hinz&Kunzt | |
| Obdachlose | |
| Hinz&Kunzt | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Straßenzeitung ermöglicht Handyzahlung: „Hinzt&Kunzt“ gibt's auch bargeld… | |
| Ab sofort kann man die Hamburger „Hinz&Kunzt“ bei den Verkaufenden auf der | |
| Straße digital bezahlen. Das soll gegen sinkende Verkaufszahlen helfen. | |
| Digitale Straßenzeitungen: QR-Code scannen statt Münzen suchen | |
| Straßenzeitungen stecken in der Krise. Zwei Projekte in Deutschland und | |
| Österreich versuchen sich an ihrem digitalen Wandel. Kann das | |
| funktionieren? | |
| Straßenzeitung wird 30: Eine Demo zum Geburtstag | |
| „Hinz&Kunzt“ aus Hamburg ist das größte Straßenmagazin Deutschlands. Es … | |
| viel mehr als eine Zeitung. Zum 30. wird gefeiert, aber nicht nur. | |
| Der Straßenzeitungsverkäufer: Nachricht von der Straße | |
| Über 500 Obdachlose verkaufen in Hamburg das Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“. | |
| Einer von ihnen ist Thomas Audörsch. Ein Morgen mit ihm vor „seinem“ Edeka. |