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# taz.de -- Gentechnik-Pflanze „Goldener Reis“: Gegen den unsichtbaren Hung…
> Ingo Potrykus hat selbst Hunger erlebt. Der Biologe entwickelte Reis, der
> Vitamin-A-Mangel lindern soll. Doch Greenpeace kämpft dagegen.
Bild: Melancholischer Idealist: Ingo Potrykus vor seinem Zuhause im schweizeris…
Magden taz | Ein grüner Stängel. Oben die schmale verzweigte Rispe, an ihr
sitzen die hellbraunen Ähren, in denen wiederum die Reiskörner liegen. Um
diese schließt sich eine Schutzhülle, das sogenannte Silberhäutchen, das
man entfernen kann, um das nackte Korn zu erhalten. Meistens ist es weiß.
Nicht aber bei dem Reis, um den es hier gehen soll. Die Körner dieser
besonderen Variante schimmern gelb-golden, der Grund dafür ist eine kleine
gentechnische Veränderung. Sie könnte Hunderttausende Menschen vorm
Erblinden oder gar vorm Tod retten.
Das zumindest ist die Hoffnung des Biologen Ingo Potrykus, dem Erfinder
dieser speziellen Reispflanze. Potrykus ist heute 90 Jahre alt, der Goldene
Reis ist sein Lebenswerk. Er wollte etwas gegen den Hunger tun, weil er ihn
als Kind selbst erlebt hat. Doch seine Erfindung ist umstritten:
Umweltorganisationen bekämpfen den Genreis seit Jahrzehnten. Jüngst [1][hat
Greenpeace einen Rechtsstreit auf den Philippinen gewonnen], wo der Goldene
Reis zum ersten Mal großflächig angebaut wurde. Der alte Kampf geht weiter.
Ingo Potrykus trägt eine braune Fleecejacke und einen grauen
Rund-um-den-Mund-Bart. Er sitzt im Wohnzimmer seines Hauses in Magden,
einem schweizerischen Dorf unweit der deutschen Grenze, umgeben von Hügeln
und Weizenfeldern. Potrykus erzählt von der Krise, die ihn einst auf den
Goldenen Reis brachte, sie plagt bis heute südostasiatische und
afrikanische Staaten: Arme Menschen nehmen zu wenig Vitamin A zu sich,
dieser Mangel ist besonders für Kinder gefährlich. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jedes Jahr bis zu 500.000
Kinder erblinden, weil es ihnen am richtigen Obst und Gemüse fehlt. Die
Hälfte aller Kinder, die ihr Augenlicht verlieren, sterben laut WHO im
Laufe eines Jahres, denn der Körper braucht Vitamin A auch für viele
lebenswichtige Funktionen. „Unsichtbarer Hunger“ heißt die
Mangelerscheinung in Fachkreisen.
Vor fast 40 Jahren arbeitete Ingo Potrykus als Professor an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Potrykus sah sich weniger
als Wissenschaftler denn als Ingenieur, sagt er. Die Wissenschaft vergrub
sich für seinen Geschmack zu tief in der Grundlagenforschung.
Er wollte die damals neue Gentechnik praktisch nutzen: Es gab Länder mit
Vitamin-A-Mangel – was also, wenn das Grundnahrungsmittel dieser Länder
Vitamin A enthielte? Was, wenn es einen Reis gäbe, der gegen den Mangel
helfen kann? Nach jahrelanger Arbeit gelang es Potrykus, Gene aus einer
anderen Pflanze in den Reis einzuführen, sodass dieser von sich aus
Provitamin A produziert, was der menschliche Körper wiederum zu Vitamin A
umwandelt. Das Provitamin soll gegen den Nährstoffmangel helfen. Und es
verleiht dem Reis seinen goldenen Schimmer.
Potrykus lagert den Goldenen Reis auch bei sich zu Hause in Magden. Ein
großer Sack im Keller, ein Glas davon in der Küche. Weil Potrykus nicht
mehr richtig laufen kann, bittet er seine Ehefrau Inge, das Glas zu holen.
„Wir essen hin und wieder davon“, sagt er.
Für Potrykus ist der Goldene Reis eine Revolution, ein effektives Mittel,
um den Hunger und das Sterben von Kindern in Südostasien zu bekämpfen. Wenn
man das denn zuließe.
Für Greenpeace, die wahrscheinlich mächtigste Umweltschutzorganisation,
birgt Gentechnik im schlimmsten Fall Gefahren für Gesundheit und Umwelt. Im
besten Fall ist sie eine Ablenkung von den systemischen Lösungen für
Mangelernährung. Greenpeace fordert stattdessen, die Armut zu bekämpfen,
oder ökologische Kleingärten zu fördern, in denen auch andere Nutzpflanzen
angebaut werden können, die Provitamin A enthalten.
Immer wieder zerstören zudem Vandalierer:innen Felder mit
Gentechnikpflanzen in Europa, erst im Juni [2][entwurzelten sie in Italien
ein Versuchsfeld mit pilzresistentem Reis]. Doch solche fundamentale
Gegnerschaft stößt vermehrt auch Menschen auf, die den Wunsch nach
Umweltschutz teilen. Die linksliberale Zeitung The Guardian nannte jüngst
[3][nicht den Reis, sondern die Kampagne dagegen „gefährlich“].
## Er hat Hunger am eigenen Leib erfahren
Ingo Potrykus spricht freundlich, muss sich hin und wieder kurz sammeln,
weil ihm ein Name entfällt. Kommt er aber auf Greenpeace zu sprechen,
bricht die Verbitterung durch, dann wird seine Stimme kräftiger und er
wirkt um Jahre verjüngt.
Draußen hat sich der Himmel verdunkelt, der Mairegen tränkt die saftigen
Hügel. Obwohl es erst Mittag ist, sitzt Potrykus in seinem Wohnzimmer im
Lampenschein. Hätte er vor vielen Jahrzehnten gewusst, welche Hürden und
Widerstände ihn und seinen Goldenen Reis erwarten würden, hätte er
vielleicht nie angefangen, sagt der Pflanzengenetiker heute: „Ich habe
meine großen Zweifel, dass das, was ich damals gemacht habe, nicht ein
ziemlich dummer Idealismus war.“
Seinen Wunsch, etwas gegen Hunger zu unternehmen, führt Ingo Potrykus auf
seine Kindheit zurück. 1933 kam er als einer von drei Brüdern im
niederschlesischen Hirschberg zur Welt; die Stadt liegt heute in Polen und
heißt Jelenia Góra. Sein Vater, ein Arzt in einem Militärkrankenhaus, starb
an jenem Tag, als seine Schwester geboren wurde. In den letzten Wochen des
Zweiten Weltkriegs 1945 floh die Mutter mit den vier Kindern vor der
heranrückenden Roten Armee nach Bayern. Um zu überleben, klaute er von den
Feldern der Bauern, erinnert sich Potrykus: „Ich habe über Jahre erlebt,
was es heißt, zu hungern.“
Später arbeitete Potrykus als Biologielehrer, nahm dann eine Stelle in der
Wissenschaft an. 1986 wurde er als Professor an die ETH Zürich berufen, wo
er sich mit seiner Forschung nicht nur Freunde machte. Ab 1990 widmete er
sich dem Reis. Unweltbewegte Studierende störten Potrykus’ Vorlesungen mit
Megafonen. „Ich habe eine richtig feindliche Stimmung erlebt dort“, sagt
er. Um Potrykus und seine transgenen Pflanzen zu schützen, baute die
Unileitung ihm damals sogar ein Gewächshaus aus Panzerglas, das mehreren
Pistolenschüssen oder einer Handgranatenexplosion standhalten würde.
## Gentechnik mit dem Luftgewehr
Auch fachlich gab es Bedenken. „Niemand hat sich da rangetraut“, erinnert
er sich, „weil jedem klar war: Das ist ein Himmelfahrtunternehmen. Das ist
nicht lösbar.“ Potrykus betraute seinen Doktoranden Peter Burckhardt mit
dem Projekt und holte den Biologen Peter Beyer aus Freiburg ins Team.
Beyer war ein Experte für Narzissen, und so wählten sie die Blume als
Genspenderin. Die Narzisse enthält ein Gen, das für die Produktion von
Provitamin A sorgt, das auch ihre Blätter gelb färbt. Um die Blumen-DNA in
den Reis einzuführen, nutzten die Forscher ein Instrument, das in seiner
Grobschlächtigkeit fast komisch wirkt: die sogenannte Genkanone. Forschende
in den USA hatten zuvor herausgefunden, [4][dass man Gene mit einem
Luftgewehr in Zwiebelpflanzen einschießen kann].
Potrykus’ Team verwendete eine verfeinerte Version der „Kanone“. 1997
konnten sie in einem Journal-Artikel ihren Erfolg vermelden: Sie hatten das
Gen in die Reis-DNA eingeführt. Doch damit der Reis wirklich Provitamin A
herstellt, fehlten noch drei weitere Gene, die sie in andere Pflanzen
brachten. Die vier unterschiedlichen Pflanzen zu einer gesunden Variante zu
kreuzen, war aber schwierig. Zu schwierig.
1998 stand Ingo Potrykus in einer Sackgasse. Also disponierten er und seine
Kollegen um. Diesmal wollten sie alle vier benötigten Gene auf einen Schlag
in den Reis einführen, und zwar mithilfe eines Bodenbakteriums, das sein
Erbmaterial von Natur aus auf Pflanzen übertragen kann – eine Fähigkeit,
die sich die Gentechnik zu eigen macht. Auf diesem Wege gelang es ihnen,
500 Reisembryos zu präparieren, aus denen Pflanzen wuchsen. Zehn davon
bauten sie im Gewächshaus an.
Etwa vier Monate später brachte Peter Beyer die geernteten Reiskörner in
sein Labor, um sie dort zu polieren, also aus ihrer Schale zu befreien.
Eines Abends im Februar 1999 rief er Potrykus an. „Ingo, öffne deinen
Computer“, sagte er. „Ich schicke dir ein Bild, das dir gefallen wird.“ A…
dem Bildschirm sah Potrykus rund hundert Körner. Goldene Körner. Die
Früchte von fast zehn Jahren Arbeit. Er findet, sie sehen aus wie
Edelsteine: „Und wie viel kostbarer sie sind!“
## Kein Konzern und trotzdem Feindbild
Der Pflanzengenetiker hatte endlich seinen Erfolg im Labor. Er glaubte, in
drei Jahren sei der Goldene Reis marktreif. Im Jahr 2000 landete Potrykus’
Porträtbild sogar groß auf dem Cover des Time Magazine, der Wissenschaftler
zwischen seinen Pflanzen. „Dieser Reis könnte eine Million Kinder retten“,
tönte die Zeitschrift. Doch es war der Untertitel, der sich als prophetisch
erweisen sollte: „… aber Demonstranten glauben, solche genetisch
veränderten Lebensmittel sind schlecht für uns und unseren Planeten.“
Diese Sorge ist auch mehr als 20 Jahre später nicht verschwunden.
Bis der Goldene Reis Anfang der 2000er Jahre an Bekanntheit gewann, hatte
Greenpeace seine Angriffe vor allem gegen große Agrarkonzerne gerichtet. In
den USA setzte etwa Monsanto Gentechnik ein, um Weizen resistenter gegen
Herbizide zu machen und mehr davon versprühen zu können. Auch warfen die
Aktivist:innen den Konzernen vor, Kleinbauern durch patentiertes
Saatgut in Abhängigkeit zu bringen.
Diese Argumente aber ziehen beim Goldenen Reis nicht. Eine Kooperation der
Entwickler mit dem Konzern Syngenta hielt nur kurz, die Gelder kamen vor
allem von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Doch Greenpeace ließ nicht
locker. Worum ging es der Organisation also? [5][Um die internationale
Macht der Agrarkonzerne?] Oder doch um die Technik an sich?
Ein Anruf bei Greenpeace Deutschland in Hamburg. Christiane Huxdorff
beschäftigt sich dort als Landwirtschafts-Campaignerin mit Gentechnik. Sie
sagt: Die Menschen auf den Philippinen müssen in die Lage gebracht werden,
sich selbst zu ernähren. „Techno fixes“, also Interventionen von außen,
lehnt sie ab. Gleichwohl legt Huxdorff Wert darauf, dass Greenpeace keine
Fundamentalopposition fährt. „Gentechnik als solches ist ja nichts
Schlechtes“, sagt sie. „Wir sind nicht gegen Insulin, gegen Impfstoffe“,
auch wenn diese mit Gentechnik hergestellt werden.
Nur in der Landwirtschaft ist Huxdorff skeptisch. Denn dort führe man
gentechnisch veränderte Pflanzen in die Umwelt ein, was unbekannte Folgen
haben kann. Doch auch bei herkömmlichen Züchtungen gibt es keine
hundertprozentige Sicherheit vor unerwünschten Effekten – wichtig sind am
Ende die Eigenschaften der fertigen Pflanzen, die allesamt aufwendige
Prüfverfahren durchlaufen müssen.
## „Für den menschlichen Verzehr sicher“
Auf den Philippinen hatte die Regierung 2021 eine lokal gezüchtete Variante
des Goldenen Reis zum Anbau freigegeben. Das erste Mal weltweit begannen
Bauern in verschiedenen Landesteilen, den Reis im großen Stil anzupflanzen
– nicht nur wie bisher im Laborgewächshaus oder unter kontrollierten
Bedingungen, sondern frei auf den Feldern, in Provinzen, in denen besonders
viele Kleinkinder an Vitamin-A-Mangel leiden. Das Saatgut wurde dort nicht
zu Profitzwecken vermarktet, sondern zum gleichen Preis wie sein weißes
Pendant an die Bauern abgegeben.
Doch Greenpeace klagte gemeinsam mit Umweltorganisationen und Bauern gegen
die Zulassung des Landwirtschaftsministeriums. Und bekam Recht. Im April
entschied das oberste Berufungsgericht der Philippinen, die Anbaulizenz zu
kippen. In ihrer Urteilsbegründung schreiben die Richter:innen von
„widersprüchlichen wissenschaftlichen Ansichten“ über die Risiken des
Goldenen Reis. Sie verweisen ferner auf vermeintlich fehlende
Sicherheitsüberprüfungen und Kontrollregime – die Regierung solle diese
nachreichen.
Die Nationale Akademie für Wissenschaft und Technologie der Philippinen
kritisierte die Entscheidung des Gerichts. Es gebe keine Gründe anzunehmen,
dass der Goldene Reis eine Gefahr für Mensch oder Natur darstelle. Auch in
den USA, Kanada, Australien und Neuseeland habe er alle Tests für die
Zulassung bestanden. Dieser Einschätzung schließt sich auf Anfrage der taz
auch die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO an: „Die
Abteilung für Pflanzenproduktion und -schutz der FAO bestätigt, dass
Goldener Reis für den menschlichen Verzehr sicher ist.“
Auf den Philippinen bekommt die Diskussion um den Goldenen Reis noch eine
andere Note beigemischt. Die lokale Umweltorganisation Masipag wittert
hinter dem Projekt eine „koloniale Geisteshaltung“: eine Lösung von außen
für ein Problem, das einer heimischen Lösung bedarf.
## Schwierige Versorgung mit Vitamin A
Doch es gäbe auf den Philippinen heute keinen Goldenen Reis, hätten
Wissenschaftler:innen vor Ort nicht die lokale Variante gezüchtet. Und
während manche Bauern auf den Philippinen gegen den Reis vor Gericht
ziehen, sind andere überzeugt vom Malusog – oder „gesundem“ – Reis, wi…
dort heißt.
Einer von ihnen ist Edwin Paraluman. Er arbeitet als Kleinbauer in General
Santos City, einer Stadt am südlichen Ende der Philippinen. Die Bauern im
Norden bauen Reis auf den traditionellen Terrassen an. Bei Paraluman im
Süden wachsen die grünen Halme auf ebenen Feldern. Er pflanzt und erntet
Reis auf drei Hektar – und seit vergangenem Jahr auch die goldene Variante.
Außer dem beigefügten Provitamin A gebe es in den Anbautechniken oder im
Ertrag keine Unterschiede, erzählt der 66-jährige am Telefon. Paraluman
verkauft seine Ernte an Freunde, Nachbarn, aber auch an Lehrer, die für
ihre Schüler:innen danach fragten.
„Wir haben auf den Philippinen viele Kinder, denen es an Vitamin A
mangelt“, sagt Paraluman. Er selbst sehe kleine Kinder, die Brillen mit
dicken Gläsern tragen. Die Regierung hat deshalb [6][ihr eigenes Programm
aufgesetzt, sie schickt Ärzt:innen in arme Gegenden, damit diese Kindern
Vitamin-A-Tropfen auf die Zunge träufeln]. Damit konnten die Philippinen
den Mangel lindern – aber ihn nicht beseitigen. Edwin Paraluman sagt, die
Kinder hätten manchmal Angst vor den Helfer:innen, liefen vor ihnen weg:
„Das Programm funktioniert nicht kontinuierlich.“
Die Regierung versuchte auch, Lebensmittel mit Vitamin A zu strecken. Doch
das gestaltete sich als logistische Herausforderung. Die Streckmittel
verteuerten die Produkte, es gab Probleme mit der Haltbarkeit des
beigefügten Vitamins. Die Umweltorganisation Masipag fordert deshalb, die
Menschen sollten sich vielfältiger ernähren, um dem Mangel vorzubeugen. Das
klingt sinnvoll, ist aber nicht so einfach: In den Städten hat die arme
Bevölkerung kein Land zur Verfügung, um selbst das richtige Obst und Gemüse
anzubauen, und auf dem Markt ist es für sie ein Luxusgut. Die Armut zu
beseitigen, wäre wohl die nachhaltigste Lösung – aber eben auch die
schwierigste.
In Magden kramt Inge Potrykus in einem Küchenschrank nach dem Glas mit dem
wohl kontroversesten Reis der Welt. Sie kommt zurück ins Wohnzimmer. „Ich
fürchte, da ist schon eine Motte drin“, sagt sie und stellt das
Einweckglas auf den Tisch. Und tatsächlich hat sich ein Falter darin
eingenistet. Auch hat dieser Reis seinen gelben Ton fast verloren. Denn
seit er geerntet wurde, sind etwa drei Jahre vergangenen, erklärt Ingo
Potrykus. „Der verliert mit der Zeit seine Farbe, wie alle Pflanzen, die
Provitamin A enthalten.“
## Der Goldene Reis – ein Propagandamittel?
Der Goldene Reis als Projekt für die Mottenkiste – ein Sinnbild, das
Greenpeace wohl gefallen würde. Die Aktivist:innen kritisierten damals
vor 20 Jahren, der Prototyp enthalte viel zu wenig Provitamin A. Ein
erwachsener Mensch müsse täglich neun Kilogramm essen, um seinen Bedarf zu
decken – was sich später als falsch herausstellte. Als Forschende
schließlich eine Reisvariante mit einem Vielfachen an Provitamin A
gezüchtet hatten, warnte Greenpeace vor einer Überdosis. Auch führten die
Aktivist:innen „unbekannte Gesundheitsrisiken“ der neuen Technologie
an, ohne aber zu begründen, worin diese Risiken bestehen sollten.
Diese Argumente hört man heute weniger, dafür geht Greenpeace auf die
Metaebene. Der Goldene Reis sei in Wahrheit ein Feigenblatt für die
Industrie, ein Propagandamittel, um Gentechnik in der Bevölkerung zu
legitimieren.
Die Schlachten mit Greenpeace drückten all die Jahre auf Ingo Potrykus’
Stimmung. Erholung brachten die Vögel. Solange er noch laufen konnte,
betreute er hier im Tal in der Gemeinde Magden 156 Vogelkästen, erzählt er.
Im Frühjahr putzte Potrykus sie aus, bewachte die Brut, schaute immer
wieder nach, was da heranwuchs. Im ersten Stock in seinem Arbeitszimmer
stehen Bildbände mit selbst geschossenen Vogelfotos. Potrykus sagt: „Ich
war schon mit 14 Jahren aktiver Naturschützer und war das mein Leben lang.“
Auch Edwin Paraluman auf den Philippinen hält nicht viel von den Einwänden
von Greenpeace. Ihm geht es weniger um die Zuchttechnik, als um das fertige
Saatgut. Seit seiner ersten Ernte im Herbst vergangenen Jahres essen er und
seine Familie von dem Goldenen Reis, sagt er: „Die Gegner behaupten, wenn
man zu viel davon isst, geht es einem schlecht. Ich denke, diese Argumente
sind nur ein Alibi, um gegen die Technologie zu sein.“ Paraluman glaubt,
der Reis habe der Entwicklung seiner Enkel geholfen. Dass viele Menschen
auf den Philippinen Biotechnologie in der Landwirtschaft ablehnen, liegt
seiner Meinung nach an fehlendem Wissen.
Angesichts der Beharrlichkeit von Greenpeace meldeten sich 2016 über
hundert Nobelpreisträger:innen zu Wort. In einem offenen Brief
kreideten sie die Antihaltung der Aktivist:innen an: „Wir fordern
Greenpeace auf, seine Kampagne gegen Goldenen Reis im Besonderen und gegen
biotechnologisch verbesserte Pflanzen und Lebensmittel im Allgemeinen
einzustellen.“ Zur Verzögerung des Goldenen Reis fragten sie: „Wie viele
arme Menschen müssen weltweit sterben, bevor wir das als 'Verbrechen gegen
die Menschlichkeit’ ansehen?“
## „Sie können mich nicht vom Pflanzen abhalten“
Warum bleibt Greenpeace dennoch auf den Goldenen Reis fixiert? Denn selbst
wenn die Organisation andere Lösungen bevorzugt, schließen sich eine neue
Reissorte und Reformen in der Landwirtschaft ja nicht aus. Doch im
ökologischen Idealbild von selbstversorgenden Kleinbauern und unberührter
Natur erscheinen komplexe moderne Zuchttechniken, die zielgenau ins Erbgut
der Pflanzen eingreifen, als Anmaßung. Egal, ob nun Konzerne, Regierungen
oder wohlmeinende Philanthropen dahinterstehen.
Das philippinische Landwirtschaftsministerium teilt auf taz-Anfrage mit, es
strenge derzeit eine Überprüfung des Urteils an, gleichfalls nehme man die
Sicherheitsbedenken der Menschen ernst. Auch in anderen Ländern hängt der
Goldene Reis in der Schwebe. In Bangladesch harrt eine lokale Sorte seit
2017 der Zulassung, doch das Umweltministerium stellt sich quer.
Edwin Paraluman will sich nicht beirren lassen von dem Urteil, das er für
unwissenschaftlich hält. Dem Richterspruch zum Trotz will er seinen
Goldenen Reis auch künftig wieder anpflanzen. Seine Stimme am Telefon wird
jetzt schneller und lauter. „Wenn das oberste Gericht mich dafür festnehmen
und anklagen will, dann sei es so. Aber ich werde dem Gericht sagen:
Ernährt ihr dann meine Familie?“
Sei die Pflanze erst mal in der Hand der Bauern, könnten die Gerichte
nichts mehr machen, sagt Paraluman. „Sie können mich nicht vom Pflanzen
abhalten.“
17 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/environment/article/2024/may/25/greenpeace-bloc…
[2] https://www.iflscience.com/vandals-purposely-destroy-italys-landmark-first-…
[3] https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/may/26/the-observer-…
[4] http://www.pflanzenforschung.de/biosicherheit/basisinfo/602.richtest-kanone…
[5] /Kommentar-Genpflanze-Goldener-Reis/!5039260
[6] /Zellbiologe-ueber-Golden-Rice/!5037038
## AUTOREN
Leon Holly
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