# taz.de -- Gentechnik-Pflanze „Goldener Reis“: Gegen den unsichtbaren Hung… | |
> Ingo Potrykus hat selbst Hunger erlebt. Der Biologe entwickelte Reis, der | |
> Vitamin-A-Mangel lindern soll. Doch Greenpeace kämpft dagegen. | |
Bild: Melancholischer Idealist: Ingo Potrykus vor seinem Zuhause im schweizeris… | |
Magden taz | Ein grüner Stängel. Oben die schmale verzweigte Rispe, an ihr | |
sitzen die hellbraunen Ähren, in denen wiederum die Reiskörner liegen. Um | |
diese schließt sich eine Schutzhülle, das sogenannte Silberhäutchen, das | |
man entfernen kann, um das nackte Korn zu erhalten. Meistens ist es weiß. | |
Nicht aber bei dem Reis, um den es hier gehen soll. Die Körner dieser | |
besonderen Variante schimmern gelb-golden, der Grund dafür ist eine kleine | |
gentechnische Veränderung. Sie könnte Hunderttausende Menschen vorm | |
Erblinden oder gar vorm Tod retten. | |
Das zumindest ist die Hoffnung des Biologen Ingo Potrykus, dem Erfinder | |
dieser speziellen Reispflanze. Potrykus ist heute 90 Jahre alt, der Goldene | |
Reis ist sein Lebenswerk. Er wollte etwas gegen den Hunger tun, weil er ihn | |
als Kind selbst erlebt hat. Doch seine Erfindung ist umstritten: | |
Umweltorganisationen bekämpfen den Genreis seit Jahrzehnten. Jüngst [1][hat | |
Greenpeace einen Rechtsstreit auf den Philippinen gewonnen], wo der Goldene | |
Reis zum ersten Mal großflächig angebaut wurde. Der alte Kampf geht weiter. | |
Ingo Potrykus trägt eine braune Fleecejacke und einen grauen | |
Rund-um-den-Mund-Bart. Er sitzt im Wohnzimmer seines Hauses in Magden, | |
einem schweizerischen Dorf unweit der deutschen Grenze, umgeben von Hügeln | |
und Weizenfeldern. Potrykus erzählt von der Krise, die ihn einst auf den | |
Goldenen Reis brachte, sie plagt bis heute südostasiatische und | |
afrikanische Staaten: Arme Menschen nehmen zu wenig Vitamin A zu sich, | |
dieser Mangel ist besonders für Kinder gefährlich. Die | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jedes Jahr bis zu 500.000 | |
Kinder erblinden, weil es ihnen am richtigen Obst und Gemüse fehlt. Die | |
Hälfte aller Kinder, die ihr Augenlicht verlieren, sterben laut WHO im | |
Laufe eines Jahres, denn der Körper braucht Vitamin A auch für viele | |
lebenswichtige Funktionen. „Unsichtbarer Hunger“ heißt die | |
Mangelerscheinung in Fachkreisen. | |
Vor fast 40 Jahren arbeitete Ingo Potrykus als Professor an der | |
Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Potrykus sah sich weniger | |
als Wissenschaftler denn als Ingenieur, sagt er. Die Wissenschaft vergrub | |
sich für seinen Geschmack zu tief in der Grundlagenforschung. | |
Er wollte die damals neue Gentechnik praktisch nutzen: Es gab Länder mit | |
Vitamin-A-Mangel – was also, wenn das Grundnahrungsmittel dieser Länder | |
Vitamin A enthielte? Was, wenn es einen Reis gäbe, der gegen den Mangel | |
helfen kann? Nach jahrelanger Arbeit gelang es Potrykus, Gene aus einer | |
anderen Pflanze in den Reis einzuführen, sodass dieser von sich aus | |
Provitamin A produziert, was der menschliche Körper wiederum zu Vitamin A | |
umwandelt. Das Provitamin soll gegen den Nährstoffmangel helfen. Und es | |
verleiht dem Reis seinen goldenen Schimmer. | |
Potrykus lagert den Goldenen Reis auch bei sich zu Hause in Magden. Ein | |
großer Sack im Keller, ein Glas davon in der Küche. Weil Potrykus nicht | |
mehr richtig laufen kann, bittet er seine Ehefrau Inge, das Glas zu holen. | |
„Wir essen hin und wieder davon“, sagt er. | |
Für Potrykus ist der Goldene Reis eine Revolution, ein effektives Mittel, | |
um den Hunger und das Sterben von Kindern in Südostasien zu bekämpfen. Wenn | |
man das denn zuließe. | |
Für Greenpeace, die wahrscheinlich mächtigste Umweltschutzorganisation, | |
birgt Gentechnik im schlimmsten Fall Gefahren für Gesundheit und Umwelt. Im | |
besten Fall ist sie eine Ablenkung von den systemischen Lösungen für | |
Mangelernährung. Greenpeace fordert stattdessen, die Armut zu bekämpfen, | |
oder ökologische Kleingärten zu fördern, in denen auch andere Nutzpflanzen | |
angebaut werden können, die Provitamin A enthalten. | |
Immer wieder zerstören zudem Vandalierer:innen Felder mit | |
Gentechnikpflanzen in Europa, erst im Juni [2][entwurzelten sie in Italien | |
ein Versuchsfeld mit pilzresistentem Reis]. Doch solche fundamentale | |
Gegnerschaft stößt vermehrt auch Menschen auf, die den Wunsch nach | |
Umweltschutz teilen. Die linksliberale Zeitung The Guardian nannte jüngst | |
[3][nicht den Reis, sondern die Kampagne dagegen „gefährlich“]. | |
## Er hat Hunger am eigenen Leib erfahren | |
Ingo Potrykus spricht freundlich, muss sich hin und wieder kurz sammeln, | |
weil ihm ein Name entfällt. Kommt er aber auf Greenpeace zu sprechen, | |
bricht die Verbitterung durch, dann wird seine Stimme kräftiger und er | |
wirkt um Jahre verjüngt. | |
Draußen hat sich der Himmel verdunkelt, der Mairegen tränkt die saftigen | |
Hügel. Obwohl es erst Mittag ist, sitzt Potrykus in seinem Wohnzimmer im | |
Lampenschein. Hätte er vor vielen Jahrzehnten gewusst, welche Hürden und | |
Widerstände ihn und seinen Goldenen Reis erwarten würden, hätte er | |
vielleicht nie angefangen, sagt der Pflanzengenetiker heute: „Ich habe | |
meine großen Zweifel, dass das, was ich damals gemacht habe, nicht ein | |
ziemlich dummer Idealismus war.“ | |
Seinen Wunsch, etwas gegen Hunger zu unternehmen, führt Ingo Potrykus auf | |
seine Kindheit zurück. 1933 kam er als einer von drei Brüdern im | |
niederschlesischen Hirschberg zur Welt; die Stadt liegt heute in Polen und | |
heißt Jelenia Góra. Sein Vater, ein Arzt in einem Militärkrankenhaus, starb | |
an jenem Tag, als seine Schwester geboren wurde. In den letzten Wochen des | |
Zweiten Weltkriegs 1945 floh die Mutter mit den vier Kindern vor der | |
heranrückenden Roten Armee nach Bayern. Um zu überleben, klaute er von den | |
Feldern der Bauern, erinnert sich Potrykus: „Ich habe über Jahre erlebt, | |
was es heißt, zu hungern.“ | |
Später arbeitete Potrykus als Biologielehrer, nahm dann eine Stelle in der | |
Wissenschaft an. 1986 wurde er als Professor an die ETH Zürich berufen, wo | |
er sich mit seiner Forschung nicht nur Freunde machte. Ab 1990 widmete er | |
sich dem Reis. Unweltbewegte Studierende störten Potrykus’ Vorlesungen mit | |
Megafonen. „Ich habe eine richtig feindliche Stimmung erlebt dort“, sagt | |
er. Um Potrykus und seine transgenen Pflanzen zu schützen, baute die | |
Unileitung ihm damals sogar ein Gewächshaus aus Panzerglas, das mehreren | |
Pistolenschüssen oder einer Handgranatenexplosion standhalten würde. | |
## Gentechnik mit dem Luftgewehr | |
Auch fachlich gab es Bedenken. „Niemand hat sich da rangetraut“, erinnert | |
er sich, „weil jedem klar war: Das ist ein Himmelfahrtunternehmen. Das ist | |
nicht lösbar.“ Potrykus betraute seinen Doktoranden Peter Burckhardt mit | |
dem Projekt und holte den Biologen Peter Beyer aus Freiburg ins Team. | |
Beyer war ein Experte für Narzissen, und so wählten sie die Blume als | |
Genspenderin. Die Narzisse enthält ein Gen, das für die Produktion von | |
Provitamin A sorgt, das auch ihre Blätter gelb färbt. Um die Blumen-DNA in | |
den Reis einzuführen, nutzten die Forscher ein Instrument, das in seiner | |
Grobschlächtigkeit fast komisch wirkt: die sogenannte Genkanone. Forschende | |
in den USA hatten zuvor herausgefunden, [4][dass man Gene mit einem | |
Luftgewehr in Zwiebelpflanzen einschießen kann]. | |
Potrykus’ Team verwendete eine verfeinerte Version der „Kanone“. 1997 | |
konnten sie in einem Journal-Artikel ihren Erfolg vermelden: Sie hatten das | |
Gen in die Reis-DNA eingeführt. Doch damit der Reis wirklich Provitamin A | |
herstellt, fehlten noch drei weitere Gene, die sie in andere Pflanzen | |
brachten. Die vier unterschiedlichen Pflanzen zu einer gesunden Variante zu | |
kreuzen, war aber schwierig. Zu schwierig. | |
1998 stand Ingo Potrykus in einer Sackgasse. Also disponierten er und seine | |
Kollegen um. Diesmal wollten sie alle vier benötigten Gene auf einen Schlag | |
in den Reis einführen, und zwar mithilfe eines Bodenbakteriums, das sein | |
Erbmaterial von Natur aus auf Pflanzen übertragen kann – eine Fähigkeit, | |
die sich die Gentechnik zu eigen macht. Auf diesem Wege gelang es ihnen, | |
500 Reisembryos zu präparieren, aus denen Pflanzen wuchsen. Zehn davon | |
bauten sie im Gewächshaus an. | |
Etwa vier Monate später brachte Peter Beyer die geernteten Reiskörner in | |
sein Labor, um sie dort zu polieren, also aus ihrer Schale zu befreien. | |
Eines Abends im Februar 1999 rief er Potrykus an. „Ingo, öffne deinen | |
Computer“, sagte er. „Ich schicke dir ein Bild, das dir gefallen wird.“ A… | |
dem Bildschirm sah Potrykus rund hundert Körner. Goldene Körner. Die | |
Früchte von fast zehn Jahren Arbeit. Er findet, sie sehen aus wie | |
Edelsteine: „Und wie viel kostbarer sie sind!“ | |
## Kein Konzern und trotzdem Feindbild | |
Der Pflanzengenetiker hatte endlich seinen Erfolg im Labor. Er glaubte, in | |
drei Jahren sei der Goldene Reis marktreif. Im Jahr 2000 landete Potrykus’ | |
Porträtbild sogar groß auf dem Cover des Time Magazine, der Wissenschaftler | |
zwischen seinen Pflanzen. „Dieser Reis könnte eine Million Kinder retten“, | |
tönte die Zeitschrift. Doch es war der Untertitel, der sich als prophetisch | |
erweisen sollte: „… aber Demonstranten glauben, solche genetisch | |
veränderten Lebensmittel sind schlecht für uns und unseren Planeten.“ | |
Diese Sorge ist auch mehr als 20 Jahre später nicht verschwunden. | |
Bis der Goldene Reis Anfang der 2000er Jahre an Bekanntheit gewann, hatte | |
Greenpeace seine Angriffe vor allem gegen große Agrarkonzerne gerichtet. In | |
den USA setzte etwa Monsanto Gentechnik ein, um Weizen resistenter gegen | |
Herbizide zu machen und mehr davon versprühen zu können. Auch warfen die | |
Aktivist:innen den Konzernen vor, Kleinbauern durch patentiertes | |
Saatgut in Abhängigkeit zu bringen. | |
Diese Argumente aber ziehen beim Goldenen Reis nicht. Eine Kooperation der | |
Entwickler mit dem Konzern Syngenta hielt nur kurz, die Gelder kamen vor | |
allem von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Doch Greenpeace ließ nicht | |
locker. Worum ging es der Organisation also? [5][Um die internationale | |
Macht der Agrarkonzerne?] Oder doch um die Technik an sich? | |
Ein Anruf bei Greenpeace Deutschland in Hamburg. Christiane Huxdorff | |
beschäftigt sich dort als Landwirtschafts-Campaignerin mit Gentechnik. Sie | |
sagt: Die Menschen auf den Philippinen müssen in die Lage gebracht werden, | |
sich selbst zu ernähren. „Techno fixes“, also Interventionen von außen, | |
lehnt sie ab. Gleichwohl legt Huxdorff Wert darauf, dass Greenpeace keine | |
Fundamentalopposition fährt. „Gentechnik als solches ist ja nichts | |
Schlechtes“, sagt sie. „Wir sind nicht gegen Insulin, gegen Impfstoffe“, | |
auch wenn diese mit Gentechnik hergestellt werden. | |
Nur in der Landwirtschaft ist Huxdorff skeptisch. Denn dort führe man | |
gentechnisch veränderte Pflanzen in die Umwelt ein, was unbekannte Folgen | |
haben kann. Doch auch bei herkömmlichen Züchtungen gibt es keine | |
hundertprozentige Sicherheit vor unerwünschten Effekten – wichtig sind am | |
Ende die Eigenschaften der fertigen Pflanzen, die allesamt aufwendige | |
Prüfverfahren durchlaufen müssen. | |
## „Für den menschlichen Verzehr sicher“ | |
Auf den Philippinen hatte die Regierung 2021 eine lokal gezüchtete Variante | |
des Goldenen Reis zum Anbau freigegeben. Das erste Mal weltweit begannen | |
Bauern in verschiedenen Landesteilen, den Reis im großen Stil anzupflanzen | |
– nicht nur wie bisher im Laborgewächshaus oder unter kontrollierten | |
Bedingungen, sondern frei auf den Feldern, in Provinzen, in denen besonders | |
viele Kleinkinder an Vitamin-A-Mangel leiden. Das Saatgut wurde dort nicht | |
zu Profitzwecken vermarktet, sondern zum gleichen Preis wie sein weißes | |
Pendant an die Bauern abgegeben. | |
Doch Greenpeace klagte gemeinsam mit Umweltorganisationen und Bauern gegen | |
die Zulassung des Landwirtschaftsministeriums. Und bekam Recht. Im April | |
entschied das oberste Berufungsgericht der Philippinen, die Anbaulizenz zu | |
kippen. In ihrer Urteilsbegründung schreiben die Richter:innen von | |
„widersprüchlichen wissenschaftlichen Ansichten“ über die Risiken des | |
Goldenen Reis. Sie verweisen ferner auf vermeintlich fehlende | |
Sicherheitsüberprüfungen und Kontrollregime – die Regierung solle diese | |
nachreichen. | |
Die Nationale Akademie für Wissenschaft und Technologie der Philippinen | |
kritisierte die Entscheidung des Gerichts. Es gebe keine Gründe anzunehmen, | |
dass der Goldene Reis eine Gefahr für Mensch oder Natur darstelle. Auch in | |
den USA, Kanada, Australien und Neuseeland habe er alle Tests für die | |
Zulassung bestanden. Dieser Einschätzung schließt sich auf Anfrage der taz | |
auch die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO an: „Die | |
Abteilung für Pflanzenproduktion und -schutz der FAO bestätigt, dass | |
Goldener Reis für den menschlichen Verzehr sicher ist.“ | |
Auf den Philippinen bekommt die Diskussion um den Goldenen Reis noch eine | |
andere Note beigemischt. Die lokale Umweltorganisation Masipag wittert | |
hinter dem Projekt eine „koloniale Geisteshaltung“: eine Lösung von außen | |
für ein Problem, das einer heimischen Lösung bedarf. | |
## Schwierige Versorgung mit Vitamin A | |
Doch es gäbe auf den Philippinen heute keinen Goldenen Reis, hätten | |
Wissenschaftler:innen vor Ort nicht die lokale Variante gezüchtet. Und | |
während manche Bauern auf den Philippinen gegen den Reis vor Gericht | |
ziehen, sind andere überzeugt vom Malusog – oder „gesundem“ – Reis, wi… | |
dort heißt. | |
Einer von ihnen ist Edwin Paraluman. Er arbeitet als Kleinbauer in General | |
Santos City, einer Stadt am südlichen Ende der Philippinen. Die Bauern im | |
Norden bauen Reis auf den traditionellen Terrassen an. Bei Paraluman im | |
Süden wachsen die grünen Halme auf ebenen Feldern. Er pflanzt und erntet | |
Reis auf drei Hektar – und seit vergangenem Jahr auch die goldene Variante. | |
Außer dem beigefügten Provitamin A gebe es in den Anbautechniken oder im | |
Ertrag keine Unterschiede, erzählt der 66-jährige am Telefon. Paraluman | |
verkauft seine Ernte an Freunde, Nachbarn, aber auch an Lehrer, die für | |
ihre Schüler:innen danach fragten. | |
„Wir haben auf den Philippinen viele Kinder, denen es an Vitamin A | |
mangelt“, sagt Paraluman. Er selbst sehe kleine Kinder, die Brillen mit | |
dicken Gläsern tragen. Die Regierung hat deshalb [6][ihr eigenes Programm | |
aufgesetzt, sie schickt Ärzt:innen in arme Gegenden, damit diese Kindern | |
Vitamin-A-Tropfen auf die Zunge träufeln]. Damit konnten die Philippinen | |
den Mangel lindern – aber ihn nicht beseitigen. Edwin Paraluman sagt, die | |
Kinder hätten manchmal Angst vor den Helfer:innen, liefen vor ihnen weg: | |
„Das Programm funktioniert nicht kontinuierlich.“ | |
Die Regierung versuchte auch, Lebensmittel mit Vitamin A zu strecken. Doch | |
das gestaltete sich als logistische Herausforderung. Die Streckmittel | |
verteuerten die Produkte, es gab Probleme mit der Haltbarkeit des | |
beigefügten Vitamins. Die Umweltorganisation Masipag fordert deshalb, die | |
Menschen sollten sich vielfältiger ernähren, um dem Mangel vorzubeugen. Das | |
klingt sinnvoll, ist aber nicht so einfach: In den Städten hat die arme | |
Bevölkerung kein Land zur Verfügung, um selbst das richtige Obst und Gemüse | |
anzubauen, und auf dem Markt ist es für sie ein Luxusgut. Die Armut zu | |
beseitigen, wäre wohl die nachhaltigste Lösung – aber eben auch die | |
schwierigste. | |
In Magden kramt Inge Potrykus in einem Küchenschrank nach dem Glas mit dem | |
wohl kontroversesten Reis der Welt. Sie kommt zurück ins Wohnzimmer. „Ich | |
fürchte, da ist schon eine Motte drin“, sagt sie und stellt das | |
Einweckglas auf den Tisch. Und tatsächlich hat sich ein Falter darin | |
eingenistet. Auch hat dieser Reis seinen gelben Ton fast verloren. Denn | |
seit er geerntet wurde, sind etwa drei Jahre vergangenen, erklärt Ingo | |
Potrykus. „Der verliert mit der Zeit seine Farbe, wie alle Pflanzen, die | |
Provitamin A enthalten.“ | |
## Der Goldene Reis – ein Propagandamittel? | |
Der Goldene Reis als Projekt für die Mottenkiste – ein Sinnbild, das | |
Greenpeace wohl gefallen würde. Die Aktivist:innen kritisierten damals | |
vor 20 Jahren, der Prototyp enthalte viel zu wenig Provitamin A. Ein | |
erwachsener Mensch müsse täglich neun Kilogramm essen, um seinen Bedarf zu | |
decken – was sich später als falsch herausstellte. Als Forschende | |
schließlich eine Reisvariante mit einem Vielfachen an Provitamin A | |
gezüchtet hatten, warnte Greenpeace vor einer Überdosis. Auch führten die | |
Aktivist:innen „unbekannte Gesundheitsrisiken“ der neuen Technologie | |
an, ohne aber zu begründen, worin diese Risiken bestehen sollten. | |
Diese Argumente hört man heute weniger, dafür geht Greenpeace auf die | |
Metaebene. Der Goldene Reis sei in Wahrheit ein Feigenblatt für die | |
Industrie, ein Propagandamittel, um Gentechnik in der Bevölkerung zu | |
legitimieren. | |
Die Schlachten mit Greenpeace drückten all die Jahre auf Ingo Potrykus’ | |
Stimmung. Erholung brachten die Vögel. Solange er noch laufen konnte, | |
betreute er hier im Tal in der Gemeinde Magden 156 Vogelkästen, erzählt er. | |
Im Frühjahr putzte Potrykus sie aus, bewachte die Brut, schaute immer | |
wieder nach, was da heranwuchs. Im ersten Stock in seinem Arbeitszimmer | |
stehen Bildbände mit selbst geschossenen Vogelfotos. Potrykus sagt: „Ich | |
war schon mit 14 Jahren aktiver Naturschützer und war das mein Leben lang.“ | |
Auch Edwin Paraluman auf den Philippinen hält nicht viel von den Einwänden | |
von Greenpeace. Ihm geht es weniger um die Zuchttechnik, als um das fertige | |
Saatgut. Seit seiner ersten Ernte im Herbst vergangenen Jahres essen er und | |
seine Familie von dem Goldenen Reis, sagt er: „Die Gegner behaupten, wenn | |
man zu viel davon isst, geht es einem schlecht. Ich denke, diese Argumente | |
sind nur ein Alibi, um gegen die Technologie zu sein.“ Paraluman glaubt, | |
der Reis habe der Entwicklung seiner Enkel geholfen. Dass viele Menschen | |
auf den Philippinen Biotechnologie in der Landwirtschaft ablehnen, liegt | |
seiner Meinung nach an fehlendem Wissen. | |
Angesichts der Beharrlichkeit von Greenpeace meldeten sich 2016 über | |
hundert Nobelpreisträger:innen zu Wort. In einem offenen Brief | |
kreideten sie die Antihaltung der Aktivist:innen an: „Wir fordern | |
Greenpeace auf, seine Kampagne gegen Goldenen Reis im Besonderen und gegen | |
biotechnologisch verbesserte Pflanzen und Lebensmittel im Allgemeinen | |
einzustellen.“ Zur Verzögerung des Goldenen Reis fragten sie: „Wie viele | |
arme Menschen müssen weltweit sterben, bevor wir das als 'Verbrechen gegen | |
die Menschlichkeit’ ansehen?“ | |
## „Sie können mich nicht vom Pflanzen abhalten“ | |
Warum bleibt Greenpeace dennoch auf den Goldenen Reis fixiert? Denn selbst | |
wenn die Organisation andere Lösungen bevorzugt, schließen sich eine neue | |
Reissorte und Reformen in der Landwirtschaft ja nicht aus. Doch im | |
ökologischen Idealbild von selbstversorgenden Kleinbauern und unberührter | |
Natur erscheinen komplexe moderne Zuchttechniken, die zielgenau ins Erbgut | |
der Pflanzen eingreifen, als Anmaßung. Egal, ob nun Konzerne, Regierungen | |
oder wohlmeinende Philanthropen dahinterstehen. | |
Das philippinische Landwirtschaftsministerium teilt auf taz-Anfrage mit, es | |
strenge derzeit eine Überprüfung des Urteils an, gleichfalls nehme man die | |
Sicherheitsbedenken der Menschen ernst. Auch in anderen Ländern hängt der | |
Goldene Reis in der Schwebe. In Bangladesch harrt eine lokale Sorte seit | |
2017 der Zulassung, doch das Umweltministerium stellt sich quer. | |
Edwin Paraluman will sich nicht beirren lassen von dem Urteil, das er für | |
unwissenschaftlich hält. Dem Richterspruch zum Trotz will er seinen | |
Goldenen Reis auch künftig wieder anpflanzen. Seine Stimme am Telefon wird | |
jetzt schneller und lauter. „Wenn das oberste Gericht mich dafür festnehmen | |
und anklagen will, dann sei es so. Aber ich werde dem Gericht sagen: | |
Ernährt ihr dann meine Familie?“ | |
Sei die Pflanze erst mal in der Hand der Bauern, könnten die Gerichte | |
nichts mehr machen, sagt Paraluman. „Sie können mich nicht vom Pflanzen | |
abhalten.“ | |
17 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theguardian.com/environment/article/2024/may/25/greenpeace-bloc… | |
[2] https://www.iflscience.com/vandals-purposely-destroy-italys-landmark-first-… | |
[3] https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/may/26/the-observer-… | |
[4] http://www.pflanzenforschung.de/biosicherheit/basisinfo/602.richtest-kanone… | |
[5] /Kommentar-Genpflanze-Goldener-Reis/!5039260 | |
[6] /Zellbiologe-ueber-Golden-Rice/!5037038 | |
## AUTOREN | |
Leon Holly | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
Goldener Reis | |
Greenpeace | |
GNS | |
Reis | |
Ernährung | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EU-Kommission für Crispr/Cas-Pflanzen: Gentechnik-Mais könnte ins Essen | |
Die EU-Kommission will laxere Regeln für Sorten der neuen Gentechnik. | |
Kritiker sehen die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen in Gefahr. | |
Zellbiologe über „Golden Rice“: „Reis ist billiger als Tabletten“ | |
Mit Gentech-Saatgut lässt sich Vitamin-A-Mangel leichter beheben als mit | |
Pillen, so „Golden Rice“-Miterfinder Beyer. Kritiker würden mit falschen | |
Zahlen argumentieren. | |
Streit um Gentech-Pflanze „Golden Rice“: Heilmittel oder PR-Trick? | |
Greenpeace sperrt sich gegen Gentech-Reis, der Millionen Kinder vor | |
Erblinden und Tod retten könnte. Auch ein Ex-Mitglied kritisiert die | |
Organisation. |