# taz.de -- Landtagswahl in Thüringen: Voigt vor schwieriger Partnersuche | |
> Mit der AfD wird erstmals in der Nachkriegszeit eine rechtsextreme Partei | |
> stärkste Kraft. Die Regierungsbildung dürfte für die CDU kompliziert | |
> werden. | |
Bild: Mario Voigt, CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, bei der Stimmabgabe am So… | |
Mario Voigt ist noch nicht am Ziel, aber seinem Traum, die rot-rot-grüne | |
Regierung abzulösen und Thüringer Ministerpräsident zu werden, ist er an | |
diesem Sonntag ein Stück näher gekommen. Wie nah, das aber blieb zunächst | |
offen: Denn für welche Mehrheit es für die CDU reichen würde, ob ein | |
Bündnis etwa mit BSW und SPD rechnerisch möglich ist, wurde zur | |
Zitterpartie. | |
Klar aber war: Die CDU, Voigts Partei, lag laut Hochrechnungen bei der | |
Thüringer Landtagswahl mit rund 24 Prozent klar auf Platz zwei. Und damit, | |
wie sich in Umfragen seit Monaten abzeichnete, zwar deutlich hinter der AfD | |
– aber eben auch deutlich vor dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der | |
Linken von Regierungschef Bodo Ramelow. Und das bei einer sehr hohen | |
Wahlbeteiligung von 74 Prozent. | |
Und weil die AfD keine Machtoption hat – alle Parteien schlossen auch am | |
Sonntagabend eine Koalition mit der rechtsextremen Partei aus –, hat Voigt | |
jetzt die Poleposition bei der Regierungsbildung. Ein Teil der Anspannung, | |
die dem 47-jährigen Politikwissenschaftler in den vergangenen Monaten | |
anzumerken war, dürfte zumindest für diesen Abend von ihm abfallen. „Die | |
CDU ist zurück als stärkste Kraft der politischen Mitte“, jubelte Voigt in | |
Erfurt. „Rot-Rot-Grün ist abgewählt.“ Voigt räumte aber ein, dass die | |
Koalitionsgespräche eine Herausforderung würden. Eine Zusammenarbeit mit | |
der AfD aber werde es nicht geben. Er werde auf SPD und BSW zugehen. Aber | |
es gelte auch, sagte er mit Blick auf Wagenknecht: „Weltpolitik wird nicht | |
im Thüringer Landtags gemacht.“ | |
Stark verändert hat sich dabei das Ergebnis der CDU im Vergleich zur | |
vergangenen Landtagswahl nicht, aber jenseits der Partei haben die | |
Wähler*innen die Sitzverteilung im Landtag kräftig durchgeschüttelt. | |
Gewinner sind die populistischen Parteien, die rechtsextreme AfD und das | |
BSW. Die Wagenknecht-Truppe hat ein paar Monate nach Gründung in Thüringen | |
mit gut 15 Prozent und Platz 3 einen Erfolg eingefahren – auch wenn | |
Umfragen ein noch besseres Ergebnis in Aussicht stellten. Die Partei könnte | |
nun zum entscheidenden Faktor bei der Regierungsbildung werden. | |
Ob die Populistin Wagenknecht oder die Spitzenkandidatin Katja Wolf bei | |
Gesprächen mit der CDU den Ton angeben wird, dürfte für den Erfolg | |
maßgeblich sein. Wolf gilt als pragmatisch, bis zuletzt war sie Mitglied | |
der Linken und Oberbürgermeisterin von Eisenach. Nun überflügelte ihr BSW | |
noch die Linke. Wolf sprach von einer „Gänsehaut“, die sie angesichts des | |
Wahlergebnis habe. Es sei ein „historischer Moment“. | |
Wagenknecht nannte das Eintreten für eine andere Außenpolitik im Bund als | |
Bedingung für eine Regierungsbeteilung in Thüringen. Es müsse mehr Frieden | |
und Diplomatie geben, sagte Wagenknecht im ZDF. „Das werden unsere | |
Bedingungen für eine Regierung sein.“ Sie hoffe, dass dies mit der CDU und | |
den anderen Parteien, die es zur Regierungsbildung bedürfe, möglich sei. | |
Fest steht: Bodo Ramelow ist als Ministerpräsident abgewählt. Seine Wahl | |
Ende 2014 war eine kleine Revolution, im doppelten Sinn: Erstmals stand ein | |
Ministerpräsident von der Linken an der Spitze eines Bundeslandes, erstmals | |
gab es in Thüringen eine Regierung ohne CDU. Zehn Jahre war Ramelow im Amt | |
– mit der kleinen, aber einschneidenden Unterbrechung im Februar 2020, als | |
FDP-Mann Thomas Kemmerich mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum | |
Kurzzeit-Ministerpräsidenten gewählt wurde und damit ein politisches | |
Erdbeben auslöste. | |
Ramelow ist als Regierungschef weiterhin beliebt, bei einer Direktwahl | |
hätte er vermutlich gewonnen. Doch seine rot-rot-grüne | |
Minderheitsregierung, galt vielen Thüringer*innen als Auslaufmodell. | |
Die Linke landete bei rund 11 Prozent – weit entfernt von den 31 Prozent | |
von 2019. Ramelow sagte, er werde nun „alles dafür tun, dass die Mehrheit | |
im Parlament eine demokratische Mehrheit ist“. Die CDU habe den | |
Regierungsauftrag. Er selbst kämpfe gegen eine „Normalisierung des | |
Faschismus“. Es sei „grauenvoll“, wie sehr der Wahlkampf von Angst geprä… | |
gewesen sei. | |
Ganz vorne liegt in Thüringen nun die AfD, die laut erster Hochrechnung bei | |
33 Prozent steht. Das ist eine Zäsur: Zum ersten Mal seit der Nazizeit | |
schafft es eine rechtsextreme Partei bei einer Landtagswahl auf den ersten | |
Platz. Und in Thüringen ist die AfD besonders radikal, der Landesverband | |
ist von Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Spitzenmann | |
Björn Höcke hatte als Ziel „33 Prozent plus X“ ausgegeben – die notwend… | |
Anzahl für eine Sperrminorität von einem Drittel der Landtagssitze, mit der | |
sie Entscheidungen blockieren könnte. Genau das könnte nun eintreten. Und | |
auch Höcke kündigte an, er wolle nun zu Sondierungsgesprächen einladen. | |
Schlecht sieht es für die drei Parteien aus, die in Berlin zur | |
Ampelregierung gehören. Die FDP, die zum Ärger der Bundespartei noch einmal | |
mit Kemmerich als Spitzenkandidat angetreten war, fliegt deutlich aus dem | |
Landtag. Sie lag bei nur rund 1 Prozent. Ein bisschen besser standen die | |
Grünen da, aber auch für sie sah es mit rund 4 Prozent nicht nach einem | |
Wiedereinzug aus. Die Partei gehörte schon von 1994 bis 2009 zur | |
außerparlamentarischen Opposition. | |
Für die SPD ist es dagegen noch mal gut gegangen, sie lag bei rund 6 | |
Prozent. Das geht auf das Konto von Georg Maier. Der hatte ganz auf | |
Gerechtigkeitsthemen gesetzt: 500 Euro Weihnachtsgeld für Rentner, die eine | |
Grundrente beziehen oder kostenloses Mittagessen in Kindergärten und | |
Grundschulen. Damit sendete die SPD an den zentralen Themen – Ukrainekrieg | |
und Migration – vorbei. Offenbar hat sich ausgezahlt, auf eigene Themen zu | |
setzen. Und die SPD mobilisierte wohl auch Wähler:innen, die in der | |
unübersichtlichen Gemengelage Kontinuität wollen. Tatsächlich könnte die | |
SPD nun für die Regierung gebraucht werden. | |
Die CDU darf laut Parteitagsbeschlüssen weder mit der AfD noch mit der | |
Linken zusammenarbeiten, deshalb bleibt für Voigt vor allem das BSW als | |
Koalitionspartner – und die SPD. Vor dem Christdemokraten liegen nun | |
komplizierte Verhandlungen, bei denen ein Scheitern nicht ausgeschlossen | |
ist. Solange es keinen Nachfolger gibt, bleibt Amtsinhaber Ramelow | |
geschäftsführend im Amt – auch wenn der Prozess lange dauert. So steht es | |
in der Landesverfassung. | |
1 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Konrad Litschko | |
Anna Lehmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen | |
Bodo Ramelow | |
BSW | |
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen | |
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen | |
Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen | |
Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024 | |
Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Koalitionsabkommen in Thüringen: Brombeerernte in Erfurt | |
Der Koalitionsvertrag zwischen BSW, CDU und SPD steht. Ob das alles so | |
klappt in Thüringen, wie es sich die drei Parteien vorstellen? Dem | |
Freistaat täte es gut. | |
Eklat im Thüringer Landtag: Peinlicher Auftritt | |
In der turbulenten Sitzung im Thüringer Landtag gab AfD-Alterspräsident | |
Treutler eine armselige Vorstellung. Das Gute: Demokratische Parteien | |
arbeiteten zusammen. | |
++ Wahl-Ticker Thüringen und Sachsen ++: AfD bei Jungwähler:innen klar vorn | |
AfD ist bei jungen Wähler:innen in Sachsen und Thüringen mit Abstand | |
stärkste Partei. Maaßen maßlos enttäuscht über wertlose Werte der | |
Werteunion. | |
Szenario eines AfD-Ministerpräsidenten: Könnte, hätte, Höcke | |
Könnte Björn Höcke nach der Wahl in Thüringen Ministerpräsident werden? Und | |
was müssten die anderen Parteien tun, um das zu verhindern? | |
Analyse der Wahlergebnisse seit 1994: Wie Deutschland nach rechts rückte | |
Ganz Deutschland ist in den letzten drei Jahrzehnten nach rechts gerückt, | |
zeigt eine taz-Datenanalyse. Im Osten besonders drastisch. | |
++ Wahl-Ticker Thüringen und Sachsen ++: Höcke verpasst erneut Direktmandat | |
Die Rechtsextreme AfD wird in Thüringen stärkste Partei, in Sachsen liegt | |
sie minimal hinter der CDU. Die Linke zieht in Sachsen über Direktmandate | |
in den Landtag. |