# taz.de -- Behinderung von Betriebsratsgründungen: Umkämpfte Mitbestimmung | |
> Betriebsratswahlen werden häufig von der Arbeitgeberseite be- oder | |
> verhindert. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des | |
> gewerkschaftsnahen WSI. | |
Bild: Umkämpfte Mitbestimmung: Kundgebung des Begtriebsrat und der IG Metall d… | |
Berlin taz | Eigentlich ist die Festlegung im Betriebsverfassungsgesetz | |
eindeutig: „In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen | |
wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden | |
Betriebsräte gewählt“, heißt es dort direkt im ersten Paragrafen. | |
Doch die Realität sieht anders aus. Tatsächlich sind Betriebsräte nur eine | |
Ausnahme in der Privatwirtschaft. Dass dies nicht unbedingt dem | |
Desinteresse der Beschäftigten geschuldet ist, darauf verweist eine neue | |
Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der | |
Hans-Böckler-Stiftung. Danach wird mehr als jede fünfte | |
Betriebsratsneugründung von der Arbeitgeberseite behindert – obwohl das ein | |
Straftatbestand ist. | |
Im Auftrag des WSI haben die Wissenschaftler Martin Behrens und Heiner | |
Dribbusch im vergangenen Jahr Gewerkschaftssekretär:innen der IG | |
Metall, der IG BCE und der NGG aus 131 regionalen Untergliederungen zu | |
ihren Erfahrungen mit der Durchführung von Betriebsratswahlen befragt. | |
Das Ergebnis: Für den abgefragten Zeitraum zwischen 2020 und 2022 gab knapp | |
die Hälfte (47 Prozent) an, dass ihnen aus ihrem Zuständigkeitsbereich | |
Versuche der Be- oder Verhinderung einer Betriebsratswahl durch die | |
jeweilige Unternehmensführung bekannt sind. Davon betroffen seien 138 | |
Betriebe gewesen. | |
## Einschüchterung der Kandidaten | |
Die Störmaßnahmen reichten von der Verhinderung der Bestellung eines | |
Wahlvorstands bis zu einer Verlagerung oder sogar Schließung des | |
betreffenden Betriebs. Beliebteste Methode war die Einschüchterung | |
möglicher Kandidat:innen bis hin zu deren Kündigung. In 38 Prozent der | |
Fälle sei die Wahl letztlich vereitelt worden, berichten Behrens und | |
Dribbusch. | |
Die Behinderungen ereigneten sich nach der WSI-Auswertung besonders häufig | |
in Betrieben mit 51 bis 200 Beschäftigten. Überproportional betroffen waren | |
inhabergeführte Unternehmen. „Offenkundig trifft die betriebliche | |
Mitbestimmung gerade in jenen Bereichen auf verminderte Akzeptanz, wo | |
Eigentümer:innen ihr Geschäft persönlich führen und nur eine geringe | |
Bereitschaft zeigen, die Macht im Betrieb mit einer weiteren Instanz zu | |
teilen“, schreiben Behrens und Dribbusch. | |
Als Konsequenz ihrer Untersuchung fordern die Autoren einen erweiterten | |
gesetzlichen Schutz, der beispielsweise Betriebsratskandidat:innen | |
besser gegen Repressionen absichert. Zudem müssten [1][Verstöße wirksamer | |
als bisher verfolgt] und sanktioniert werden. Das hatte die Ampel | |
eigentlich auch in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. „Die Behinderung | |
der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt | |
ein“, verabredeten SPD, Grüne und FDP 2021. Doch umgesetzt haben sie ihre | |
Vereinbarung bis heute nicht. | |
## Je kleiner der Betrieb, desto seltener die betriebliche Mitbestimmung | |
Trotz gesetzlicher Verankerung sieht es [2][nicht gut für die betriebliche | |
Mitbestimmung] aus: Insgesamt arbeiteten 2022 nur noch 46 Prozent der | |
Beschäftigten in Westdeutschland und 44 Prozent der Beschäftigten in | |
Ostdeutschland in einem Betrieb mit Betriebsrat. Wobei die Faustregel gilt: | |
Je kleiner der Betrieb, desto seltener die betriebliche Mitbestimmung. | |
So besaßen mehr als drei viertel der Betriebe mit über 500 Beschäftigten | |
einen Betriebsrat, aber bloß ein knappes Drittel der Betriebe mit 51 bis | |
100 Beschäftigten. Von den Kleinbetrieben mit 5 bis 50 Beschäftigten haben | |
nur ganze 5 Prozent einen Betriebsrat. | |
Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI, hält das für | |
eine gesellschaftlich und auch gesamtwirtschaftlich hoch riskante | |
Entwicklung. „Gerade in Zeiten des Wandels sind Betriebsräte wichtig, damit | |
die Arbeit der Zukunft gemeinsam mit den Beschäftigten gestaltet werden | |
kann“, so Kohlrausch. Nur so könnten große gesellschaftliche Projekte wie | |
zum Beispiel die sozial-ökologische Transformation gelingen. | |
12 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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