# taz.de -- Schulstart in Berlin: Abgehängte Kids | |
> Mit verpflichtenden Familienräten will Marzahn-Hellersdorf Defiziten bei | |
> Schulkindern vorbeugen. Eltern sollen dabei mehr Verantwortung | |
> übernehmen. | |
Bild: Auch das richtige Halten und das Schneiden mit einer Schere muss geübt w… | |
BERLIN taz | In Marzahn-Hellersdorf starten mehr als die Hälfte der rund | |
3.000 Schulanfänger*innen mit einem Rückstand in die Schule. | |
Berlinweit betrachtet schneiden sie bei Tests teilweise am schlechtesten | |
ab. Das geht aus einem Bericht hervor, den Jugendstadtrat Gordon Lemm (SPD) | |
am Mittwoch vorstellte. Er spricht von „alarmierenden | |
Entwicklungsdefiziten“. | |
2022 zeigten die verpflichtenden Einschulungsuntersuchungen bei 6 von 10 | |
Kindern im Bezirk einen Förderbedarf, vor allem in den Bereichen Sprache | |
und feinmotorische Entwicklung. Die Ergebnisse aus den vier Sprachtests, | |
aus Tests zur Koordinierung von Sehen und (Hand-)Bewegungen und beim | |
Sortieren von Gegenständen anhand von Merkmalen und Einschätzen von Mengen | |
waren die schwächsten aller Bezirke. | |
Konkret bedeutet das, dass diese Kinder in den Schulen ein Anrecht auf | |
besondere Unterstützung und Förderung haben. Allerdings sind die Schulen | |
dafür gar nicht ausreichend ausgestattet: Zur generellen Überlastung der | |
Schulen kommt in Marzahn-Hellersdorf hinzu, dass die Schulen im Bezirk | |
[1][im berlinweiten Vergleich noch stärker vom Lehrer*innenmangel] | |
betroffen sind. Die gute Nachricht sei, dass ein zweijähriger Kita-Besuch | |
Defizite ausgleichen könne und dass [2][inzwischen auch genug Plätze] | |
verfügbar seien, sagt Lemm. Die Kinder müssten aber auch in den Kitas | |
ankommen. | |
„Wir könnten gar nicht fast jeder Familie ein*e Sozialarbeiter*in an | |
die Seite stellen, die dann Eltern im Prinzip von Geburt der Kinder an | |
begleiten“, sagt der Jugendstadtrat. „Das wollen wir auch nicht. Mehr | |
Fachkräfte sind keine Lösung.“ Stattdessen gehe es ihm darum, Eltern zu | |
stärken und sie stärker in die Verantwortung zu nehmen. Eines der Mittel | |
dafür ist der sogenannte Familienrat, den Marzahn-Hellersdorf seit diesem | |
Jahr in einem Modellprojekt erprobt und zu dem das Jugendamt Familien | |
verpflichtet. | |
## Hilfesystem neu denken | |
Der Familienrat ist eine Methode der sozialen Arbeit, bei der die | |
Familienmitglieder zusammen mit anderen Verwandten, Freund*innen oder | |
Bekannten zusammenkommen. Gemeinsam sollen sie dann ihre eigenen Lösungen | |
für konkrete Probleme entwickeln und diese auch selbstständig umsetzen. Die | |
Betroffenen entscheiden selbst, wer am Familienrat teilnimmt. Die Familien | |
werden in der Organisation von Koordinator*innen unterstützt, diese | |
halten sich aber eher im Hintergrund – im Gegensatz zu | |
Sozialarbeiter*innen. | |
Bei dem Treffen geht es darum zu besprechen, wie die Anwesenden bei | |
konkreten Problemen unterstützen können und wo es eventuell noch zusätzlich | |
professionelle Hilfe braucht. „Am Ende kann herauskommen, wer wann den Müll | |
rausbringt, um den Zustand der Wohnung zu verbessern. Oder was einem | |
Elternteil mit Depression helfen kann, am Morgen aufzustehen, um das Kind | |
in die Kita zu bringen“, erläutert die stellvertretende Leiterin des | |
Jugendamts, Maria Fritsche. | |
„Wir wollen dahin kommen, dass Eltern andere Eltern stärken“, sagt sie. | |
„Wenn das glückt, dann ist das sehr effektiv und hilfreich, die Erfahrung | |
haben wir schon gemacht.“ Familienräte seien dafür ein wichtiges Mittel, | |
neben [3][etwa Stadteilmüttern] oder Selbsthilfegruppen. | |
„Raus aus der Abwärtsspirale schaffen wir es nur mit mehr | |
gemeinschaftlicher Verantwortung“, betont Lemm, im Bezirk nennen sie es | |
[4][„Bildungspartnerschaften“ zwischen Eltern, Kitas und Schulen]. „Wir | |
versuchen, das komplette Hilfesystem neu zu denken. So, wie es früher in | |
engeren nachbarschaftlichen Verhältnissen vielleicht noch | |
selbstverständlicher war“, sagt er. „Nur so schaffen wir es, andere | |
Bedingungen zu schaffen, in denen die Risikofaktoren Armut, | |
alleinerziehende Eltern und Migration dann weniger stark wiegen.“ | |
11 Sep 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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