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# taz.de -- Film „Was ist schon normal?“: Die mit dem Extra-Ding
> In Frankreich ist der Film „Was ist schon normal?“ ein Riesenerfolg. Zum
> Ensemble der klamottigen Komödie gehören viele Menschen mit Behinderung.
Bild: Kommen klar: tatsächliche und simulierte „Downies“ in „Was ist sch…
Alle Jubeljahre kommt in Frankreich ein scheinbar unscheinbarer Film in die
Kinos, der nicht nur ein riesiger Kassenhit wird, sondern auch in Kultur
und Sprache eingeht. 2008 war es „Willkommen bei den Schti’s“, der
insgesamt etwas über 20 Millionen Zuschauer anzog, und [1][im Jahr 2011
„Ziemlich beste Freunde“] mit über 19 Millionen Zuschauern. Beide waren
Komödien, beide stellten Protagonisten in den Mittelpunkt, die selten auf
der Leinwand zu sehen sind, und räumten mit Vorurteilen auf.
So entpuppten sich die nordfranzösischen Schti’s, die „komisch“ reden, w…
sie alle Zischlaute in ein „sch“ verwandeln, weniger als vertrottelte
Provinzler denn als umgängliche Mitmenschen. In „Ziemlich beste Freunde“
wiederum saß der weiße Bourgeois Philippe im Rollstuhl und entdeckte durch
seinen unkonventionellen schwarzen Pfleger Driss aus der Banlieue die Welt
wieder neu. Lachen durfte man in beiden Filmen mit und über die „Anderen“,
weil sich ihre Andersartigkeit als Projektion von außen herausstellte.
Ähnlich verhält es sich nun auch mit der neuesten Erfolgskomödie aus
Frankreich, die den wenig originellen deutschen Verleihtitel „Was ist schon
normal?“ trägt. Sie überschritt Mitte August die magische Zuschauermarke
von 10 Millionen und füllt so in Zeiten von Kinomüdigkeit und
Streamingdiensten die Kinosessel.
Der französische Originaltitel „Un p’tit truc en plus“ verweist auf das
Chromosom 21, das bei Menschen mit Downsyndrom nicht zweimal, wie bei den
meisten Menschen, sondern dreimal vorhanden ist. Es handelt sich also, um
den Titel wörtlich zu übersetzen, um „ein kleines Extra(-Ding)“. Zwei
Ganoven werden im Laufe des Films viel mit Menschen mit diesem „Extra-Ding“
zu tun haben.
Alles beginnt in dem Film von Artus, der sich mit seinem Künstlernamen
wirklich nur so nennt und hier als Regisseur, Drehbuchautor und
Schauspieler agiert, mit einem Raubüberfall auf einen Juwelierladen. Paulo
(Artus) und sein Vater La Fraise (Clovis Cornillac) erbeuten wertvollen
Schmuck und türmen dann. Sie landen vor einem Reisebus voller „Downies“ und
anderer Menschen mit Behinderungen, die auf dem Weg zu ihrer
Urlaubsunterkunft im Vercors-Gebirge sind.
## „Downies“ und Normalos
Paulo gibt sich als geistig behindert aus und La Fraise mimt den Betreuer.
Fortan nennen sie sich Sylvain und Orpi und freuen sich, die Polizei
abgehängt zu haben. Paulo gelingt die Interaktion mit seinen Reisekumpanen
ziemlich gut. Sie durchschauen zwar schnell sein Cover, halten aber dicht
und nehmen ihn in ihrer Gemeinschaft auf.
Im Ferienort gibt es Scherereien mit dem Besitzer des Grundstücks, und die
Caterer vor Ort speisen die Urlauber mit dürftiger Kost ab. So schwingt
sich La Fraise mit teilweise rabiaten Methoden zu ihrem Beschützer auf. Der
Film erzählt zwei Geschichten parallel: die der untergetauchten
Kleingangster, die ihre Beute verticken müssen, und die der Truppe mit dem
„Extra-Ding“, den eigentlichen Helden des Films. Deren Bedürfnisse in den
malerischen Bergkulissen Südostfrankreichs unterscheiden sich eigentlich
kaum von denen der „Normalos“.
Sie haben Vorlieben und Abneigungen – so schwärmt Arnaud (Arnaud Toupense)
virtuell für die (verstorbene) Schlagerikone Dalida und in echt für Marie
(Marie Colin), die ebenfalls das Downsyndrom hat, während Baptiste den
Fußballstar Cristiano Ronaldo verehrt. Die festgefahrenen Abläufe im
Feriencamp langweilen Arnaud, Marie, Thibaut, Boris und die restlichen
Heimbewohner. Ständig werden sie von den „Normalos“ unterschätzt.
Zwar kommt die Komödie einigermaßen klamottig herüber, setzt auf Running
Gags (Marie bekommt immer versehentlich eines auf die Nase), Pimmel- und
Kacka-Witze oder Situationskomik. Doch der Film hat sein Herz am rechten
Fleck und optiert im Zweifel immer für die sogenannten Beeinträchtigten.
Die Hauptrollen werden außer dem Kleingangsterduo und den Betreuern von
[2][echten Menschen mit Downsyndrom,] von Autisten und Gehbehinderten
gespielt, und sie erhalten deutlich mehr Leinwandzeit als in Filmen mit
ähnlichem Sujet. [3][In Cannes] stieg das Filmteam sogar die berühmten
Stufen des Festivalpalais empor. Doch dass namhafte Designer die
Schauspieler:innen zunächst nicht einkleiden wollten und sich in
Ausreden flüchteten, zeigt, dass im echten Leben noch einiges im Argen
liegt für den Umgang mit Menschen mit dem „P’tit truc en plus“.
11 Sep 2024
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## AUTOREN
Kira Taszman
## TAGS
Kino
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