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# taz.de -- Die Wahrheit: Per Kotmobil in Dunkeldeutschland
> Gekennzeichnet, geschnitten, geächtet: Dies ist die Passionsgeschichte
> eines bayerischen Automobilisten mit Münchner Kfz-Kennzeichen.
Wir haben ein Auto geerbt und weil das neuerdings erlaubt ist, und ich zu
faul war, die Nummernschilder abzuschrauben, sowie zu geizig, für neue zu
bezahlen, habe ich bei der Ummeldung in der Berliner Zulassungsstelle das
Münchener Kennzeichen behalten. Das alte Auto haben wir an Jugendliche
verschenkt.
Unser Karma hat das anscheinend nicht verbessert. Denn ich habe den
Kackbaum vor meinem Haus vergessen. Die Stammlatrine einer so fröhlichen
wie verdauungsfreudigen Krähenkolonie war mir wegen der extrem
verschmutzten Fahrzeuge darunter zwar schon mehrmals aufgefallen, doch dann
schwand sie mir wieder aus dem Sinn, weil so heimatnah ohnehin nie ein
Parkplatz zu finden war.
Doch das ist nun anders. Neuerdings gibt es hier Parkraumbewirtschaftung,
und ich habe einen Anwohnerausweis. Das neue Auto parkt fast vor meiner
Haustür, bloß das Einsteigen ist heute schwierig. Es ist derart
vollgekackt, dass ich kaum die Tür aufkriege: Mist, der Kackbaum!
Ein Opel Kormoran. Ich muss an Bilder von komplett im Vogeldung versunkenen
Teichinseln denken – auf den toten Ästen der durch die ätzende Säure schon
vor Jahren verreckten Bäume sitzen Hunderte der schwarzen Fischfreunde
genüsslich im eigenen Dreck. Ich bin ein fahrender Guanofelsen mit
Münchener Kennzeichen; ich bin buchstäblich ein erbärmlicher Haufen
Scheiße.
Bereits beim Ausparken meines Kotmobils strömen die Passanten zusammen wie
bei einer Hinrichtung im Mittelalter. Auf offener Straße zeigen sie mit
den Fingern auf mich und lachen hämisch: Der Anfänger, der Fremde, der
Volltrottel. Wir sind zwar in Neukölln, doch was heute viele nicht mehr
wissen: Auch im alten West-Berlin wurden die Bundesrepublikaner „Wessis“
genannt, und waren gern gewählter Gegenstand von Spott und Hohn, obgleich
ihrer immer so viele waren, dass es ihnen herzlich am Arsch vorbei ging.
Man hatte das Gefühl, sie waren sowieso die Mehrheit. Einen feisten,
arroganten Bayern mit Scheiße im Gesicht, am Briefkasten, am Schuh oder
wenigstens auf dem Auto sieht man seit jeher umso lieber.
Und ich wäre nicht ich, ein Ausbund an Demut, Grübelei und Selbstzweifel,
ahnte ich nicht insgeheim, dass ich den Schimpf verdient habe. Ich habe mir
das Auto nicht erarbeitet oder wenigstens gestohlen. Ich habe es ja noch
nicht mal selbst geerbt, was an sich schlimm genug wäre; meine Frau hat es
geerbt.
Es ist eine moderne Form der Selbstgeißelung. Anstatt mir mit einer Knute
die Haut in Fetzen zu schlagen, fahre ich hier in meinem eigenen Schandmal
aus eitel Exkrement durch die Gegend, und die dazugehörige Dornenkrone ist
das Nummernschild, auf dem steht M-UH-1965, sprich Uli von München, König
der Arschlöcher – das ist nämlich, was alle, mich im Grunde eingeschlossen,
denken: Das geschieht dir recht, du Westerbe, du Kolonialist, du
verschissenes Münchener Dreckschwein!
Selbstredend wurde das neue Fahrzeug auch schon aufgebrochen, werden wir
auf der Straße geschnitten, beschimpft oder nicht mal im
Reißverschlussverfahren zurück in die Spur gelassen. Und außerhalb Berlins
verschärft sich die Situation noch weiter.
Wenn wir in den Brandenburger Ort einreiten, wo unsere Holzhütte auf einem
gepachteten Waldgrundstück steht, kommen wir an Einfamilienhäusern mit
Gärten vorbei. In fast jedem dieser Gärten steht, die Hände reglos auf den
Stiel eines Gartengeräts gestützt, eine einzelne ältere Person. Immer. Sie
blickt uns argwöhnisch entgegen und, wie wir im Rückspiegel ausmachen
können, noch lange hinterher. So so, aha, wo kann man das melden. Sonst
passiert hier ja auch nicht viel.
Mit dem alten Auto mit Berliner Kennzeichen war es so, dass, hob man nun am
Steuer leicht grüßend die Hand, die stets wachsame Person aus dem Garten
zögernd zurück grüßte. Was waren wir dann jedes Mal stolz über diesen
offensichtlichen Vertrauensvorschuss, den man uns ohne Not und freiwillig
entgegenbrachte; es war fast schon so, als gehörte man dazu.
Geheuer waren wir ihnen zwar ebenfalls nicht – Berliner sind schließlich
auch nicht von hier –, aber das ist zumindest nicht ganz so weit weg, und
womöglich waren wir ja aus Hohenschönhausen oder ähnlich verbündetem
Gebiet. Sie hatten ja nun immerhin fast fünfzehn Jahre lang Zeit gehabt,
sich an uns und unseren Westwagen zu gewöhnen.
Die beharrliche Konditionierung schien langsam erste Früchte zu tragen. Wer
wusste denn schon, mochte der Märker denken, theoretisch hätten wir ja
sogar entfernt zu irgendwas befugt sein können. In solchen Fällen kann der
Einheimische durchaus Milde zeigen: im Zweifel für die Angeklagten.
Zutrauen schlich sich ein; nicht mehr lange und man hätte uns gar ein
Schälchen Soljanka vor die Hütte gestellt.
## Der Blick der Dörfler wird stechender
Doch mit dem Münchener Kennzeichen ist nun alles aus. Der Blick der Dörfler
wird stechender, die Miene abweisender, der Argwohn ärger. Noch fester wird
das Gartenutensil umkrallt, um es im Ernstfall jederzeit zur Verteidigung
von Haus und Grundstück einzusetzen, damit der verschlagene Bayer sich die
gesamte Gemarkung nicht einfach griffe, weil er behauptete, sie wäre seine
und schon immer seine gewesen.
Wären wir näher dran, sähen wir, wie sich seine Fingerknöchel in präfinaler
Anstrengung weiß verfärben. Conquer or die, Sekt oder Schultheiß! Natürlich
grüßt jetzt keiner mehr zurück, vollkommen zu Recht. Das jahrelange Bemühen
um wenigstens den Anschein einer Integration ist mit einem Schlag, mit
einem Buchstaben, nicht zufällig dem dreizehnten des Alphabets, dahin. Da
könnten wir im Garten zehnmal die russische Flagge hissen – von Söders
fünfter Kolonne lässt sich keiner mehr täuschen.
Wir grüßen nun selbst nicht mehr. Das würde sich falsch anfühlen. Es ist,
als stünde uns die gewiss als anmaßend empfundene Geste nicht zu. Wir
wollen ja auch niemanden über Gebühr reizen, sonst fackeln sie uns am Ende
noch die Bude ab. Längst sind wir als Eindringlinge der schlimmsten Sorte
(Kategorie M) registriert – auch mit mittlerweile wieder sauberem Auto
erkennt man uns schon von weitem.
Denn das weiß dieses hochempathische Völkchen instinktiv: Den Schmutz auf
seiner Seele bekommt der Westdeutsche niemals ab. Der wird ihn stets
verraten.
7 Sep 2024
## AUTOREN
Uli Hannemann
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