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# taz.de -- Der Hausbesuch: Das Glück ist aus Holz
> Gestalterische Berufe sind in der Familie von Bernhard Scharnick tief
> verankert. Er wurde Tischler – und kam so an eine der raren Wohnungen in
> Berlin.
Bild: Die Bilder an den Wänden stammen von befreundeten Künstler*innen
Manche Menschen haben das Glück, mehr als ein Talent zu besitzen. Bernhard
Scharnick gehört zu ihnen.
Draußen: Einige Straßen im Berliner Kiez rund um den Halensee tragen
Heldennamen: Hektor, Nestor, Cicero. Der [1][glamouröse Ku’da]mm liegt
gleich um die Ecke. Dort tapezieren die verfärbten Blätter der Linden die
Trottoirs. Auf Terrassen vor Restaurants sitzen Geschäftsleute in ihren
Mittagspausen in der Sonne. Schönheitssalons, Imbisse, Restaurants,
Kunstgalerien und Antiquitätenläden bestimmen das Straßenbild. In einer
ruhigen Nebenstraße mit Gaslaternen und Gründerzeithäusern wohnt der
Tischler Bernhard Scharnick mit seiner Frau, der Gesangspädagogin Kathrin
Freyburg.
Drinnen: „Das ist kein Ikea“, sagt Scharnick über das Bild, das über dem
Sofa im Wohnzimmer hängt – eine weiße Orchidee, aufgenommen vom Fotografen
Thomas Florschuetz. Auch die Gemälde, die die Wände zieren, stammen von
befreundeten Künstler*innen. Vieles im Wohnzimmer ist aber auch von
Scharnick selbst: der Esstisch aus Massivholz, ein Lampenkonstrukt über dem
Esstisch, ein Stehpult. Letzteres war sein Gesellenstück. Den Blickfang im
Zimmer indes hat er von einer Großtante seiner Mutter geerbt. Es ist ein
Nussbaum-Eckschrank im Jugendstil aus dem Jahr 1860. Darin aufbewahrt sind
ein Nussknacker aus dem Erzgebirge, Handpuppen und Teddybären, mit denen
„der kleine Bernhard“ früher spielte.
Querverbindungen: Wird der Tischlermeister gefragt, ob er Berliner sei,
überlegt er. Die Antwort sei komplex und habe mit der Familiengeschichte zu
tun. Scharnicks Großmutter mütterlicherseits wurde 1902 [2][in Halensee]
geboren. „Sie erlebte die Gegend noch als grüne Wiese.“ Das erzählte sie
ihm vor 30 Jahren, als er und seine Frau frisch in der Wohnung lebten und
sie zu Besuch kam. „Es war spannend, das Viertel mit ihr zu erkunden.“ Die
Großmutter erkannte alles wieder: „Da habe ich gewohnt.“ – „Da wurde i…
eingeschult.“ In dem Haus, in dem sie geboren wurde, war nun eine Apotheke
– die Stamm-Apotheke von Enkel Bernhard Scharnick. Die Kirche, in der die
Oma heiratete, war der Arbeitsplatz seiner Frau, als sie noch
Kirchenmusikerin war. Solche „Verbindungen zur Stadt“, wie Scharnick sie
aufzählt, gebe es in seiner Biografie reichlich. Sie sind wichtig, um sich
zu verorten. Aber es hätte auch anders laufen können.
Chile und Frankfurt: 1961 kam Bernhard Scharnick in Frankfurt am Main zur
Welt. Seine Eltern waren kurz vor seiner Geburt von Chile nach Deutschland
zurückgekehrt, wohin sie Ende der 1950er Jahre gezogen waren. Nachdem sie
sich kennengelernt hatten, fragte der Vater die Mutter: „Ich habe einen Job
in Südamerika, kommst du mit?“ Die Mutter nickte. „Okay“, sagte der Vate…
„wir müssen in vier Wochen los.“ Bernhard Scharnicks Eltern „heirateten
schnell, blieben lebenslang zusammen und bekamen vier Kinder“. Zurück nach
Deutschland gingen sie, weil sie nicht wollten, dass Sohn Bernhard in
Südamerika zum Militär muss – denn wenn man in Chile geboren ist, ist man
automatisch Staatsangehöriger. Seine Schulzeit verbrachte Scharnick dann in
Nürnberg. Später zog er wegen der Tischlerlehre nach Heidelberg und war in
der Marine in Flensburg.
Freiburg und Freyburg: Nach der Zeit bei der Marine folgte Bernhard
Scharnick seiner jüngeren Schwester nach Berlin: „Es war in den achtziger
Jahren. Sie hatte eine gute Freundin, die sie mir vorstellen wollte.“
Kathrin, die Freundin, war auch neugierig, wollte den Bruder kennenlernen.
Der Rest ist Geschichte; „ein bisschen zusammen lachen, quatschen …“ Eine
Anekdote über den Beginn der Liebe erzählt Scharnick gerne: „Es war die
gleiche Woche, in der ich Frau Freyburg traf und in Freiburg einen Job
bekam.“ Dort zog er dann auch hin.
Fernbeziehung: Herr Scharnick und Frau Freyburg führten anfangs eine
Fernbeziehung. Dann kündigte er in Freiburg, zog nach Berlin. Als das Paar
kurz vor der Wende nach Stuttgart weiterziehen wollte, wurde sie schwanger.
Es war Herbst 89. Sie waren in Berlin, als die Mauer fiel, und sind dort
geblieben. Eine Bekannte wies sie auf die heutige Wohnung hin. „In den
90ern war es so schwer wie jetzt, eine Wohnung zu finden. Aber ich habe
gesagt, dass ich Handwerker bin und alles repariere, so haben wir sie
bekommen.“
Gestalten: „Ihr dürft gerne studieren, aber ihr sollt auch etwas
Handwerkliches lernen“, gaben Bernhard Scharnicks Eltern ihren Kindern mit
auf den Weg. Die ältere Schwester ist Geigenbauerin, die jüngere
Buchbinderin und die jüngste Gärtnerin und Landschaftsarchitektin geworden.
„In unserer Familie sind gestalterische Berufe tief verankert.“ Scharnicks
Mutter wurde nach dem Krieg in einer Teppichweberei zur Teppich-Zeichnerin
ausgebildet. Sie entwarf Teppiche, etwa den, der unter dem Esstisch liegt.
„Ein Zeitdokument aus den 60er Jahren.“ Zwei Großtanten hatten eine
Stickerei in Hamburg, die Oma war Stickerei-Meisterin, „was damals für
Frauen nicht üblich war“. Auch er habe gestickt als Kind, seine
Taschentücher mit einem „B“, einem Monogramm, verziert. In der Schule habe
er Nähen gelernt. Aber das Textile war dann doch nichts.
Tischlermeister: Bernhard Scharnick wollte Bäcker werden, aber um 4 Uhr
morgens aufstehen zu müssen, das sei dann doch nichts für ihn gewesen.
„Lieber ins Theater und ins Kino gehen.“ Also Tischler. 1982 macht er
seinen Gesellen-, 1988 seinen Meisterbrief. Lange arbeitete Scharnick in
einer Tischlerei in Berlin-Kreuzberg, später machte er sich selbstständig.
„Jetzt bin ich mit mir, ganz allein, und bin froh darüber.“ Wenn er eine
Werkstatt braucht, ist er Untermieter bei Freunden, die eine haben. Er
macht Möbelbau und Innenausbau und fertigt Holzarbeiten im öffentlichen
Raum sowie Spielgeräte aus Holz und Metall – auch für Spielplätze.
Spielplatzprüfer: Seit 16 Jahren ist Scharnick zudem qualifizierter
Spielplatzprüfer. Das habe sich so ergeben. Ob Spielplatzprüfer schaukeln
müssen? Scharnick lacht. „Leider nicht. Es ist wie ein TÜV. Es gibt ein
dickes Buch voller Normen, die respektiert werden müssen, damit ein
Spielplatz in Betrieb gehen und bleiben darf.“
Spuren: Wenn Scharnick seine Arbeiten in der Stadt betrachtet – eine davon
ist ein Steg im Park Hasenheide –, erinnert er sich an die Bauzeit, sieht
aber auch die Spuren der Zeit. „Es freut mich, dass die Objekte benutzt
werden. Gleichzeitig schmerzt es, dass keiner sie pflegt.“ Aber so sei es:
„Man produziert etwas, erhält dafür Geld und ist nicht mehr dafür
verantwortlich.“
Erfüllung: Das Schönste an seinem Beruf? Dass er gestalterisch ist, findet
Scharnick – und dass das, was er herstellt, Gebrauchswert hat. „Das macht
mir Spaß, wenn ich Kund*innen etwas Nützliches, das für sie gemacht
wurde, in die Hand gebe und dafür bezahlt werde“, sagt er. „Wenn ich es
schaffe, einen Wunsch genau zu verstehen und zu erfüllen und wenn für
beide, für den Kunden und für mich, alles passt, dann bedeutet das Glück.“
10 Nov 2024
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## AUTOREN
Luciana Ferrando
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