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# taz.de -- Weitspringer Rehm bei den Paralympics: Grenzen der Inklusion
> Parasportler Markus Rehm steht vor seinen vierten Paralympics vor dem
> maximalen Erfolg. Doch er hätte sich mehr gewünscht.
Bild: Ausnahmespringer: Markus Rehm bei der Deutschen Meisterschaft in Erfurt i…
Markus Rehm bringt das Publikum zum Staunen, das ist seit Jahren eine
Selbstverständlichkeit. Der unterschenkelamputierte Weitspringer ist seit
2010 ungeschlagen. Er hat bei Weltmeisterschaften sieben und bei
Europameisterschaften fünf Titel gefeiert. An diesem Mittwoch in Paris wird
Rehm bei seinen vierten Paralympics sehr wahrscheinlich seine vierte
Goldmedaille im Weitsprung gewinnen. [1][Kaum jemand dominiert eine
Sportart so sehr wie er.]
Doch eine solche Dominanz ist in der Unterhaltungsindustrie Sport medial
und kommerziell von begrenztem Wert. Die Bestleistung von Markus Rehm liegt
bei 8,72 Meter, paralympischer Weltrekord. Doch auch im Weitsprung der
Nichtbehinderten sind bislang nur acht Männer weiter gesprungen als Rehm.
Der Weltrekord stammt von 1991: Der US-Amerikaner Mike Powell sprang in
Tokio 8,95 Meter. Vor wenigen Wochen bei den Olympischen Spielen in Paris
genügten dem Griechen Miltiadis Tendoglou sogar nur 8,48 Meter für die
Goldmedaille.
Es ist gut möglich, dass Markus Rehm diesen Wert in Paris übertrifft, doch
auch das wäre keine große Schlagzeile mehr. Stattdessen möchte er im Alter
von 36 Jahren möglichst nah an die Neunmetermarke heranspringen. Dass er
sie überschreitet, ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Womöglich würde er sogar bei den Paralympics 2028 in Los Angeles, dann mit
40, locker und leicht die Goldmedaille gewinnen. Doch in dieser
Vorhersehbarkeit liegt auch eine gewisse Tragik.
Irgendwann wird Markus Rehm seine Laufbahn beenden. Als Seriensieger,
Vorbild und Werbefigur, aber eben auch als Sportler, der nicht bis an die
letzte Grenze gehen durfte. Denn die größte Bühne des Sports wird ihm wohl
verwehrt bleiben.
## Klage für Startrecht
[2][Markus Rehm setzte sich jahrelang dafür ein], auch bei den Olympische
Spielen zu starten. Athleten, Funktionäre und Wissenschaftler diskutierten,
ob er mit seiner Prothese einen unfairen Vorteil gegenüber Nichtbehinderten
habe. Es wurden Studien verfasst und Dokumentation gedreht, aber eine
unumstrittene und zukunftsweisende Antwort gibt es nicht wirklich. Für die
Olympischen Spiele 2021 in Tokio wollte Rehm sein Startrecht einklagen,
aber er scheiterte vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS.
Es ging in der Debatte lange um technische, biologische und orthopädische
Details. Vereine und Verbände aus der olympischen Leichtathletik fürchteten
einen Präzedenzfall. Wenn sie Rehm zulassen würden, so die Sorge von
einigen, dann würden irgendwann Prothesenspringer die Medaillen und Prämien
unter sich ausmachen. Doch inzwischen dürfte klar sein: Rehm ist vor allem
wegen seiner Athletik und mentalen Stärke zum besten Weitspringer seiner
Generation aufgestiegen.
Die politische Dimension kam in dieser Debatte zu kurz. Bereits 2006
[3][hatten die Vereinten Nationen die Inklusion als Leitmotiv]
festgeschrieben, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen. Das Internationale Paralympische Komitee IPC gab ein Jahr
später das Ziel aus, spätestens 2016 nicht mehr als Fachverband zu wirken.
Behinderte und nichtbehinderte Athleten sollen in denselben Strukturen der
jeweiligen Sportarten aktiv sein, so der Plan. Doch bis heute muss das IPC
in etlichen Sportarten die Para-Weltmeisterschaften selbst ausrichten, auch
in der Leichtathletik.
## Unsicherheit an der Basis
Am Beispiel von Markus Rehm wird deutlich, wie wenig sich die olympische
Welt für die paralympische interessiert. Und wie weit der Sport von
tatsächlicher Inklusion entfernt ist. Rehm ist einer der wenigen Sportler
mit Prothese, die bei Olympia hätten mithalten können. Es ist nicht
vollständig klar, ob er dort einen unfairen Vorteil gehabt hätte. Aber es
ist klar, dass seine Teilnahme für Millionen Menschen mit Behinderungen
eine Inspiration gewesen wäre.
Was die breite Öffentlichkeit nicht mitbekommt: Markus Rehm bestritt lange
mehr als ein Dutzend Wettkämpfe pro Jahr. Bei kommerziellen Meetings
vermarkteten ihn die Gastgeber als Gesicht seiner Sportart, er trat dort
oft gegen Nichtbehinderte an. Bei regionalen und deutschen Meisterschaften
hat er sich ebenfalls mit olympischen Kollegen gemessen, allerdings wurde
er meist in einer Sonderwertung gelistet.
Außerhalb des Fußballs ist Markus Rehm einer der bekanntesten deutschen
Sportler. Aber er war auch umstritten: Etliche Olympia-Weitspringer
betrachteten ihn mit Distanz, denn sie wollten nicht gegen einen Mann mit
Prothese verlieren. Einige Paralympier waren genervt, weil sie Rehm in
ihrer Bewegung als abtrünnig ansahen.
Diese Kontroverse hat auch an der Basis für Unsicherheit gesorgt.
Veranstalter und Kampfrichter von Sportfesten tun sich mitunter schwer,
Jugendliche mit Behinderungen zu integrieren. Einige von ihnen glauben,
dass man mit Prothese generell einen Vorteil habe. Sie wissen nicht, wie
groß die Überwindung für Menschen nach einer Amputation sein muss, um sich
überhaupt mit Spitzensport zu befassen.
Markus Rehm wird irgendwann seine Laufbahn beenden. Der internationale
Sport wird dann eine Chance für Inklusion vertan haben. Mit seiner Prothese
mag Rehm der beste Weitspringer der Welt sein. Aber am Ende bleibt der
Eindruck bestehen, dass er sein Talent nicht völlig frei entfalten konnte.
3 Sep 2024
## LINKS
[1] /Leichtathletik-bei-den-Paralympics/!5792934
[2] /Paralympic-Sportler-Rehm-ueber-Olympia/!5747332
[3] /ExpertInnen-ueber-Inklusion/!5952698
## AUTOREN
Ronny Blaschke
## TAGS
Schwerpunkt Paralympics 2024
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