# taz.de -- Deutsche Stars bei den Paralympics: Große Sprünge und Scheibenkle… | |
> Markus Rehm und Marianne Buggenhagen überstrahlen alle anderen deutschen | |
> Athleten bei den Paralympics. Das missfällt einigen. | |
Bild: Markus Rehm bei einem Wettkamp in London, 2016 | |
RIO DE JANEIRO taz | Wenn Markus Rehm das Interesse des Fragestellers | |
erfasst hat, dann nickt er kurz mit dem Kopf. Er antwortet nie zu lang und | |
nie zu kurz. Ein bisschen Pro, ein bisschen Kontra, diplomatisch, aber | |
nicht platt. Er ist vorsichtig geworden. | |
Wenn Marianne Buggenhagen auf ihre Rolle angesprochen wird, dann macht sie | |
sich kleiner, als sie ist. Ein letzter großer Wettkampf, vielleicht mit | |
einer Medaille, hoffentlich in Gold, dann war’s das, aber dicke | |
Schlagzeilen? Das müsse nun wirklich nicht sein. | |
Markus Rehm und Marianne Buggenhagen sind die bekanntesten | |
Behindertensportler Deutschlands. Sie sind die Leitfiguren | |
unterschiedlicher Generationen. Bei den Paralympics in Rio werden sie am | |
Samstag ihren großen Tag haben. Der eine dürfte locker Gold im Weitsprung | |
gewinnen, die andere mindestens Silber im Diskuswerfen. Rehm und | |
Buggenhagen blicken seit Langem von der Spitze ihrer Branche, und doch sind | |
sie auch umstritten. Sie stoßen Debatten an, die nicht offen ausgetragen | |
werden. Sie ziehen Neid auf sich, hinterlassen Unsicherheit. | |
Im August ist in der Zeit [1][ein Dossier über Markus Rehm erschienen]. | |
Darin wird beschrieben, warum der unterschenkelamputierte Weitspringer die | |
Leichtathletik spaltet. Rehm, 28, kämpfte über Monate für einen Start bei | |
Olympia, mit Interviews, mit Netzwerkarbeit, mit einer komplexen | |
wissenschaftlichen Studie. Rehm ist schon mal 8,40 Meter gesprungen, damit | |
wäre er in Rio Olympiasieger geworden. Die größte Bühne des Sports durfte | |
er aber nicht betreten. Letztlich konnte er nicht zweifelsfrei beweisen, | |
dass er durch seine Prothese keinen Vorteil hat. | |
## Projektionsfigur fürs Unbehagen | |
Man würde gern wissen, wie es Rehm nun geht, nach den Monaten der Zweifel | |
und der Warterei auf die Entscheidung der Leichtathletikverbände, doch er | |
lässt Außenstehende nicht hinter die Fassade schauen. Es ist interessant zu | |
beobachten, wer im Olympiastadion von Rio mit ihm redet und wer ihn eher | |
meidet. Die Zeit schrieb: „Für einen Heinrich Popow ist Markus Rehm ein | |
Behinderter, der nichts mehr mit Behinderten zu tun haben will.“ Popow | |
sagt, er habe diesen Gedanken nie so hart formuliert, und doch legt der | |
Satz die Konfliktlinie offen. | |
Man muss dazu wissen, dass Rehm erst durch Heinrich Popow zur | |
paralympischen Elite gekommen ist, 2008 zu Bayer Leverkusen. Popow, 33, ist | |
als Paralympier auch hoch dekoriert, in London gewann er Gold über 100 | |
Meter. Aber Olympia kam nie infrage für ihn, denn anders als bei Rehm | |
musste ihm auch das Knie amputiert werden. Popow braucht ein hydraulisches | |
Metallgelenk. In seiner Weitsprung-Startklasse hält er den Weltrekord – mit | |
6,77 Metern. | |
Solche Details gehen in der Diskussion meist unter. Fast könnte man den | |
Eindruck gewinnen, dass sich ein Amputierter nur eine Prothese umschnallen | |
müsse und schon sei das olympische Eingangstor geöffnet. Man kann sich nach | |
einem Gespräch mit Markus Rehm nicht wirklich vorstellen, dass er sich | |
innerhalb der paralympischen Gemeinde für etwas Besseres hält. | |
Aber er ist die Projektionsfigur für das Unbehagen vieler Kollegen. Denn | |
die wollen auch umgarnt werden: für Werbespots, für Fernsehdokumentationen, | |
für orthopädische Fachvorträge. Es heißt, einige nichtbehinderte Sportler | |
sollen sogar über einen Boykott gegen Rehm nachgedacht haben. Und Rehm | |
verzichtete seinerseits darauf, seinen Olympiaplatz einzuklagen. Nach | |
Harmonie klingt das nicht. | |
## Deutschlands Sportlerin des Jahres 1994 | |
Marianne Buggenhagen, 63, stammt aus einer anderen Zeit. Ihre Erfolge im | |
Stoßen und Werfen würden eine ganze Zeitungsseite füllen, in Rio bestreitet | |
sie ihre siebten und letzten Paralympics. Als sie 1994 vor Steffi Graf und | |
Franziska van Almsick zu Deutschlands Sportlerin des Jahres gewählt wurde, | |
da landete sie im Gesundheitsmagazin und nicht im Sportstudio. Diese | |
Anekdote ist bekannt. Sie überdauert im kollektiven Gedächtnis des | |
Behindertensports. Buggenhagen symbolisiert die schweren Anfänge des | |
Behindertensports und nicht die glänzende Zukunft. | |
Da ist zum Beispiel ein Paralympics-Mitglied im Ruhestand, behängt mit | |
vielen Medaillen, und sagt: „Es ist doch affig, mit über sechzig noch | |
Leistungssport zu machen. Was sagt das denn über die Konkurrenz und das | |
Leistungsvermögen aus? Für die Glaubwürdigkeit unseres Sports ist das | |
fatal.“ Und es gipfelt in der Anregung: „Da sollten Sie mal einen Artikel | |
drüber schreiben.“ | |
Das könnte man machen, ist aber nicht so einfach, denn mit einer nicht | |
glatt gebügelten Meinung möchte sich dazu niemand zitieren lassen. In | |
Hintergrundgesprächen aber teilen etliche Paralympier die formulierte | |
Kritik. | |
## „Motivation ist weg“ | |
So muss man das beschreiben, was man sehen kann. Der Deutsche | |
Behindertensportverband hat eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit – auf | |
allen Medienkanälen, schon vor den Spielen mit Workshops und | |
Diskussionsforen. Marianne Buggenhagen spielte bei den Präsentationen keine | |
Rolle. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren war sie Alleinunterhalterin. Heute | |
sieht man junge, vor Kraft strotzende Athleten. Popow und Rehm gehen voran. | |
Und die Resonanz in den sozialen Medien ist recht groß. Buggenhagen musste | |
ihren Sport jahrelang selbst finanzieren, das Interesse von Sponsoren war | |
überschaubar. | |
Sie selbst möchte sich auf eine Altersdiskussion nicht einlassen, sie werde | |
im paralympischen Dorf von allen akzeptiert. Aber: „Meine Motivation ist | |
weg“, sagt sie. „Ich möchte mit einer guten Leistung aufhören. Damit | |
niemand sagen kann: Warum ist die Alte nicht schon früher abgetreten.“ Sie | |
wird bald mehr Zeit mit ihrem Mann verbringen, vielleicht reisen und einen | |
Angelschein machen. Das wiederkehrende Gefühl, Jüngeren einen Platz | |
wegzunehmen, ist dann weg. | |
Markus Rehm und Marianne Buggenhagen stehen im Zentrum von interessanten | |
Diskussionen, es gibt da kein Richtig und kein Falsch. Es ist schade, dass | |
die Themen nicht transparenter verhandelt werden. Das liegt auch daran, | |
dass es keine beständige Beobachtung gibt, selten in der Wissenschaft, noch | |
seltener in den Medien. So gleicht die Berichterstattung in Rio einer | |
medaillenfixierten Bewunderungskultur. Das war früher schon Bevormundung | |
gegenüber behinderten Menschen, und das ist es auch jetzt. | |
Markus Rehm wird weiter für den Sport mit Nichtbehinderten streiten. Und | |
Marianne Buggenhagen ist als Botschafterin für Gleichberechtigung stetig | |
aktiv. Paralympier wie sie finden es gut, wenn man die Denkmuster im | |
Behindertensport hinterfragt. Das würde nämlich bedeuten, dass man sie | |
genauso ernst nimmt wie ihre Kollegen bei den großen Olympischen Spielen. | |
17 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/2016/33/markus-rehm-olympische-spiele-behinderung-prothe… | |
## AUTOREN | |
Ronny Blaschke | |
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