# taz.de -- Ultraorthodoxe in Israels Armee: Israels Streit-Kräfte | |
> Ultraorthodoxe absolvierten bislang selten den Militärdienst. Viele | |
> meinen, die Armee sei zu liberal und zu „woke“, doch nun werden sie | |
> einberufen. | |
Bild: Soldaten des Netzah-Yehuda-Bataillons bei einer Vereidigungszeremonie im … | |
Jerusalem taz | Wenn Eliyahu Chait zu sprechen beginnt, blitzen seine | |
leuchtend blauen Augen regelrecht. Der Rücken gerade, die Stimme ruhig, die | |
Finger entspannt – was er sagt, ist kontrovers, doch Chait ist sich seiner | |
Sache sicher: „Warum“, fragt er, „muss sich ein gläubiger, orthodoxer | |
Soldat eine einstündige Lektion über die Rechte von LGBTQ-Personen | |
anhören?“ Und antwortet gleich selbst: „Weil das Militär geführt wird von | |
Säkularen, die wollen, dass wir genauso werden wie sie.“ | |
Mit seinem gestärkten weißen Hemd, dem eleganten Anzug und der Kippa auf | |
dem Kopf fällt Chait im konservativen und religiösen Jerusalem kaum auf. | |
Die förmliche Kleidung und die aus dunklem Stoff gearbeitete Kopfbedeckung | |
sind eine Art Uniform ultraorthodoxer Männer. Chait ist 29 Jahre alt, | |
verheiratet, Vater zweier Kinder, „und ein drittes auf dem Weg“, sagt er | |
stolz. Auch damit liegt er voll im Schnitt der ultraorthodoxen | |
Gemeinschaft: Es ist die Bevölkerungsgruppe in Israel, deren Mitglieder die | |
meisten Kinder bekommen. So weit, so typisch. | |
Er sei aufgewachsen in einem Zuhause, das ihm beigebracht habe, alles zu | |
tun für „our people and our nation“ – unser Volk und unsere Nation. „A… | |
habe ich mit 18 beschlossen, meinen Wehrdienst abzuleisten“, sagt er, das | |
allerdings „gegen den Willen meines Vaters“ – und die sozialen Regeln | |
großer Teile seiner Gemeinschaft. | |
Chait ist eine Ausnahme. Dass junge Ultraorthodoxe im Gegensatz zu den | |
meisten anderen jungen Menschen in Israel sich dem Wehrdienst seit | |
Jahrzehnten entziehen, ist schon lange ein Politikum. Heute wohl mehr denn | |
je: Über 330 israelische Soldaten hat die Bodenoffensive in Gaza bisher das | |
Leben gekostet. Sie kommen aus religiösen und säkularen Familien, aus der | |
liberalen Metropole Tel Aviv und seinen Trabantenstädten, aus Siedlungen im | |
Westjordanland oder den drusischen Dörfern im Norden des Landes – aber sehr | |
viel seltener aus ultraorthodox geprägten Städten wie Bnei Brak oder Beit | |
Shemesh. | |
## Die Entscheidung des Obersten Gerichts | |
[1][Die Last des Krieges, so empfinden es viele, ist ungleich verteilt in | |
Israel]. Und im Juni dieses Jahres beschloss das Oberste Gericht Israels, | |
mit Nachdruck dagegen vorzugehen. Eine Regierungsentscheidung aus dem | |
vergangenen Sommer, welche das Militär anwies, die ultraorthodoxen | |
Wehrpflichtigen nicht einzuziehen, sei juristisch nicht haltbar. Ab sofort | |
müsse die Regierung aktiv daran arbeiten, die jungen Ultraorthodoxen in den | |
Dienst zu bringen. Doch wie integriert man sie und ihre speziellen | |
Bedürfnisse in ein Militär, dass einer ganz anderen, eher säkularen Logik | |
folgt? | |
Schon seit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 müssen theoretisch alle | |
jüdischen Bürgerinnen und Bürger des Staates sowie männliche Drusen und | |
Tscherkessen, also Teile der arabischsprachigen Minderheit Israels, den | |
Wehrdienst ableisten. | |
Doch von Beginn an wurde streng gläubigen, sich täglich mit der Thora und | |
dem jüdischen Schriftenkanon beschäftigenden Gelehrten eine [2][Ausnahme | |
gewährt.] Stattdessen studieren sie in sogenannten Yeshivot – religiösen | |
Studieninstituten – das Wort Gottes und bedeutender Rabbiner. Mit ihren | |
Gebeten und ihrer Verbindung zu Gott, sagen sie, schützen sie Israel nicht | |
mit Waffen, sondern spirituell. Wer in einer Yeshiva lernt, bekommt ein | |
Jahr Aufschub für den Wehrdienst. Und wer lange genug diese jährliche | |
Ausnahmebescheinigung vorlegt, altert irgendwann einfach über die | |
Obergrenze für die Wehrpflicht hinaus. | |
Zur Staatsgründung Israels waren die Ultraorthodoxen eine kleine | |
Minderheit, die jüdische Gemeinschaft, so blickt etwa Chait heute zurück, | |
spirituell geschwächt. Dass ein kleiner Kreis der Bürger des neuen Staates | |
seine ganze Aufmerksamkeit Gott widmet und dafür auch den Raum braucht, | |
habe vielen damals eingeleuchtet. | |
## Essen, Flirten, Verlangen | |
Doch im Laufe der Jahrzehnte verschoben sich die Verhältnisse: | |
Ultraorthodoxe Familien sind reich an Kindern, ihr Anteil an der | |
Bevölkerung wächst stetig. Mit der Shas und dem Vereinigten Thora-Judentum | |
sitzen heute zwei Parteien, die sie politisch vertreten, mit in der | |
Regierung. Ihre Macht – allein durch die schiere Größe der Gemeinschaft – | |
wächst. Nicht aber, so die Kritik vieler Säkularer und Liberal-religiöser, | |
ihr Verantwortungsgefühl für den Staat Israel und all die verschiedenen | |
Menschen, die in ihm leben. | |
Um dieser Verantwortung nachkommen zu können, erzählt Chait, habe er „stark | |
sein müssen“. Sein Vater führe eine Yeshiva in Beit Shemesh, wo Chait und | |
seine Familie leben. Als der Sohn als 18-jähriger dem Vater im Jahr 2013 | |
eröffnete, dass er zum Militär gehen wolle, sei der in großer Sorge | |
gewesen. Nicht nur angesichts der latent lauernden Gefahren, die mit dem | |
Dasein als israelischer Soldat einhergehen. „Mein Vater nahm mich zur Seite | |
und sagte: Überleg es dir noch einmal. Du wirst allem Möglichen begegnen, | |
vor dem wir dich bisher geschützt haben.“ | |
Die möglichen Gefahren: Essen, das nicht der strengen | |
Koscher-Zertifizierung der ultraorthodoxen Gemeinde entspricht. Dienst am | |
Schabbat. Keine Zeit für das lange morgendliche Gebet, bei dem der Tefillin | |
– ein langer Lederriemen mit einer Gebetskapsel, die handgeschriebene Texte | |
aus der Thora enthält – um den Arm geschlungen und am Kopf befestigt wird. | |
Junge säkulare Frauen. Flirten, Verlangen, Sex vor der Ehe. Menschen, die | |
schwul sind, bisexuell oder queer. | |
## Das Bataillon, die Gewalt | |
„Er war in Sorge“, sagt Chait: Was wird aus meinem Sohn? Im August 2013 | |
unterschrieb er dennoch seinen Einberufungsvertrag mit dem israelischen | |
Militär und wurde Teil des Netzah-Yehuda-Bataillons. | |
Das Bataillon ist eine Art Kompromisslösung der Streitkräfte: Die | |
Anwesenheit von Soldatinnen in dessen Unterkünften und Militärbasen ist | |
untersagt. Alle Nahrungsmittel entsprechen den Ansprüchen der Gemeinschaft. | |
Einen Samstagsdienst gibt es nicht. Und weil ihre Integration in die | |
normalen Abläufe des Militärs dadurch so kompliziert ist, dienten sie lange | |
vor allem im Westjordanland. Bis die gesamte Einheit Ende 2022 verlegt | |
wurde, in den Norden Israels und auf die Golanhöhen. Der Grund: Ausufernde | |
Gewalt gegen Palästinenser und zahlreiche Rechtsverstöße. Im April erwog | |
die [3][Regierung von US-Präsident Joe Biden deshalb Sanktionen] gegen das | |
Bataillon. | |
Als Chait diente, war diese Entwicklung noch in weiter Ferne. Er habe sich | |
gut gemacht im Militär, erzählt er: „Ich war jung. Ich war physisch fit“. | |
Nach dem Ende seines Dienstes im Netzah-Yehuda-Bataillon baten ihn seine | |
Vorgesetzten, zu bleiben, „Sergeant Commander“ zu werden. Chait lehnte ab. | |
Denn ein Aufstieg in den Rängen bedeutet, das Bataillon, in dem auf seine | |
Bedürfnisse und die Auslegung seines Glaubens Rücksicht genommen wird, zu | |
verlassen. | |
„Man muss stark sein“, betont Chait wieder. Um bei sich zu bleiben, und der | |
strengen Welt, aus der man kommt. Wer sich der Welt der Säkularen, deren | |
Freiheiten im Vergleich so grenzenlos erscheinen, zu lange aussetze, werde | |
irgendwann ein Teil von ihr. Von den jungen Männern, die mit ihm im | |
Netzah-Yehuda-Bataillon dienten, sagt Chait, lebten die meisten heute „in | |
Tel Aviv“. Aus seinem Mund klingt der Name der Stadt beinahe wie ein | |
Schimpfwort. | |
Und wer sich umhört, in den hippen Bars im Tel Aviver Viertel Florentin, | |
oder unter den bunten Sonnenschirmen am Stadtstrand, der stellt fest: Auch | |
„Beit Shemesh“ oder gar „Jerusalem“ kann eine Art Schimpfwort sein. | |
Sicherlich aber ein Synonym für eine andere Welt. | |
## Der Graben zwischen säkular, liberal und religiös | |
Der Graben zwischen den säkularen, liberalen Israelis auf der einen Seite | |
und den Religiösen auf der anderen Seite wächst: Die einen werden, so wie | |
große Teile der westlichen Welt, immer liberaler. Und die anderen besinnen | |
sich mit Strenge auf die Tausende Jahre alten, unveränderlichen und immer | |
mehr aus der Zeit gefallen scheinenden Regeln ihres Gottes: „Seitdem Gott | |
uns die Torah am Berg Sinai geschenkt hat, halten wir Juden Schabbat. Wir | |
wurden dafür verfolgt und getötet und haben uns trotzdem diese Prinzipien | |
bewahrt. Und dann kommt ein liberaler Kommandeur der Armee und denkt, er | |
könne mich und meinen Glauben ändern?“ Chaits Augen funkeln wieder | |
kämpferisch, bevor er sich zurücklehnt und sagt: „Das ängstigt uns.“ | |
„Sie wollen uns assimilieren“, sagt Chait in Jerusalem. „Sie blicken auf | |
uns als Sünder herab“, sagt einer am Strand von Tel Aviv. | |
Den Ultraorthodoxen wird immer wieder unterstellt: Dem Wehrdienst entzögen | |
sie sich aus Faul- und Feigheit. Dabei waren es gerade am 7. Oktober – | |
einem Samstag, Schabbat – viele Orthodoxe, die ihren Tag der Ruhe | |
unterbrachen, um mit der Such- und Rettungsorganisation ZAKA die vielen | |
Verletzten und Toten zu bergen, teils unter Gefahr für ihr eigenes Leben. | |
Dass die Organisation dabei wohl auch falsche Berichte verbreitete, die | |
fürchterlichen Szenen in den Gemeinden nahe Gaza noch ausschmückte, | |
übertrieb und teils sogar log, trübt die Erinnerung an ihren doch mutigen | |
Einsatz. | |
Seit dem 7. Oktober befindet sich Israel in dem wohl intensivsten Krieg | |
seiner jüngeren Geschichte. Sein Militär geht in Gaza mit großer Härte vor, | |
die Offensive ist vor allem für die palästinensische Zivilbevölkerung mit | |
großem Leid verbunden. Die Hisbollah-Miliz schießt aus dem Libanon Raketen | |
und Drohnen über die Grenze im Norden. In Israel kommt der Ruf nach einer | |
Bodenoffensive, die die Miliz aus dem südlichsten Teil des Libanon | |
zurückdrängen soll, immer wieder auf. Im Westjordanland gewinnen die Hamas | |
und andere radikalislamische Kräfte im Schatten des Gaza-Krieges, der | |
[4][anhaltenden Siedlergewalt] und durch bewusstes Anfeuern seitens des | |
Iran immer mehr an Stärke. Und die Einsätze des Militärs waren dort in der | |
vergangenen Woche so massiv wie lange nicht. | |
[5][Armeechef Herzi Halevi] betont: Es gäbe einen „klaren Bedarf“ an mehr | |
Soldaten, die aus der Gemeinschaft der Ultraorthodoxen rekrutiert werden | |
sollen. Dabei gibt das Militär selbst zu, wie schwierig es ist, sie zu | |
integrieren. | |
## Sie finden, Staat und Militär seien nicht religiös genug | |
Effi Kolatsch ist heute etwa im selben Alter wie Chait. Während jener sich | |
trotz aller Widerstände und eigener Bedenken als 18-Jähriger zum Wehrdienst | |
meldete, ging Kolatsch damals den Weg der meisten: Er studierte die Thora | |
in einer Yeshiva, schob den Dienst auf, bis er die Altersgrenze von damals | |
26 Jahren erreichte. Über seine Gemeinschaft sagt er: „Wir gehen nicht zum | |
Militär, weil es uns nicht religiös genug ist, so wie der ganze Staat | |
Israel“. Und: Die „woke“, progressive Agenda der liberalen linken Eliten | |
tröpfele durch die Gesellschaft hindurch bis ins Militär. | |
Israels Streitkräfte setzen, das betonen sie selbst, auf die Integration | |
von Frauen in jedem Bereich: Etwa 90 Prozent aller Positionen im Militär | |
können heute auch mit Frauen besetzt werden. Die Zahl der weiblichen | |
Mitglieder von kämpfenden Bataillonen ist allein zwischen 2013 und 2017 um | |
350 Prozent gestiegen. Die jungen Wehrdienstleisterinnen beraten in der | |
Personalabteilung, unterrichten junge Männer im Schießen und bekleiden, so | |
sie beim Militär bleiben, immer höhere Positionen. Ihnen dort nicht zu | |
begegnen, ist kaum möglich. Doch in der ultraorthodoxen Gemeinschaft haben | |
die Lebenswelten von Männern und Frauen, so sie nicht verheiratet sind, nur | |
wenige Berührungspunkte. | |
Die Entscheidung, nicht zu dienen, erzählt Kolatsch, habe er bereut: „Ich | |
hatte das Gefühl, meinen israelischen Mitbürgern nicht denselben Dienst | |
geleistet zu haben.“ Das holt er nun auf seine Art nach: Das israelische | |
Militär hat bereits vor einer Weile ein Programm aufgelegt für | |
ultraorthodoxe Männer über der Altersgrenze des Wehrdienstes. In einer | |
eigenen Einheit erhalten sie einige Wochen lang Training und werden dann | |
Teil der Reserve, wie die meisten Wehrdienstleistenden nach Ende ihres | |
Dienstes. Sie sollen danach vor allem ihre eigenen Gemeinden im Notfall | |
verteidigen können, sagt Kolatsch. Momentan habe er alle Hände voll zu tun, | |
erzählt er. Immer mehr Männer aller Altersstufen seien an dieser Art des | |
Dienstes interessiert. | |
Doch dem Obersten Gericht reichen solche Initiativen nicht. Mitte Juli | |
sendet das Militär die ersten Einberufungsbefehle an die ultraorthodoxe | |
Gemeinschaft. 3.000 sollen es in dieser Einberufungsperiode sein, in drei | |
Wellen von je 1.000 Wehrbefehlen. | |
Einfach akzeptieren wollen viele Ultraorthodoxe die neue Realität nicht. | |
[6][Sie protestieren, immer wieder.] Bilder zeigen ein Meer aus Männern in | |
Anzügen und Hemden, teils mit den typischen hohen Hüten der Gemeinschaft | |
und den langen Schläfenlocken. Die Polizei setzt Wasserwerfer und berittene | |
Beamte ein, oft gibt es gewalttätige Zusammenstöße zwischen der Polizei und | |
den Demonstrierenden. Etwa Ende August in Jerusalem, als insgesamt fünf | |
Männer der Gemeinschaft festgenommen werden. | |
Während es unter ihnen einen harten Kern gibt, der Israel als | |
nicht-religiösem Staat sogar das Existenzrecht per se abspricht – obwohl | |
die religiösen Juden, die dieser Ansicht anhängen, selbst in ihm leben –, | |
sind andere kompromisswillig. So wie Chait und auch Kolatsch: Wenn das | |
Militär die Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft besser erfülle, seien sie mehr | |
bereit, zu dienen. Würde man ihren Wünschen nachkommen, sähen wohl die | |
gesamten Streitkräfte aus wie das Netzah-Yehuda-Bataillon. Folgen hätte das | |
vor allem für die Frauen und für die kleine Minderheit der nicht-jüdischen | |
Soldaten. | |
Das israelische Militär bemüht sich, den verschiedenen Vorstellungen der | |
Bürgerinnen und Bürger seines Landes gerecht zu werden: So gibt es neben | |
dem Netzah-Yehuda-Bataillon für die Ultraorthodoxen etwa auch eines, das | |
die arabische Gemeinschaft Israels in das Militär integrieren soll. Dort | |
dienen vor allem junge beduinische Muslime. Neben dem standardmäßigen | |
Training erhalten sie etwa auch Hebräisch-Unterricht und sollen so besser | |
in die israelische Gesellschaft integriert werden. | |
Auch, dass gefallene Soldaten nach christlichem oder muslimischem Ritus | |
beerdigt werden können, macht das Militär möglich. Und während es keinen | |
eigenen Militärpfarrer oder -Imam gibt, bemüht sich das Militärrabbinat um | |
Vermittlung von Ansprechpartnern, betont es selbst. Den Besuch der Moschee | |
am Freitag oder der Kirche am Sonntag versuche man den Soldatinnen und | |
Soldaten zu ermöglichen, so das Rabbinat. | |
## Debatten um Einberufung | |
Eine Diskussion, wie um die Einberufung der Ultraorthodoxen, gibt es auch | |
über die muslimischen und christlichen arabischen Staatsbürgerinnen. Das | |
Militär bemüht sich – mit einigem Erfolg –, gezielt dort Freiwillige für | |
den Wehrdienst anzuwerben. Irgendwann könnte der Dienst auch für sie | |
verpflichtend werden. | |
In einem Militär, das alle jungen israelischen Bürgerinnen und Bürger | |
einzieht, zeigt sich neben der Vielfalt der Menschen Israels auch, wie | |
schwierig deren Vorstellungen und Wertesysteme teils zu vereinen sind. | |
Zumindest auf Ebene der gesamten Streitkräfte können diese entweder den | |
strengen religiösen Vorschriften der Ultraorthodoxen gerecht werden oder | |
den feministischen Ansprüchen des liberalen Teils der Gesellschaft. Damit | |
steht das Militär symptomatisch für ein wachsendes Problem im Land: Wohin | |
bewegt sich Israel, wenn Teile seiner Bürgerinnen und Bürger in | |
gegensätzliche Richtungen driften und sich immer weniger begegnen? | |
„Man wächst in der einen Welt auf“, sagt Chait, „und wird mit dem Eintri… | |
in das Militär in eine genau gegensätzliche geworfen“. Das Militär müsse | |
die Bedürfnisse seiner Gemeinschaft nicht perfekt erfüllen, das sei kaum | |
möglich. „Aber es muss mir zeigen, dass es mich respektiert. Dass es mir | |
zuhört, und dass es mir entgegenkommt.“ | |
Und selbst wenn das Militär etwa eine strenge Geschlechtertrennung | |
durchsetze, bleibe weiter ein Problem, sagt er: Wer kein Wasser trinkt, der | |
stirbt. Und wer spirituell nicht genährt werde, verliere seinen Glauben. Je | |
höher der militärische Rang, sagt Chait, desto seltener werde die Kippa | |
getragen. | |
Als er zum ersten Mal den Schabbat gebrochen habe für einen Einsatz, sagt | |
Chait, habe er sich nichts mehr gewünscht als einen Vorgesetzten, der seine | |
Gefühle versteht. Auch strenggläubige Juden können die Ruhe am Schabbat | |
unterbrechen, wenn eine Gefahrensituation für Leib und Leben abgewendet | |
werden muss. „Es war so seltsam, an einem Freitagabend mein Handy | |
einzuschalten und in diesen Jeep zu steigen. Fast traumatisch.“ Und mit | |
dieser Belastung, sagt er, sei er allein geblieben. | |
Unter den jungen Männern seiner Gemeinschaft wirbt er dennoch dafür, den | |
Einberufungsbefehlen nachzukommen. Mit seiner Uniform, erzählt er, laufe er | |
durch seine Heimatstadt Beit Shemesh und wolle ein Vorbild sein. Auch weil | |
sein eigener Vater damals, wie viele Eltern, seinen Söhnen den Wehrdienst | |
verbieten wollte. Zu groß die Sorge, dass die Kinder sich vom eigenen | |
Wertesystem entfernen. | |
Doch trotz aller Schwierigkeiten sei das wichtigste für ihn seine | |
Verbindung zu dem Boden Israels. „Ich bewege mich durch dieses Land mit der | |
Thora. Ich erzähle meinem Sohn: Hier gewann König David gegen Goliath, ein | |
kleiner Mensch, der sich einem Giganten entgegenstelle.“ Der Wunsch, Israel | |
zu schützen, auch im Kampf, überdecke alles andere. | |
1 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
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