# taz.de -- Zerstrittene Koalition in Israel: Verschnaufpause in der Regierungs… | |
> Die Regierung um Premier Netanyahu schien kurz vor dem Fall wegen des | |
> Streits über den Wehrdienst für Ultraorthodoxe. Doch die Krise wurde | |
> abgewandt – erstmal. | |
Bild: Netanjahu hat es mal wieder geschafft: Seine Regierung besteht weiter –… | |
Jerusalem taz | So nah am Abgrund stand die Regierungskoalition um Israels | |
Premierminister Benjamin Netanyahu wohl nie: In der Nacht von Mittwoch auf | |
Donnerstag hat die Knesset, das israelische Parlament, über seine eigene | |
Auflösung abgestimmt. Doch nach stundenlangen Verhandlungen zwischen dem | |
Likud-Parlamentarier und Vorsitzenden der Verteidigungskomitees Yuli | |
Edelstein und Vertretern der ultra-orthodoxen Parteien konnte die Krise in | |
letzter Minute abgewandt werden. | |
Es war schon früh am Morgen, als die Parlamentarier*innen mit teils | |
müde wirkenden Gesichtern über die Zukunft von Israels aktueller | |
[1][rechtsreligiöser Regierung] – bestehend aus Netanjahus Likud, zwei | |
ultraorthodoxen Parteien und weiteren – entschieden. 61 | |
Politiker*innen stimmten gegen den Gesetzentwurf, der das Parlament | |
auflösen sollte, 53 dafür. Die Regierung bleibt somit bestehen. Außerdem | |
darf die Opposition in den nächsten sechs Monate nicht erneut ein solches | |
Gesetz einbringen. | |
Auslöser der Krise ist ein Streit über die [2][Wehrdienstpflicht für | |
ultraorthodoxe Männer], der inzwischen seit Monaten andauert. Und dieser | |
ist indes alles anders als gelöst. Seit Monaten kämpfen die Ultraorthodoxen | |
für eine Verlängerung von Regelungen, die ihnen seit der Gründung Israels | |
erlaubten, sich der Wehrdienstpflicht zu entziehen. Theoretisch wären alle | |
Israelis inklusive männlicher Drusen und Zirkassen dazu verpflichtet, in | |
der Armee zu dienen. Doch für sogenannte Haredim – ultraorthodoxe Juden – | |
galten Ausnahmen. | |
Junge Männer, die sich dem Studium der Torah in einer religiösen Schule | |
widmen, konnten bislang einfach Jahr um Jahr einen Befreiungsantrag | |
stellen, um sich der Einberufung zu entziehen. Aus religiösen Gründen, da | |
in der israelischen Armee Frauen ebenso dienen. Und auch, weil sie nach | |
eigener Ansicht durch das Lernen der religiösen Schriften ihren Dienst zum | |
Schutz der Gemeinschaft leisteten. | |
Bloß vor etwa einem Jahr hatte Israels oberstes Gericht beschlossen: Die | |
Regierungsentscheidung, ultraorthodoxe Männer nicht einzuberufen, sei | |
juristisch nicht haltbar. [3][Seither streiten sich die Parteien um ein | |
Gesetz], das die Ultraorthodoxen zum Dienst verpflichtet. Die Krise | |
spiegelt den Unmut in der israelischen Gesellschaft wider. Vor allem seit | |
dem Beginn des Kriegs in Gaza ab dem 7. Oktober 2023 betrachten viele die | |
Ausnahme für Haredim als unfair. 866 Soldat*innen sind seit Beginn des | |
Konflikts gestorben, Tausende wurden verwundet. Viele Säkulare haben das | |
Gefühl, sie schulterten die gesamte Last alleine. Haredim machen etwa 13 | |
Prozent der israelischen Gesellschaft aus. | |
## Keine Einigung über das Gesetz zur Einberufung | |
Der vorgeschlagene Gesetzentwurf sah harsche, teils finanzielle Sanktionen | |
für Wehrdienst-Verweigerer vor: Verlust von Bildungszuschüssen, | |
Führerschein, das Verbot, das Land zu verlassen, aber auch etwa einen | |
Ausschluss von Sozialversicherungsleistungen und Steuererleichterungen. | |
Dieser Entwurf führte zur aktuellen Regierungskrise. | |
„Die Ereignisse von gestern sind ein Hinweis darauf, dass sie einen | |
Kompromiss finden wollen – aber ihn noch nicht haben“, sagt die bekannte | |
israelische Journalistin Lahav Harkov Levine. Die ultraorthodoxen | |
Regierungsparteien hätten gegen den Gesetzentwurf für neue Wahlen | |
abgestimmt. Sie seien allerdings nicht davon überzeugt worden, dem | |
Gesetzentwurf für die Einberufung zuzustimmen. Laut Analyst*innen wäre | |
eine Auflösung der Koalition nicht im Interesse der ultraorthodoxen – sie | |
brauchen diese als Hebel der Macht. Gleichzeitig wollen sie aber weiterhin | |
eine Zwangseinberufung der Haredim verhindern – was langfristig auch in | |
dieser Regierung wohl schwer umsetzbar ist. | |
„Die Frage ist: Zerbricht die Regierung an dieser Krise jetzt – oder in | |
einem halben Jahr?“, sagt der israelische Politikwissenschaftler Dan Avnon | |
der taz. Dieser Streit, meint er, werde „irgendwann dazu beitragen, dass es | |
zu vorgezogenen Wahlen kommt.“ Ob dies auch das politische Ende des | |
[4][Premiers Netanjahu] bedeuten würde, ist unklar. Jüngste Umfragen zeigen | |
einen weit verbreiteten Unmut gegenüber dem amtierenden Regierungschef – | |
doch der findet bislang immer einen Trick in der Kiste. So wie in den | |
vergangenen 24 Stunden. | |
12 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Serena Bilanceri | |
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