# taz.de -- Krieg in Nahost: „Es gibt noch mehr rote Knöpfe“ | |
> Der Mossad habe die explodierten Pager selbst produziert, sagt der | |
> Geheimdienstexperte Ronen Bergman. Und Israel habe weitere solche | |
> Operationen vorbereitet. | |
Bild: Nach der Explosion: Die Überreste eines Walkie-Talkies, aufgenommen am M… | |
taz: Herr Bergman, Tausende Pager explodierten am Dienstag im Libanon, am | |
Tag darauf Walkie-Talkies und andere elektronische Geräte. Davon betroffen | |
waren Anhänger der Terrororganisation Hisbollah. Eine überraschende Aktion | |
oder gar historisch? | |
Ronen Bergman: Die Mehrheit aller Operationen des israelischen | |
Geheimdienstes findet im Verborgenen statt. Die Welt der Geheimdienste sind | |
geheime Aktionen. Diese Aktionen und die entsprechende Planung kann mit dem | |
Begriff „Buttons“ bezeichnet werden – eine Art roter Knopf, der im Fall d… | |
Falles aktiviert wird. | |
taz: Was heißt das? | |
Bergman: Die Vorbereitung solcher Operationen benötigt in der Regel viel | |
Zeit und kostet viel Geld. Es liegt in der Natur der Sache, die | |
Infrastruktur des Feindes zu treffen – und zwar großflächig. Sie spielen | |
auf Langfristigkeit – und bleiben im Verborgenen. Und dann, wenn der Tag | |
kommt, wenn ein extremes Szenario eintritt, dann wird der Knopf gedrückt | |
und das System aktiviert, das schwerwiegenden Schaden und äußerste | |
Verwirrung beim Feind verursacht. | |
taz: Doch warum jetzt? | |
Bergman: Genau kann man dies nicht sagen. Aber: Israel hat sich | |
vorbereitet. Diese beiden Operationen – denn ich unterscheide zwischen der | |
Pager-Operation und der zweiten am folgenden Tag auf die Walkie-Talkies – | |
sind darauf angelegt, entweder eine größere Offensive zu eröffnen oder eine | |
überraschende Offensive der anderen Seite zu stören. | |
taz: Es geht also darum, die Kontrolle zu behalten? | |
Ja, und sie sind die Vorbereitung für extreme Umstände und Bedingungen. Es | |
gleicht einem „last resort“ – einem letzten Ausweg. Und aus meiner Sicht | |
wurde diese spezielle Operation nicht für die ursprüngliche Absicht | |
ausgelöst. | |
taz: Warum? | |
Bergman: Bisher gab es keinen weiteren großangelegten Angriff Israels im | |
Nachgang [1][zu den Explosionen der Pager.] Und auch eine Attacke seitens | |
der Hisbollah, die es zu stören galt, stand offenbar nicht bevor. Aber das | |
Ganze war geplant und wurde von israelischer Seite freigegeben. Es handelte | |
sich also um eine bewusste Entscheidung. | |
taz: Der technische und logistische Aufwand war enorm. Wie konnte diese | |
Operation gelingen? | |
Bergman: Es ist sehr schwer, in die Lieferkette solcher Produkte | |
einzugreifen, und dann die Zeit zu haben, jedes einzelne Gerät zu | |
manipulieren und wie in diesem Fall Sprengstoff zu installieren. Danach | |
muss das Gerät ohne Spuren zu hinterlassen wieder nutzbar gemacht werden. | |
Anstatt in der Lieferkette abzufangen, ist der Mossad also selbst zur | |
Lieferkette geworden – und hat die Geräte selbst produziert. Wenn du die | |
Oberhand über die Produktion hast, kannst du tun und lassen, was du willst. | |
Technisch ist das Ganze eine enorme Herausforderung. Es muss sichergestellt | |
sein, dass weder Experten noch Schnüffler („Sniffers“) den Sprengstoff | |
entdecken. Wir sprechen hier über Milliarden, die in eine solche Operation | |
investiert wurden. | |
taz: Gibt es vergleichbare Aktionen in der Vergangenheit? | |
Bergman: Ich kann nur so viel sagen: Dies ist keine ungewöhnliche Aktion | |
für das israelische „Verteidigungsestablishment“. Es gab etliche in der | |
Vergangenheit – und es gibt noch mehr rote Knöpfe, die Operationen auslösen | |
können. | |
taz: Was bedeuten diese Aktionen? | |
Bergman: Es geht darum den Feind zu stören. Etliche Hisbollahanhänger sind | |
tot, rund 4.000 sind verletzt – und werden für sehr lange Zeit nicht im | |
Einsatz sein können. Und natürlich ist es auch eine symbolische | |
Machtdemonstration. Diese Geräte sind ja überall explodiert. Die | |
Kommunikationsstruktur der Hisbollah sollte entlarvt werden. Und das könnte | |
nun den Weg ebnen für eine größere Offensive Israels. Nasrallah sollte | |
signalisiert werden, dass Israel nicht vor einer solchen Offensive | |
zurückschreckt – wenn er nicht aufhört. | |
taz: Aber kommt es jetzt zu einer weiteren Eskalation? | |
Bergman: Beide Seiten wollen keinen Krieg beginnen, und für beide Parteien | |
wären die Konsequenzen schrecklich. [2][Im Süden Libanons wird sich | |
vermutlich nichts ändern.] | |
taz: Und für die Zukunft? | |
Bergman: Ich kann keine Prognose abgeben. Israel hat der Hisbollah und der | |
libanesischen Gesellschaft schwerwiegenden Schaden zugefügt. Es gibt viele | |
Familien, die Tote oder Verletzte zu beklagen haben. Es kann sein, dass der | |
Rückhalt für Nasrallah kippt. Sie fragen: Warum sollen wir unsere Leute | |
dafür opfern? | |
taz: Es sind nicht nur [3][Terroristen getötet] oder verletzt worden. Ist | |
diese Operation legitim? | |
Bergman: Es handelt sich um einen Terrorangriff gegen eine | |
Terrororganisation. Wir sehen seit dem 8. Oktober einen ständigen und | |
dauerhaften Angriff der Hisbollah auf Zivilisten im Norden Israels. Im | |
Verständnis Israels hat die Hisbollah Israel den Krieg erklärt – damit ist | |
Israel berechtigt, mit voller Härte zu reagieren. Diese Operation | |
beinhaltete die geringste Zahl an Kollateralschäden. Das Hauptquartier der | |
Hisbollah befindet sich in einem belebten Viertel. Wäre es eine Alternative | |
gewesen, diesen Stadtteil zu bombardieren? Deutlich mehr Zivilisten wären | |
dabei wohl gestorben. | |
19 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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