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# taz.de -- Krankenhaus-Krise: Outsourcen bis zum Umfallen
> Das Jüdische Krankenhaus in Wedding kündigt 80 Mitarbeitenden – trotz
> Unterbesetzung. Die Belegschaft fürchtet eine noch stärkere Belastung.
Bild: Gibt es noch mehr Entlassungen, fährt hier bald nix mehr: Das Jüdische …
Berlin taz | Auch Berlin bleibt von der Krankenhauskrise nicht verschont.
Am Montag kündigte die Geschäftsleitung des Jüdischen Krankenhauses Berlin
(JKB) in Wedding an, massiv Personal abzubauen. Betroffen sind die rund 80
Pflegehelfer:innen ohne Berufsqualifikation, die bislang die
ausgebildeten Fachkräfte bei der Patientenbetreuung unterstützen und
Serviceaufgaben übernehmen.
„Zu Beginn dieses Jahres hat sich unsere wirtschaftliche Situation abrupt
und bedrohlich verschlechtert, sodass wir einen Sanierungsplan verfolgen
müssen“, begründet die kaufmännische Direktorin Brit Ismer den Schritt am
Montagnachmittag.
Hintergrund ist das Inkrafttreten des 2022 beschlossenen
Gesetzliche-Krankenkassen-Stabilisierungsgesetztes zum Anfang des Jahres.
Das Bundesgesetz regelt die Finanzierung von Pflegekräften neu. Demnach
fließen nur noch Pfleger:innen, die eine Ausbildung abgeschlossen haben, in
die Berechnung der Budgets ein.
Wie viele andere Häuser hatte das JKB in den letzten Jahren aufgrund des
anhaltenden Fachkräftemangels verstärkt auf ungelernte Assistenzkräfte
gesetzt, die die Pfleger:innen mit abgeschlossener Berufsausbildung bei
der Patientenbetreuung unterstützen. Ebenso sind die ungelernten Kräfte
derzeit verantwortlich für Essensverteilung, Reinigung und weitere
Serviceaufgaben. Laut Verdi machen die rund 80 zu entlassenden
Mitarbeiter:innen 20 Prozent des gesamten Pflegepersonals aus.
## Outsourcing und Neueinstellungen
Kompensieren will das JKB diesen Ausfall durch Outsourcing an externe
Dienstleister. Laut einem internen Rundschreiben, dass der taz vorliegt,
erhofft sich das JKB eine jährliche Ersparnis in sechsstelliger Höhe. Die
Unterstützung bei der Pflege sollen hingegen wieder examinierte
Pflegefachassistent:innen übernehmen, die eine 18-monatige
Ausbildung absolviert haben. Diese müssten aber erst neu eingestellt
werden. Den Servicekräften empfahl die Geschäftsführung, sich bei dem
externen Dienstleister zu bewerben oder Ausbildung anzufangen. Laut JKB
soll es bei dem Schritt weder zu einer Verschlechterung der Versorgung noch
zu einer Mehrbelastung für den Rest der Belegschaft kommen sollen.
„Da wird verstärkt Arbeit liegen bleiben“, fürchtet hingegen Gisela
Neunhöffer. Die Verdi Gewerkschaftssekretärin hält es für wenig
wahrscheinlich, dass das JKB so kurzfristig geeignete Fachkräfte finden
kann. Es seien jetzt schon Stellen offen, die nicht belegt werden können,
am Ende müssten die ohnehin schon überlasteten Pfleger:innen die
Aufgaben übernehmen.
Erst im Januar hatten die Belegschaft [1][erfolgreich einen
Entlastungstarifvertrag erkämpft], der die Arbeitsbedingungen verbessern
sollte. Im Kern geht es um einen deutlich verbesserten Personalschlüssel
und ein Kompensationssystem, das Ausgleich in Form von Ausgleichstagen oder
Bonuszahlen bietet. Derzeit befindet sich Verdi mit der Geschäftsführung in
Verhandlungen, die durch den Personalabbau noch weiter erschwert würden,
kritisiert Verdi.
Auch zweifelt Verdi daran, dass tatsächlich soviel Geld durch das
Outsourcing eingespart werden könne, schließlich müsste dafür bei den
externen Dienstleistern deutlich weniger gezahlt und der Personalumfang
deutlich verringert werden. „Ein Sparkurs auf dem Rücken dringend
benötigter Beschäftigter ist keine Lösung“, resümiert Neunhöffer.
## Krankenhäuser in der Krise
Eigentlich konnte der Trend zum Outsourcing in den letzten Jahren infolge
gewerkschaftlichen Drucks umgekehrt werden. Bei Vivantes und Charité hat es
die Wiedereingliederung des Servicepersonals in den Koalitionsvertrag
geschafft.
In den 2000ern lagerten die landeseigenen Unternehmen Serviceaufgaben in
Tochterunternehmen mit deutlich schlechterer Bezahlung aus. Mit der
Umsetzung lässt sich der Senat allerdings Zeit.
Das JKB ist nicht das einzige strauchelnde Krankenhaus. Laut einer im Juli
veröffentlichten brancheninternen Umfrage schreiben bundesweit 70 Prozent
der Häuser rote Zahlen. Gründe sind neben den Folgen von Inflation und
Pandemie das derzeitige Finanzierungssystem. G[2][esundheitsminister Karl
Lauterbach verspricht mit seiner Krankenhausreform Besserung], wann das
Reformpaket kommt und welche Auswirkungen es hat, ist allerdings noch
komplett ungewiss.
„Keiner weiß, wie in zwei Jahren Krankenhäuser finanziert werden. Da ist
der Senat in der Verantwortung, Sicherheit zu gewährleisten“, fordert der
Linken-Gesundheitspolitiker Tobias Schulze.
## Senat in der Verantwortung
Träger des einzigen jüdischen Krankenhauses in Deutschland ist eine
gemeinnützige Stiftung, in dessen Aufsichtsrat auch das Land sitzt. Deshalb
sei Berlin auch in der Pflicht, sich für den Erhalt des Hauses einzusetzen,
so Schulze. Derzeit greift der Senat nur den landeseigenen Unternehmen
unter die Arme.
Möglich wären verschiedene Wege, zum Beispiel eine finanzielle Entlastung
durch die Bereitstellung höherer Investitionsmittel. Zuletzt hatte das JKB
einen Neubau überwiegend aus eigenen Betriebsmitteln investiert und dabei
dringend benötigte Rücklagen aufgebraucht.
Auch sei ein „Fonds für gute Arbeit“, wie auch Verdi ihn fordert, denkbar,
so Schulze. Krankenhäuser wie das JKB, die mit Entlastungstarifverträgen
für bessere Arbeitsbedingungen sorgen, könnten entsprechend belohnt werden.
„Wir brauchen Finanzierungsinstrumente, die für alle offen sind“, fordert
Schulze.
Auf taz-Anfrage schließt die Senatsverwaltung für Gesundheit solche
Schritte aus. Eine gesonderte Finanzierung würde „außerhalb der
Zuständigkeit und rechtlichen Einwirkungsmöglichkeit des Landes Berlin
liegen“, so ein Sprecher am Dienstag. Es sieht so aus, als würden bald
nicht nur die Beschäftigten des JKB um ihre Arbeitsplätze bangen müssen.
27 Aug 2024
## LINKS
[1] /Arbeitskampf-am-Juedischen-Krankenhaus/!5982550
[2] /Streit-um-die-Krankenhausreform/!6016588
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Pflege
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