# taz.de -- Berliner Krankenhausbewegung: Dem Outsourcing die Spritze geben | |
> Wieder Streit in Kliniken: Nur manche Beschäftigte erhalten | |
> Inflationsausgleich. Senat soll Töchter von Charité und Vivantes | |
> zurückführen, sagt Verdi. | |
Bild: Auf die Charité könnte ein weiterer, harter Arbeitskampf zukommen | |
Dass Zustände und Bezahlung in Berlins Krankenhäusern oftmals miserabel | |
sind, ist inzwischen ein parteiübergreifend geteilter Konsens. Einhellig | |
wird zum Beispiel anerkannt, dass es falsch war, im Spar- und | |
Privatisierungswahn der 2000er Jahre ganze Arbeitsbereiche aus den | |
kommunalen Kliniken Charité und Vivantes outzusourcen, um die Löhne drücken | |
zu können. Im Wahlkampf sprachen sich deshalb alle demokratischen Parteien | |
für eine Rückführung der dafür gegründeten Tochterunternehmen aus. Laut | |
schwarz-rotem Koalitionsvertrag soll dies „schnellstmöglich“ umgesetzt | |
werden. | |
Doch trotz dieser überraschenden politischen Einigkeit, die auch die | |
Opposition umfasst, sucht man [1][im Mitte Juni vorgestellten | |
„Sofortprogramm“] des Senats vergeblich nach ersten Schritten zur Umsetzung | |
dieses Ziels. Die Gewerkschaft Verdi drängt deshalb nun darauf, mit dem | |
Wahlversprechen ernst zu machen. Aus einem der taz vorliegenden Zeitplan | |
von Verdi geht hervor, dass die Wiedereingliederung bereits zum 1. Januar | |
2025 abgeschlossen sein könnte. Das zentrale Ziel dieses Prozesses – | |
gleicher Lohn für gleiche Arbeit – könnte demnach sogar schon Anfang | |
nächsten Jahres, zum 1. Januar 2024, erreicht sein. | |
Zu diesem Stichtag sollen laut Gewerkschaftssekretärin Gisela Neunhöffer | |
die Töchter von Charité und Vivantes dem Kommunalen Arbeitgeberverband | |
(KAV) beitreten. In einem Überleitungstarifvertrag soll geregelt werden, | |
dass die Beschäftigten aller Töchter sofort nach dem Tarifvertrag des | |
öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt werden – womit das Lohngefälle | |
zwischen Mutter- und Tochterunternehmen beendet würde. | |
## Die Verwaltung äußerst sich vage | |
„Das könnten wir im Herbst problemlos schaffen“, ist sich Neunhöffer | |
sicher. Mit dieser Überleitung sei auch bereits die größte finanzielle | |
Hürde für die Wiedereingliederung geleistet. Im Verlauf des Jahres 2024 | |
könnten dann die nötigen Umstrukturierungen angegangen werden, um die | |
Rückführung Anfang 2025 zu vollenden. | |
Ob die ambitionierten Pläne der Gewerkschaft auf den nötigen politischen | |
Willen treffen, wird sich zeigen. Die Verwaltung unter Gesundheitssenatorin | |
Ina Czyborra (SPD) äußerte sich zu den Rückführungen auf taz-Anfrage | |
jedenfalls nur vage. Sprecher Oliver Fey sagte lediglich, die Rückführung | |
sei ein „aufwändiger Prozess“, der viele rechtliche und finanzielle Fragen | |
beinhalte und eine „sorgfältige Vorbereitung“ sowie die „enge Einbindung… | |
von Charité und Vivantes erfordere. | |
Konkrete Schritte, die der Senat bereits unternommen hat oder unternehmen | |
will, nannte Fey nicht. Dabei gleichen die Löhne in den Tochterunternehmen | |
inzwischen einem Flickenteppich. Von gleichem Lohn für gleiche Arbeit kann | |
in vielerlei Hinsicht keine Rede sein. So haben etwa längst noch nicht alle | |
Beschäftigten der Töchter einen Inflationsausgleich erhalten – obwohl ihnen | |
auch dieser [2][im Wahlkampf von allen demokratischen Parteien versprochen | |
wurde]. | |
Erst kürzlich haben sich laut Verdi 2.087 der insgesamt rund 3.000 | |
Mitarbeiter:innen der Tochtergesellschaft Charité Facility Management | |
(CFM) mit einer Petition an die Gesundheitssenatorin gewandt, weil Charité | |
und CFM die Aufnahme von Verhandlungen über einen Inflationsausgleich | |
ablehnen. Als Eigentümer ist das Land Berlin der Charité gegenüber | |
weisungsberechtigt. Dennoch weist die Gesundheitsverwaltung alle | |
Verantwortung von sich. Der Senat könne sich „nicht äußern, da dies vor | |
allem in die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien fällt“, so Sprecher | |
Fey. | |
## Inflationsausgleich für manche | |
Besonders ungerecht: Einige Beschäftigte der CFM erhalten sehr wohl einen | |
Inflationsausgleich von 3.000 Euro, weil sie noch Verträge aus der Zeit vor | |
dem Outsourcing besitzen und deshalb formal beim Mutterkonzern angestellt | |
sind, wo nach TVöD bezahlt wird. Für den öffentlichen Dienst wurde im | |
Frühjahr im bundesweit geführten Arbeitskampf ein Inflationsausgleich | |
erstritten. Im selben Unternehmen werden also trotz gleicher Arbeit die | |
gestiegenen Kosten zur Erhaltung des Lebens bei einigen aufgefangen, bei | |
anderen aber nicht. | |
Charité-Sprecherin Manuela Zingl erkennt zwar die ökonomische Last der | |
Inflation an, verwies aber auf ohnehin im Haustarif festgelegte | |
Lohnerhöhungen und geplante Sonderzahlungen, die einen „nachhaltigeren | |
Effekt“ als Einmalzahlungen hätten – und auf staatliche Hilfen in der | |
Inflation. Man werde mit Verdi „turnusgemäß“ in Gespräche eintreten, so | |
Zingl – was wohl als Absage für außerplanmäßige Verhandlungen gelten darf. | |
Vivantes hat sich zwar im Gegensatz zur Charité bereiterklärt, einen | |
Inflationsausgleich in Höhe von 3.000 Euro zu zahlen – allerdings nur in | |
sieben der insgesamt 14 Tochtergesellschaften, an denen der Konzern | |
anteilig beteiligt ist. Konkret erhalten den Ausgleich die Beschäftigten | |
derjenigen Töchter, deren Belegschaften sich im großen Klinikstreik 2021 | |
einen neuen Tarifvertrag erstreiken konnten. Dieser ist, wenn auch mit | |
Abschlägen und zeitverzögert, an den TVöD gebunden. Beschäftige der | |
Töchter, die nicht gestreikt haben oder die sich nicht durchsetzen konnten, | |
gehen leer aus – es sei denn, sie besitzen noch Verträge aus der Zeit vor | |
dem Outsourcing. | |
Christoph Lang, Pressesprecher von Vivantes, will dennoch keine | |
Ungerechtigkeiten erkennen. Die „Vielzahl der innerhalb von Vivantes | |
geltenden Tarife“ sei „historisch gewachsen“ und für ein Unternehmen die… | |
Größe nicht unüblich, so Lang zur taz. Auch würde eine Wiedereingliederung | |
der Töchter nicht automatisch Tarifeinheit herstellen, da in diesem Fall | |
nur diejenigen Beschäftigten nach TVöD bezahlt würden, die zuvor keinen | |
Tarifvertrag hatten. Auch lägen die Löhne in manchen Töchtern bereits | |
oberhalb des TVöD. | |
Verdi-Gewerkschaftssekretärin Neunhöffer ist sich dagegen sicher: Mit einer | |
schnellen Rückführung der Töchter von Charité und Vivantes könnte der Senat | |
nicht nur Ungerechtigkeiten vorbeugen – sondern auch einen weiteren | |
heftigen Arbeitskampf im Gesundheitssektor abwenden. Denn Ende 2024 läuft | |
der Tarifvertrag in der Charité-Tochter CFM aus. Gebe es bis dahin noch | |
keine Bezahlung nach TVöD, so Neunhöffer, würden die Beschäftigten dies | |
„als gebrochenes Wahlversprechen“ ansehen. Auf die Charité käme dann „e… | |
wirklich harte Auseinandersetzung“ zu. | |
2 Jul 2023 | |
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[2] /Arbeitskampf-im-oeffentlichen-Dienst/!5909090 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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