# taz.de -- Die Wahrheit: Schwerin, wie es strahlt und prahlt | |
> Der große Wahrheit-Ortsbesuch in der Stadt der neuen Atom-Renaissance – | |
> inklusive Treffen mit glibbrigem Sauerland-Godzilla. | |
Bild: Strahlende Führung durch das nigelnagelneue Schweriner Atomschutzlager | |
„Herzlich Willkommen im Schweriner Atompark!“ Heiner Klauke steht auf der | |
Brücke zum Schloss und begrüßt uns im quietschgelben Schutzanzug. Das | |
Schmuckstück des vor kurzem von der Unesco geadelten Residenzensembles | |
erstrahlt in derart hellem Licht, dass wir den Doktor der Nuklearphysik | |
davor nur schemenhaft erkennen können. Wir folgen dem 47-Jährigen zum | |
Hauptportal. | |
Unterwegs glauben wir, eine amphibienartige Kreatur mit grünlich | |
fluoreszierender Haut durch den Burgsee schwimmen zu sehen. Kein | |
Hirngespinst! „Nachdem wir angefangen haben, hier massenhaft | |
hochradioaktive Abfälle zu bunkern, hat sich im Gewässer ein | |
überdimensionierter Lurch entwickelt“, lacht der Vorsitzende des | |
Lobbyverbands „Atommüll nach oben!“. „Weil man aber nie weiß, wann das | |
glibbrige Vieh zum Landlebewesen mutiert, sollten wir lieber von hier | |
verschwinden. Kommen Sie!“ | |
Wenig später stehen wir mit unserem Gastgeber im Hof des verschnörkelten | |
Renaissancetempels. Erschrocken stellen wir fest, dass etliche mit dem | |
Strahlenwarnzeichen beklebte Fässer dort in der Gegend herumliegen. Viele | |
sind zerbeult oder rostzerfressen. Aus einigen leckt eine träge fließende | |
Flüssigkeit. Wie Klauke uns erzählt, hat die Kommission der Bundesregierung | |
bei der Endlagersuche Nägel mit Köpfen gemacht und sich nach einer Spende | |
von Klaukes Verband unbürokratisch für die Perle Mecklenburg-Vorpommerns | |
entschieden. | |
## Atommüll für die Ewigkeit drapiert | |
„Unser schöner Atommüll muss an Deutschlands besten Sehenswürdigkeiten für | |
die Ewigkeit drapiert werden. Und das nicht erst in 50 Jahren!“ So will der | |
gebürtige Güstrower bald auch im Kölner Dom und auf dem Münchner | |
Marienplatz strahlende Fakten schaffen. Während wir völlig verdattert die | |
leuchtturmhellen Zinnen des Schweriner Schlosses bestaunen, will uns der | |
Wissenschaftler bei unserem ersten und wahrscheinlich einzigen Besuch so | |
viel von der nuklearen Luxusdeponie zeigen wie nur eben möglich. | |
„Wegen der stattlichen Gammastrahlendosis dürfen Sie aus gesundheitlichen | |
Gründen leider erst in 400.000 Jahren wiederkommen“, belehrt uns der | |
Kernphysiker keckernd. „Das ist übrigens auch der Grund, warum die | |
Landesregierung das Palais vor kurzem verlassen hat und aus Protest ins | |
Exil nach Travemünde umgezogen ist. Hier geht’s lang!“ | |
Unterwegs bestaunen wir mit Klauke die kostbaren Gemälde in der | |
Ahnengalerie. Dank des atomar betriebenen 1.000.000-Lux-Kronleuchters an | |
der Decke können wir auch in den tiefen Lagen der Porträts auf Detailsuche | |
gehen. Mit Erfolg. Den ehemaligen Fürsten zu Mecklenburg-Schwerin sind | |
durch die radioaktive Dauerbestrahlung bereits Tentakel, Fühler, diverse | |
Bonusfinger oder pikant aufblühende Genitalgeschwüre gewachsen. Bevor uns | |
Ähnliches widerfährt, hasten wir mit Klauke lieber in den protzigen | |
Thronsaal. | |
„Im Polster des royalen Sessels ist ein kleiner, aber voll funktionsfähiger | |
Minireaktor eingearbeitet“, erklärt uns Klauke die brummend pulsierende | |
Aura um das an Pomp kaum zu überbietende Sitzmöbel. „Der buchstäbliche | |
Platz an der Sonne ist für den Politiker reserviert, der den Atomausstieg | |
rückgängig macht und das nächste nukleare Zeitalter einläutet. Einen | |
erloschenen Brennstab als Zepter und ein Urankrönchen gibt es in dem Fall | |
natürlich gratis dazu. Kommen Sie!“ | |
Nach einem eigentlich bereits viel zu langen Aufenthalt stecken wir | |
plötzlich im schlosseigenen Hofladen fest. Weil wir eine lebenslange | |
Mitgliedschaft in Klaukes Förderverein abgelehnt haben, lässt er uns nicht | |
gehen, bevor wir nicht für mindestens 5.000 Euro überteuerte Souvenirs | |
eingekauft haben. Ohne zu fragen, packt er uns sämtliche | |
Plutonium-Schneekugeln, Pilzkonserven in Atomfassoptik und | |
Mutanten-Stofftiere „für die lieben Kleinen“ in den Beutel. Erst nachdem | |
wir geblecht haben, dürfen wir über die Dekontaminationsschleuse nach | |
draußen. | |
## Monsterlurch gleich Merz? | |
Plötzlich werden wir Zeuge eines Wunders. Der hochgewachsene Monsterlurch | |
kriecht tatsächlich ans Ufer des Burgsees und tapst unbeholfen einige Meter | |
an Land. Zu unserer Überraschung sieht das schlaksige Ungetüm Friedrich | |
Merz täuschend ähnlich. Wie uns Klauke verrät, aus gutem Grund. „Der ist | |
bei einer Ortsbesichtigung vor einigen Monaten ins Wasser gefallen und | |
bislang immer nur kurz wieder aufgetaucht“, winkt der Forscher ab. | |
„Der Sauerland-Godzilla würde natürlich zu gerne als Gottvater der | |
Atomkraft im Thronsaal Platz nehmen. Um schließlich Markus Söder als | |
Schlossherr zuvorzukommen, müsste er sich statt seiner Kiemen allerdings | |
erst mal eine funktionsfähige Lunge wachsen lassen.“ Aber auch das, | |
flüstert Heiner Klauke uns zu, könne im neuen Schweriner Atompark durchaus | |
ratzfatz gehen. Strahlende Aussichten! | |
27 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Patric Hemgesberg | |
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