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# taz.de -- Die Wahrheit: Poltern unter der Gürtellinie
> Durch tierisch vermintes Gelände mit der Jane Goodall aller Papageien im
> Vogelpark Walsrode. Ein Report von der gefiederten Fluchfront.
Bild: Lernwillig nicht nur beim gemeinen Fluchen: Papagei
„Hey, gib mir ’ne Erdnuss, du Pfeife!“, krächzt Gelbbrustara Coco. In der
Freiflughalle des Vogelparks Walsrode, Abteilung Tropen, hat sich der
prachtvolle Exot nach mehreren Scheinangriffen auf unsere elbischen
Fönfrisuren im Strauch gegenüber niedergelassen. Aber gleich geht es
weiter: „Meine Oma hatte Schockmauser, und die sah immer noch besser aus
als ihr Haargranaten!“
Dr. Karin Weingarten schmunzelt. Die 50-Jährige, die sich in Fachkreisen
als „Jane Goodall aller Papageien“ einen Namen gemacht hat, ist Leiterin
der Auffangstation für hochintelligente, dreiste Sprechvögel. „Ihre
ursprünglichen Besitzer kamen mit dieser wirklich täglichen Flut an
Kränkungen und obszönen Beschimpfungen nicht mehr zurecht“, erklärt die
studierte Ornithologin. Auf keinen Fall aber sollen die kackfrechen
Federknäuel in Walsrode umerzogen werden.
„Anstatt sie nach ihrer Inobhutnahme im achtsamen Tier-Knigge zu
unterweisen, lernen die Papageien bei uns, wie sie ihre sprachlichen
Fähigkeiten verbessern und gezielt einsetzen können“, so Weingarten. „Dab…
machen wir uns eine Strafgesetzbuchlücke zunutze. Nirgends steht da, dass
man Tiere für Beleidigungen rechtlich belangen kann!“, reibt sich die
Leiterin freudig die kräftigen Hände.
Gegen eine entsprechende Gebühr, die zu 100 Prozent in den Schutz der
Regenwälder am Amazonas fließe, können die Dienste der eloquenten Fieslinge
ab sofort für private Anlässe gebucht werden. Weingarten führt uns durch
eine Flügeltür in den angrenzenden Trainingsbereich. Hier ist inmitten
umgestürzter Bierbänke und zerbrochener Maßkrüge das Chaos ausgebrochen.
Auf einer von wuchernden Hopfendolden umrankten Bühne wird mit Statisten
gerade eine Wahlkampfveranstaltung der CSU nachgestellt. Immer wieder
müssen volkstümelnde Bajuwaren Sturzflugattacken abwehren und dabei seitens
der Vögel wüste Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Einen hünenhaften
Beau am Rednerpult trifft es besonders hart.
## Weinender Doppelgänger
„Kreizkruzefix! Schleich di, du oida Hosnbisla! Du großkopfada Breznsoiza,
du windiger. Gemma, gemma, gemma!“ Dass der Doppelgänger des bayerischen
Ministerpräsidenten schließlich die Nerven verliert und weinend
hinausstürmt, entlockt Weingarten nur ein müdes Lächeln. „Ganz ehrlich? Das
war noch gar nichts. Kommen Sie!“
Wenig später blicken wir durch eine Panzerglasscheibe in den brandneuen
Strömungskanal des Vogelparks. Ein Fluggerät wird bei voll aufgedrehten
Turbinen von zwei behelmten Graupapageien mit Pilotenbrillen in die Zange
genommen. „In Kooperation mit der Bundeswehr arbeiten wir hier an der
Abwehr von Spionagedrohnen durch rhetorisches Vergrämen. Dazu lassen wir
unsere russischsprachigen Aras auf eine Höhe mit den Himmelshorchern
aufsteigen und die landestypischen Verwünschungen dann direkt ins Mikrofon
brüllen.“
Auf die Übersetzung der nicht jugendfreien Fluchformeln möchte unsere
Gastgeberin lieber verzichten. Nur so viel darf sie uns verraten: „Im
Regelfall stehen die zutiefst gekränkten Drohnenlenker für Sabotageakte
anschließend nicht mehr zur Verfügung und brauchen therapeutische Hilfe.“
Weingarten macht vor ihrer Schläfe eine drehende Bewegung mit dem
Zeigefinger. Wir folgen ihr in den nächsten Raum.
## Sensible Künstler
Auf einem kreisrunden Tisch ist eine Handvoll Großpapageien scheinbar mit
Brainstorming beschäftigt. Die Korkplatte ist übersät mit halb verzehrter
Kolbenhirse, angeknabberten Südfrüchten und umgekippten Nektarschälchen. In
der Mitte steht ein krallentaugliches Kassettenaufnahmegerät, das den
Verlauf der Sitzung mitschneidet. „Wir befinden uns im kreativen Zentrum
des Vogelparks“, flüstert Weingarten, um die sensiblen Künstler nicht bei
der Arbeit zu stören. „Die Topautoren aus meiner Talentschmiede schreiben
ihre Spottverse und Schmähgesänge hier schon größtenteils selbst. Was an
guten Einfällen übrig bleibt, verkaufen wir dann für viel Geld an die
‚heute-Show.‘“
Nach einem Streifzug durch die Brutstation, in der junge Aras bereits kurz
nach dem Schlüpfen ihre ersten Schimpfwörter erlernen, sind wir am Ende der
Führung mit Frau Dr. Weingarten. Die Biologin muss los, um unter Ausschluss
der Öffentlichkeit weiter an ihrem Meisterstück zu arbeiten. „Beim
Kanzlerduell für die Bundestagswahl 2025 sollen meine Rotsteißpapageien
Polly, Wurzel und Beppo auf den Schultern der Moderatoren sitzen und die
Vorträge der Spitzenkandidaten kommentieren – mit Flüchen hoch zehn“,
klatscht die Naturwissenschaftlerin begeistert in die Hände.
Die als Honorar für unseren Rundgang vereinbarte Großvogelnussmischung
öffnet Weingarten nach der Übergabe geübt mit dem Schnabel. Leider hat sie
danach jegliches Interesse an uns verloren. Kreizkruzefix!
9 Oct 2024
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
## TAGS
Papagei
Vögel
Fluchen
Friedrich Merz
Die Wahrheit
Brücke
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Mücken
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