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# taz.de -- Die Wahrheit: Nachschminken beim Kandidaten
> Die CDU lässt ihren Vorsitzenden Friedrich Merz schon jetzt auf die
> Wirklichkeit im Kanzleramt vorbereiten. Ein Anwärter im Ausnahmezustand.
Bild: Friedrich Merz auf dem Weg zur Schauveranstaltung
Als der lange Schlacks mit dem schütteren Haar endlich die Lobby des
Bundeskanzleramts betritt, brandet frenetischer Jubel auf. Während der
Männerchor der Jungen Union sofort „Üb immer Treu und Redlichkeit“
intoniert, prescht die strahlende Julia Klöckner mit einem riesigen
Blumenstrauß vor. „Herzlich willkommen, Herr Bundeskanzler!“, begrüßt die
Rheinland-Pfälzerin den Neuankömmling. Von oben regnet es Konfetti und
Rosenblüten. Weiter hinten platzen ein paar pechschwarze Luftballons.
„Und Cut!“, beendet Ferdinand Schulze die kleine Generalprobe und schickt
Friedrich Merz’ Doppelgänger zum Nachschminken in die Garderobe. „In etwas
mehr als einer Stunde kommt der Kanzlerkandidat der Union. Dann muss hier
jedes Detail sitzen“, spornt der gelernte Theaterregisseur die
umherstehenden Komparsen mit energischem Händeklatschen an.
Den 50-Jährigen dürfen wir heute auf einer Tour durch die Babelsberger
Filmstudios exklusiv begleiten. Wie uns Schulze erzählt, hat sich die
Partei die pompöse Inszenierung einiges kosten lassen. Der Grund dafür wird
schnell klar. „Nach dem Aus für die Ampelkoalition hat Herr Merz einen
Nervenzusammenbruch erlitten, weil er nicht auf der Stelle Kanzler werden
konnte. Seine Berater sind jetzt in Angst, dass der Sauerländer in aller
Öffentlichkeit durchdreht und auf den letzten Metern den Vorsprung in den
Umfragen verbaselt“, schwadroniert Schulze. „Deswegen lassen wir ihn nach
seinem Klinikkurzaufenthalt glauben, die Inauguration hätte schon längst
stattgefunden. Offiziell bereitet sich Herr Merz in einem tibetischen
Schweigekloster auf die Neuwahlen vor. Kommen Sie!“
## Kopie des Kanzlerbüros
Der Dozent der Filmhochschule führt uns ins Atelier nebenan. Dort befindet
sich eine Kopie des aktuell noch von Olaf Scholz genutzten Kanzlerbüros.
Der Spielleiter verweist auf liebevoll platzierte Gimmicks, die helfen
sollen, Merz’ Machthunger bis zu den Neuwahlen in Schach zu halten.
„Wie Sie sehen, stehen ein rotes Kabeltelefon mit einer Standleitung in den
Vatikan, der obligatorische Atomkoffer zum Spielen und eine Schlafcouch für
Nachtschichten von Carsten Linnemann schon bereit.“
Durch eine Tür in der Sperrholzwand gehen wir in den detailliert
abgekupferten Plenarsaal des Bundestags. Sofort wird es laut. Alle 736
Statisten, scheinbar auch die in einer Oppositionsrolle, stampfen so lange
begeistert mit den Füßen, bis der Einpeitscher den Karton mit der
Aufschrift „STOPP“ hochhält.
„Dass Merz für Luftnummern wie die kapitalgedeckte Altersvorsorge
fraktionsübergreifend gefeiert wird, ist natürlich komplett unrealistisch“,
gibt unser Gastgeber zu. „Aber sein Glaube an sich selbst ist ein fragiles
Gebilde, das wir durch nichts erschüttern dürfen. Die ersten Buhrufe nach
ungeschickten Äußerungen über Frauen, Queere oder Migranten erreichen Herrn
Merz schon noch früh genug.“
Wenig später stehen wir im Außenbereich und bestaunen auf der angeblichen
Startbahn des Berliner Flughafens die deutsche Air Force One. Laut Schulze
in Wirklichkeit nur ein ausgemusterter Clipper der Flugbereitschaft. „Der
fliegt natürlich nirgendwo mehr hin“, lacht der Cineast. „Nach dem Boarding
wird die Kiste von unseren Bühnenbildnern einmal kräftig durchgerüttelt.
Danach rollen wir auf den Gebäuden ringsum landestypische Fototapeten aus.
Schauen Sie!“
## Söder als Trump
Schulze verwandelt das herbstliche Potsdam per Knopfdruck in die Skyline
von Washington. „Auf die Art und Weise können wir Friedrich Merz auch schon
mal auf seine erste Begegnung mit Donald Trump vorbereiten.“ Der Choreograf
betritt mit uns das verräterisch im Wind flatternde Weiße Haus. Im Oval
Office wartet zu unserer Überraschung mit orangefarbenem Make-up und
authentisch blonder Perücke Markus Söder.
„Den bayerischen Ministerpräsidenten haben wir nach seinem Versprechen,
alles für Merz’ Kanzlerschaft zu tun, beim Wort genommen. Mit Verkleidungen
kennt sich der faschingerfahrene CSU-Chef ja bestens aus. Weil er aber auch
noch seinen eigenen Regierungsgeschäften nachgehen muss, teilt er sich den
Part derzeit mit unserem Filmschimpansen Beppo. Komm, Markus! Mach den
Donald!“
Als eine Stimme durch die Sprechanlage verkündet, dass Friedrich Merz nach
mehreren hundert Runden um den Block mit seiner Limousine auf den Parkplatz
der Filmstudios eingebogen ist, verabschiedet sich Schulze von uns. Wie er
uns nervös versichert, stünde viel, wenn nicht sogar alles auf dem Spiel.
„Falls wir das hier versauen und Herr Merz doch nicht Regierungschef wird,
müssen wir ihn für den Rest seines Lebens hierbehalten und das ganze Areal
sogar noch zu einem gigantischen Kanzlerpark ausbauen.“ Aber vielleicht tue
man ja genau das, flüstert uns Schulze im Weggehen noch mal verschwörerisch
zu. „Für Deutschland!“
20 Nov 2024
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
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Friedrich Merz
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