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# taz.de -- Die Wahrheit: Nie mehr über sieben Brücken
> Ein Hamburger Sprach- und Bau-Guru hübscht das ramponierte Image
> deutscher Überwege und -gänge auf.
Bild: Hoffentlich hält das Bauwerk noch bis zur Gesamtquerung
Eile ist geboten, als der mit Zementblöcken beladene Siebentonner via
Köhlbrandbrücke die Elbe in Hamburg überqueren will. Zum Glück rast Tom
Cruise mit jedem Bein auf zwei Motorrädern stehend heran. Bevor der
verdutzte Trucker am Steuer reagieren kann, hat Cruise die Tür aufgerissen
und ist in den Innenraum gehechtet. Durch eine Vollbremsung kann „Ethan
Hunt“ den Lkw kurz vor der Auffahrt zur schwankenden Schrägseilbrücke
stoppen. Reifen qualmen. Der riesige Sattelzug ächzt.
„Ein bleischwerer Laster, der auf eine marode Wackel-Brücke aus den
siebziger Jahren zurast? Mehr Action geht eigentlich gar nicht!“,
bescheinigt Zaungast Fiete Petersen den Dreharbeiten zum kommenden
Straßenfeger „Mission Impossible: Old Bridge“ ein überdurchschnittliches
Maß an Spannung und Nervenkitzel. Als Sprach- und Marktforscher soll der
54-jährige Petersen im Auftrag seiner Kundschaft den Terminus „Brücke“ neu
bewerten und nach attraktiveren und weniger belasteten Alternativen suchen.
„Was in Blockbustern prima funktioniert, hat für den Rest der Wirtschaft
fast ausnahmslos ruinöses Potenzial“, warnt der vielseitig begabte
Akademiker. „Die Brücke als ehemals verbindendes Element ist längst zum
Inbegriff von Verfall, Inkompetenz und akuter Lebensgefahr geworden.“
## Neue Ortsschilder
Seit dem Einsturz der Dresdener Carolabrücke ist der
Allround-Brückenfachmann rund um die Uhr gefragt. „Immer mehr Städte wollen
von mir neue Titel für ihre Ortsschilder: Osnabrück, Zweibrücken oder
Fürstenfeldbruck werden Sie in der nächsten Auflage des ADAC-Straßenatlas
unter anderen Namen suchen müssen. Kommen Sie!“
Der Wortanalyst bricht zu seiner Werbeagentur auf der anderen Seite des
Flusses auf. Dafür zerrt er keuchend ein pinkes Schlauchboot aus dem
Gebüsch. „Seitdem ich angefangen habe, mich Vollzeit mit dem Thema
‚Brücken‘ zu beschäftigen, fühle ich mich in dieser Gummijolle hier wohl…
Außerdem deckt meine Unfallversicherung die meisten Überführungen in und um
Hamburg ohnehin nicht mehr ab. Einsteigen, bitte!“
Der Brücken-Guru gibt sich beim Paddeln größte Mühe. Leider werden wir
wegen der starken Strömung etliche Kilometer nach Südosten abgetrieben und
müssen bis zu Petersens Firmenzentrale in Wilhelmsburg zurücklaufen. Als
wir endlich in der futuristischen Schaltzentrale ankommen, ist es schon
später Nachmittag. Petersen deutet auf das Gewimmel aus mehreren Dutzend
Mitarbeitern, die mit coolen Headsets Videotelefonate führen. Bildschirme
flimmern. Es wird klackernd auf Tastaturen gehackt. „Hier nehmen wir
Anfragen aus Deutschland und der ganzen Welt entgegen“, erklärt uns der
umtriebige Geschäftsmann.
## Neue Songtitel
„Heute Morgen haben wir einen Anruf von Paul Simon erhalten. Er hat uns
gebeten, ‚Bridge over troubled Water‘ textlich schnellstens an den
deutschen Markt anzupassen.“ Für Petersen eine längst überfällige Maßnah…
„Wer will schon bei Hochwasser eine Liaison mit einer rissigen
Stahl-Zement-Konstruktion eingehen, die einem womöglich jeden Moment unterm
Hintern wegbricht?“
Während das Büro weiter betriebsam brummt, ist es draußen bereits dunkel
geworden. Petersen bekommt von einem Nachtschichtmitarbeiter einen Eilbrief
ausgehändigt. Wie der Silbenakrobat uns nach dem Lesen berichtet, hat
CDU-Boss Friedrich Merz für ein Revival der Kernkraft ein stark
verharmlosendes, aber schmissiges Synonym für den mittlerweile verbrannten
Ausdruck „Brückentechnologie“ bestellt. Unser Gastgeber holt Schwung und
trifft mit dem zusammengeknüllten Wisch gekonnt in einen Papierkorb.
Zum Abschied hat Petersen dann noch ein echtes Bonbon für uns auf Lager.
Wir dürfen an einer Live-Schalte mit der katholischen Bischofskonferenz
teilnehmen. „Die hofft auf reichlich Zulauf von Berufspendlern, die mangels
sicherer Alternativen unbedingt lernen wollen, wie man übers Wasser geht
oder schwebend Schluchten überquert“, flüstert Petersen hinter
vorgehaltener Hand.
## Neue Offenbarungen
Zudem schiele man in Rom auf Taufwillige, die dem immer plausibler
wirkenden Narrativ von Brücken als „Blendwerke des Satans“ entgegenhalten
wollen. Auf Wunsch des Limburger Bischofs Georg Bätzing, soll sich Petersen
daher bis spätestens zum nächsten Kirchentag ein Potpourri an
Brücken-Synonymen im Stil der Johannes-Offenbarung einfallen lassen.
Als Fiete Petersen uns nach Ende des Rundgangs in seinem Schlauchboot ans
andere Elbufer bringen will, lehnen wir dankend ab. Stattdessen wollen wir
auf unserem Heimweg lieber den Bus über die Köhlbrandbrücke nehmen. Die von
Petersen höchstpersönlich aufgeblasenen Schwimmflügel behalten wir
sicherheitshalber an.
18 Sep 2024
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
## TAGS
Brücke
Dresden
Infrastruktur
Die Wahrheit
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Friedrich Merz
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