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# taz.de -- Diktator in Belarus: Lukaschenko bis zur Bahre
> Terror, politische Gefangene, Fake-Wahlen – seit 30 Jahren regiert
> Alexander Lukaschenko in Belarus. Auch noch mit 70 will er sein Volk
> „nicht im Stich lassen“.
Bild: Zwei Präsidenten die sich brauchen: Lukaschenko mit Partner Putin
Schon bei der Moskauer Siegesparade in Mai 2023 wird es offensichtlich: Der
belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko schwächelt. Mit
versteinertem Gesicht auf der Besuchertribüne, die kurze Distanz zwischen
dem Roten Platz und dem Grab des unbekannten Soldaten muss er in einem
Elektromobil überwinden. Lukaschenko reist vorzeitig aus Russland ab und
verschwindet für einige Tage von der Bildfläche. Die Gerüchteküche brodelt.
Sollte der Herrscher sterben, sei der Sekt in Belarus wohl sofort
ausverkauft, lautet eine Spöttelei in den sozialen Netzwerken.
Auch Anfang Juli dieses Jahres, beim Gipfeltreffen der Schanghaier
Organisation für Zusammenarbeit in der kasachischen Hauptstadt Astana,
erinnert Lukaschenko an ein Exponat aus dem Wachsfigurenkabinett. Vorbei
die Zeit der Bilder, auf denen sich „Batka“ (Väterchen) publikumswirksam
mit Sense oder Mistgabel auf einem Acker verausgabt oder in einem
Eisstadion vor herbeizitierten jubelnden Zuschauer*innen den Puck im Tor
platziert. „Die Ära der 70-jährigen Führungskräfte geht zu Ende“, so ha…
Lukaschenko in seinem ersten Präsidentenwahlkampf 1994 für sich geworben.
Jetzt ist er seit 30 Jahren im Amt – und wird Ende August selbst 70 Jahre
alt.
An seine Kindheit in dem Dorf Kopys im Gebiet Witebsk dürfte sich der
Langzeitherrscher eher ungern erinnern. Es ist ein ärmliches Leben. Über
seinen Vater ist nichts bekannt. Seine Mutter, eine Melkerin, zieht ihn
allein groß, was als gesellschaftlicher Makel gilt.
Am pädagogischen Institut Mogilow studiert Lukaschenko Mitte der
1970er-Jahre Geschichte und Gesellschaftskunde auf Lehramt, ab 1985
Landwirtschaft. Stallgeruch hatte er da schon, ob einer einjährigen
Tätigkeit als stellvertretender Leiter einer Kolchose (1982/83). Fünf Jahre
später avanciert er zum Direktor der Kolchose „Gorodez“.
## Trauer um die Sowjetunion
Dort herrschen raue Sitten. Lukaschenko habe Arbeiter, die etwas zu viel
dem Wodka zugesprochen hätten, wegen Trunkenheit geschlagen, schreibt der
belarussische Politiker und Politikwissenschaftler Aleksander Feduta in
seiner Lukaschenko-Biografie aus dem Jahr 2005. Derzeit [1][sitzt Feduta
eine zehnjährige Haftstrafe] wegen versuchten Staatsumsturzes ab. Er teilt
das Schicksal vieler Kritiker*innen während Lukaschenkos politischer
Karriere.
Anfang der 1990er Jahre wird Lukaschenko zum Abgeordneten des Obersten
Sowjets der belarussischen Sowjetrepublik gewählt. Dieser wird nach dem
Zerfall der Sowjetunion 1991 zum Parlament des unabhängigen Staates
Belarus. Als das Plenum 1991 über das Ende der Sowjetunion abstimmt, fehlt
nur ein Abgeordneter: Alexander Lukaschenko. Wie Russlands Präsident
Wladimir Putin bezeichnet auch er einmal den Zusammenbruch der Sowjetunion
als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.
1993 wird Lukaschenko zum Vorsitzenden einer parlamentarischen Kommission
zur Korruptionsbekämpfung. Dieser Kampf ist auch das
Alleinstellungsmerkmal, mit dem er bei den Präsidentenwahlen im Sommer 1994
antritt – den letzten, die das Attribut demokratisch verdienen. Lukaschenko
wirbt damals mit dem Slogan: „Die junge Generation wählt Lukaschenko“. Sein
Populismus kommt bei den Wähler*innen gut an. Die Stichwahl 1994
entscheidet Lukaschenko mit 80,1 Prozent für sich. Werte um diese Marke
herum erreicht er auch bei allen weiteren – durchwegs manipulierten –
Abstimmungen, zuletzt 2020.
„Die Diagnose, die ihm vor diesem Präsidentschaftswahlkampf niemand zu
stellen wagte, ist seine krankhafte Machtversessenheit“, zitiert die BBC
Anatoli Lebedko, einen früheren Unterstützer Lukaschenkos und heutigen
Berater im Team der Exil-Oppositionellen [2][Swetlana Tichanowskaja]. „Das
war die Wurzel aller zukünftigen Probleme für Belarus.“
Die beginnen schon knapp ein Jahr später. Die Medien werden unter Druck
gesetzt. Historische belarussische Symbole werden abgeschafft, das
Russische dem Belarussischen gleichgestellt. Wieder ein Jahr später knöpft
Lukaschenko sich die Gewaltenteilung vor und lässt das von seinen
Untertanen absegnen. Die Vollmachten des Präsidenten werden ausgeweitet,
das Parlament in seinen Kompetenzen beschnitten – und kurz darauf
aufgelöst.
„Ende 1996 hatte Lukaschenko ein personalistisches autoritäres Regime
installiert, in dem nur eine einzige staatliche Institution tatsächlich
Einfluss hat: Alexander Lukaschenko“, schreibt der mittlerweile aufgrund
politischer Verfolgung im Exil lebende belarussische Politologe und
Historiker [3][Waleri Karbalewitsch]. Lukaschenkos dominanter Charakterzug
sei ein grenzenloser Machthunger und dieser der Grund dafür, dass in
Belarus immer noch die Todesstrafe vollstreckt werde.
Um die Jahrtausendwende macht Belarus wieder negative Schlagzeilen. Vier
namhafte Oppositionelle, darunter der Ex-Chef der Zentralen Wahlkommission
Viktor Gontschar, verschwinden spurlos, ihre Leichen werden nie gefunden.
Der Europarat macht Todesschwadronen des belarussischen Innenministeriums
für die Entführungen verantwortlich.
## Hassliebe zu Putin
Schließlich kippen die Belaruss*innen in einem sogenannten
Volksentscheid 2004 die Beschränkung des Präsidenten auf zwei Amtszeiten.
Jetzt ist der Weg endgültig frei – Lukaschenko bis zur Bahre. In den
folgenden Jahren zieht Ruhe in Belarus ein. Der Tauschhandel des Diktators
mit seinem Volk – staatliche Versorgung, Absicherung und Stabilität gegen
Anpassung und Unterwerfung – funktioniert.
Zwar wagen sich Kritiker*innen immer mal wieder aus der Deckung, so bei
den Präsidentenwahlen 2010, bei denen auch alternative Kandidaten antreten
dürfen. Doch die finden sich bald im Gefängnis wieder, Proteste der
Bevölkerung lässt Lukaschenko brutal niederschlagen. Ganz im Sinne von
Wladimir Putin.
Beide verbindet eine Hassliebe, sie sind aufeinander angewiesen,
Lukaschenko jedoch mehr auf Putin als der auf ihn. Belarus hängt
wirtschaftlich am Tropf Russlands. Dennoch lässt Lukaschenko sich hin und
wieder auf einen Flirt mit dem Westen ein oder versucht, wie bei den
Minsker Abkommen 2014/15, sich als Makler in Szene zu setzen. Mit Russlands
Großangriff auf die Ukraine 2022 haben sich diese Versuche erledigt.
Lukaschenko steht heute stramm an der Seite Putins.
Der Politologe Waleri Karbalewitsch nennt Alexander Lukaschenkos
politischen Instinkt als einen Grund für dessen lange Herrschaft. Er ahnt
früh, welche Leute ihm gefährlich werden könnten. Wo dieser Instinkt
versagt, greift Lukaschenko zum Staatsterrorismus.
Etwa, als sich 2020 eine neue Generation anschickt, die Politik in Belarus
gestalten zu wollen. Unabhängige Kandidaten werden damals zu den
Präsidentschaftswahlen nicht zugelassen beziehungsweise inhaftiert. So der
Blogger Sergei Tichanowski. Die Bekanntgabe der Ergebnisse – Lukaschenko
erreicht angeblich mal wieder knapp über 80 Prozent der Stimmen – wird zum
Fanal für wochenlange Massenproteste.
Das Regime reagiert mit einer beispiellosen Repressionswelle: landesweite
Razzien, Festnahmen, Folter und Strafverfahren. Die belarussische
Menschenrechtsorganisation Viasna (Frühling) beziffert die Zahl politischer
Gefangener auf 1.358 (Stand: 22. August).
Die nächsten Präsidentenwahlen finden 2025 statt. Alexander Lukaschenko
will trotz Altersschwäche wieder kandidieren. „Kein einziger Mensch, ein
verantwortungsbewusster Präsident, wird sein Volk im Stich lassen, das ihm
in die Schlacht gefolgt ist“, zitiert ihn die staatliche Nachrichtenagentur
Belta.
25 Aug 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Barbara Oertel
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