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# taz.de -- Filmfestspiele in Venedig: In Goebbels’ Villa war sie nicht
> Der Regisseur Andres Veiel porträtiert bei den Filmfestspielen in Venedig
> NS-Propagandistin Leni Riefenstahl als widersprüchliche Persönlichkeit.
Bild: Eitel bis in die letzte Hautfalte: NS-Filmpropagandistin Leni Riefenstahl
Dieser stechende Blick. Dieses eingefrorene, wie mit dem Messer – ähnlich
dem Superschurken Joker – ausgeschnittene Lächeln. Diese keifende Stimme.
Man möchte in Gesellschaft dieser Frau so wenig Zeit wie möglich
verbringen, sei auch die Leinwand als abstandwahrender Schutz dazwischen.
Zwei Stunden dauert Andres Veiels Doku „Riefenstahl“ über die Filmemacherin
im Dienste des NS-Regimes, der in Venedig außer Konkurrenz läuft, und sie
werden einem nicht lang. Auch wenn man die Protagonistin länger sieht und
hört, als einem lieb sein kann.
Warum jetzt ein Film über Riefenstahl, 21 Jahre nach ihrem Tod? Dass Veiel
sich der umstrittenen Figur angenommen hat, liegt vor allem daran, dass der
umfangreiche Nachlass Riefenstahls, seit 2018 im Besitz der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz, ihm und seiner Produzentin Sandra Maischberger
zugänglich gemacht wurde.
## Verbesserungsfähige Orthografie
Man sieht kuriose Trouvaillen wie das Foto einer Filmdose, handschriftlich
in verbesserungsfähiger Orthografie betitelt mit „Triumpf des Willens“,
private Aufnahmen mit Riefenstahls Assistenten und späterem Ehemann Horst
Kettner und Szenen vom Dreh zu Ray Müllers Dokumentarfilm „Die Macht der
Bilder“, die von Riefenstahl nicht freigegeben wurden. Sie störte sich an
Fragen zur NS-Zeit.
Aus dem frühen Archivmaterial, das ihre Karriere auf dem Weg ins NS-Regime
nachzeichnet, ergibt sich das Bild der entschlossenen Karrieristin, als die
Riefenstahl seither gilt. Auch ihr Opportunismus wird in Veiels
Rekonstruktion gut deutlich, und es zeigen sich ihre Lügen nach 1945 und
ihr beständiges Abstreiten praktisch jeglicher Kenntnis von den Verbrechen
der Nazis.
Wenn Riefenstahl mit ihrer Vergangenheit und ihrer Rolle zur NS-Zeit
konfrontiert wird, etwa 1976 in der Talkshow „Je später der Abend“,
reagiert sie mit einer aggressiven Verletztheit, die den Schluss nahelegt,
dass ein wenig Schuld auf ihr gelastet haben muss, wenn die Verdrängung so
groß ist. Und dass sie in diesem öffentlichen Leugnen ihrer Arbeit für das
NS-Regime für einen Teil der Bevölkerung der noch jungen Bundesrepublik
wohl als Heldin fungierte.
## Nicht ganz bis nach oben geschafft
In anderen Szenen entsteht ein widersprüchliches Bild, etwa wenn es um ihre
Affäre mit Joseph Goebbels geht, bei der sie vehement verneint, jemals in
dessen Villa auf Schwanenwerder eingeladen gewesen zu sein. Sie erregt sich
dabei so sehr, dass man den Eindruck bekommt, sie sei insbesondere
beleidigt darüber, nicht in dem Maß zur NS-Elite gehört zu haben, wie sie
es sich gewünscht hatte.
Dass es diese Beziehungen und Verstrickungen ihrerseits überhaupt gegeben
hat, scheint ihr weniger Schwierigkeiten bereitet zu haben. Immerhin
schickte ihr der Führer Rosen auf den Lido, als sie 1938 mit dem
K[1][örperkult-Film „Olympia“] dorthin eingeladen war.
Eine weitere Auffälligkeit sind ihre Bemühungen nach dem Krieg, stets
selbst Regie zu führen, wenn man sie filmt, um das Bild von ihr bis ins
letzte Detail zu kontrollieren. Wobei ihr diese Kontrolle immer wieder
entgleitet. Als Heinrich Breloer sie für „Speer und er“ im hohen Alter von
über 90 Jahren filmte, bestand sie darauf, dass die Kamera sie von einer
Seite zeigt, die ihre Mundwinkelfalte weniger prominent erscheinen lässt.
Breloer ließ dabei die Kamera einfach heimlich weiterlaufen. Die elegische
Musik von Freya Arde kann das Peinvolle dieser Einblicke in eine
narzisstische Persönlichkeit kaum abmildern. Nicht zuletzt, weil
Riefenstahls Gesinnung sich bis ins hohe Alter mit den Überzeugungen der
Nazis bestens vertragen haben dürfte.
Hinterher fühlt man sich beschmutzt, ohne dass Seife helfen könnte.
29 Aug 2024
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## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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