# taz.de -- Theaterstück „Let Them Eat Money“: It’s the Sachzwang, stupi… | |
> Andres Veiel skizziert in „Let Them Eat Money“ im Deutschen Theater das | |
> Ende von Neoliberalismus und EU. Es folgt Ratlosigkeit. | |
Bild: Atemlos durch das Stücks: Szene aus „Let Them Eat Money“ | |
Kann Theater vom digitalen Kapitalismus erzählen, von der Verwandlung des | |
Humanen in Biochipmaschinen, von Finanz-, Euro-, Demokratiekrise? Was wäre | |
Theater wert, das davor kapituliert? In der Mitte ein Stahlgerüst, darum | |
platziert ein paar verlorene Figuren, meist schwarz gekleidet. Im | |
Hintergrund sieht man überlebensgroß zwei Gesichter in digitalen | |
Projektionen. Nähe entsteht in dieser Inszenierung fast nur als medialer | |
Effekt. Wenn es um Gefühle geht, fangen die Figuren meist an, in indirekter | |
Rede von sich selbst zu sprechen. Bloß keine falsche Unmittelbarkeit. | |
Die Welt ist in „Let Them Eat Money“ ausgebleicht. Kaum Farben, der | |
Gewerkschaftsfunktionär Rosser (Paul Grill) trägt ein Urlaubshemd. Die | |
Bühne (Julia Kaschlinskyi) ist fast leer, nüchtern, von kalter, stählerner | |
Schönheit und Spiegel einer gescheiterten Welt. Zwei Körper schwingen | |
kopfüber gehängt an Seilen über den Boden. Sie sind Gefangene der | |
Let-them-eat-money-Bewegung, einer Art Cyber-RAF. Die Bewegungsaktivisten | |
(Kathleen Morgeneyer und Thorsten Hierse) sind mal stalinistische | |
Politkommissare, mal aufgedrehte Showmaster, die ihre Follower bei Laune | |
halten müssen. Die verfolgen das Tribunal live und sollen das Urteil | |
fällen, Tod und Freispruch. | |
So sieht, so der Plot, unsere Welt 2028 aus. Die verschiedenen ineinander | |
verschachtelten Szenarien, die in enormem Tempo und verdichteten Sätzen | |
entfaltet werden, gehen in etwa so: Die nächste Finanzkrise hat die EU | |
zerfetzt. Vor den Küsten entstehen künstliche Inseln, | |
Sonderwirtschaftszonen, deren Bewohner eher Shareholder als Bürger sind. | |
Das ist eine raffinierte Idee – der zu Ende buchstabierte Traum der | |
neoliberalen Theologie. Alles wird Markt. Märkte brauchen keine Staaten | |
mehr, sie werden Staaten. | |
Andres Veiel und Jutta Doberstein siedeln ihre Zukunftsvision nah am Heute | |
an. Maschinen führen Verhöre durch, sie sprechen ja heute schon, wie | |
Amazons Alexa, mit ihren Besitzern. Diese Zukunft ist erwartbar finster, | |
aber ausreichend verwirrend. Die neoliberale Hightechutopie, die der | |
Start-up-Unternehmer Stefan Tarp verkörpert (den Frank Seppeler zu normal | |
und uncharismatisch spielt), erweist sich in der Krise als das attraktivere | |
Modell als die wehrlose EU. So fliehen EU-Bürger auf die Inseln und werden | |
wie Armutsflüchtlinge abgewehrt, eine der vielen Volten im Stück. | |
## Stumpf auf der Bühne | |
Die Szenarien haben eine funkelnde Intelligenz. Sie verwirbeln allzu | |
schlichte Einteilungen in gut (Grundeinkommen) und böse (Neoliberalismus). | |
Der Trigger, der die Katastrophe vollendet, ist das Bedingungslose | |
Grundeinkommen, das zum trojanischen Pferd des neoliberalen Angriffs auf | |
die Staatenwelt gerät. Clever ist zudem, dass das Desaster nicht von | |
Bösewichten, sondern von lauter Wohlmeinenden in Gang gesetzt wird. Der | |
Gewerkschafter sah hilflos das Debakel kommen, die EU-Kommissarin Franca | |
Roloeg (die Susanne Maria Wrage als Verzweifelte gibt) war überfordert. Der | |
EZB-Chef hat nur seinen Job gemacht, und Tarp ist mal Zyniker, mal will er | |
die Welt retten. It’s the Sachzwang, stupid! | |
Wer Veiels Werke kennt, findet eine Reihe von Motiven wieder. Dystopie | |
trifft Finanzkapitalismus trifft Gerichtsdrama trifft Black Box BRD trifft | |
Theater. Theater? Da wird es kompliziert. Was als Zukunftsentwurf | |
geistreich strahlt, wirkt auf der Bühne stumpf. Das Ensemble hetzt durch | |
ein atemloses Stakkato von Szenarien. Das Tribunal gegen Akteure des Crashs | |
könnte die Herzkammer dieses Stücks bilden – aber es wirkt mitunter auch | |
nur wie ein Hilfsmittel, um den reißenden Strom der Informationen zum | |
Vortrag zu bringen. Flüchtlinge, Neoliberalismus, Digitalisierung, | |
Bankencrash, Klimakatastrophe, künstliche Intelligenz, Grundeinkommen – die | |
Problemdichte ist einfach zu hoch, um elegant spielbar zu sein. | |
Die Inszenierung bricht nicht ganz mit dem psychologischen Realismus: Der | |
Banker ist cool, der Unternehmer draufgängerisch, die EU-Kommissarin im | |
leuchtend orangefarbenen Hosenanzug (Kostüme: Michaela Barth) eine | |
Verlorene. Aber in diesem Trommelfeuer der Ideen wirken die Figuren wie | |
skelettiert. Leise angedeutete Liebesszenen, zwischen dem EZB-Banker (Jörg | |
Pose) und dem Unternehmer, zwischen EU-Kommissarin und Gewerkschafter, | |
wirken wie emotionale Soundbites, ausgewaschene Farbtupfer. | |
Es gibt prägnante Bilder und gekonnt eingesetzte mediale Effekte, die | |
integraler Teil des Stücks und nicht bloß optische Attraktionen sind, es | |
gibt geschliffene Dialoge und raffinierte Wendungen. Aber all das wirkt zu | |
gepresst, zu dicht, zu eng. Die Tonlage ist meist die der Anklagerede. Es | |
fehlen Rhythmus, Sprachmodulationen – und Pausen. So ringt das Ensemble | |
damit, aus komplexen Ideen einigermaßen atmende Figuren zu machen. | |
In diesem Stück, jedenfalls in dieser Inszenierung, ist das Paradox eines | |
Theaters der Aufklärung zu besichtigen. Wer diese komplexen, gedrängten | |
Szenerien in eindreiviertel Stunden begreift, wusste der es nicht irgendwie | |
schon vorher? | |
30 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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Deutsches Theater | |
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Zukunftsvision | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
Johan Simons | |
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