# taz.de -- Studie über Kondomnutzung: Gebt Gummi! | |
> Eine Studie der WHO zeigt, dass Jugendliche seltener Kondome benutzen als | |
> noch vor 10 Jahren. Jetzt ist dringend Aufklärung nötig. | |
Bild: Ästhetisch ist es nicht gerade: das Kondom | |
Sex quillt aus allen Löchern. Pornos sind so leicht verfügbar wie nie | |
zuvor. Gerade in westlichen Ländern können die meisten schlafen, mit wem | |
sie wollen. Man würde denken, die Welt sei aufgeklärter denn je. Eine | |
[1][neue Studie der WHO] beweist das Gegenteil. | |
Zwar hat die Jugend noch genauso viel Sex wie vor 10 Jahren – unter | |
15-Jährigen gibt ein Fünftel der Jungen und ein Siebtel der Mädchen an, | |
Geschlechtsverkehr gehabt zu haben –, jedoch ist der Gebrauch von Kondomen | |
drastisch zurückgegangen. Ungefähr ein Drittel der Befragten in Europa, | |
Zentralasien und Kanada sagen, dass sie beim letzten Mal kein Kondom | |
benutzt haben. Das sind 9 Prozent mehr als noch 2014. | |
„Die sind unbequem“, „Viel zu klein“, „Man spürt mit denen nichts“… | |
der schon mal mit einem Penisträger Sex hatte oder heterosexuelle | |
Betroffene kennt, wird diese Ausreden gehört haben. Sie mögen inhaltlich | |
teilweise stimmen, sind aber völlig irrelevant in Anbetracht dessen, dass | |
die Alternativen zum Gummi eine ungewollte Schwangerschaft oder sexuell | |
übertragbare Krankheiten sein können. Wenn das ein ganzes Drittel der | |
Jugendlichen nicht versteht, läuft etwas gehörig falsch. | |
Vielleicht ist es an der Zeit, sich einzugestehen, dass die 60-jährige | |
Biolehrerin in der Schule nicht die richtige Person ist, Sexualkompetenz zu | |
vermitteln. Denn Sexualbildung darf nicht verkümmern. | |
## Neue Prüderie? | |
Dabei sind Informationen über Verhütung und Safe Sex zugänglicher denn je, | |
klären Fachleute doch kostenlos und zahlreich in sozialen Medien auf. Und | |
nicht nur da: Auch in TV-Sendungen, Filmen und Büchern spielt Sex eine | |
enorme Rolle. Aber dann gibt es da noch die andere Seite der sozialen | |
Medien – und auch im analogen Leben – wo Sex weiterhin ein Tabuthema, | |
beschämend, sündhaft, schlichtweg falsch ist. Das Kondom, eine Waffe des | |
Teufels. | |
Und trotzdem: Selbst bei aufklärerischen Inhalten bleibt die Frage, ob sich | |
Jugendliche diese überhaupt ansehen. Eine [2][Studie der US-amerikanischen | |
Universität UCLA] zeigt, dass junge Menschen finden, dass Sex im TV oder in | |
Filmen überrepräsentiert ist. Die UCLA begründet das damit, dass | |
Jugendliche ihr Sexualverhalten in den Medien nicht richtig abgebildet | |
sehen. Etwa 48 Prozent der Befragten gab an, dass sexuelle Inhalte gar | |
nicht nötig seien. | |
Wächst etwa eine neue Generation der Prüderie heran? Ist es ihnen | |
unangenehm, über Sex zu reden, auch wenn sie ihn haben? | |
## Kondom-Amnesie wegen Alkohol und Drogen | |
Dass das der Fall ist, zeigt auch die erschreckende Zahl derer, die nicht | |
wissen, ob sie beim letzten Mal verhütet haben: Die WHO zählt, dass 9 | |
Prozent der Jungen und 7 Prozent der Mädchen nicht wussten, ob sie selbst | |
oder ihr Partner ein Kondom benutzt hatte. In den Köpfen vieler Mädchen ist | |
das vielleicht noch immer „Männersache“. | |
Die WHO vermutet hinter denen mit Kondom-Amnesie auch Alkohol und Drogen. | |
Doch sich betäuben zu müssen, um seine Sexualität ausleben zu können, damit | |
die Scham nicht im Weg steht, ist schon ein Beweis für Prüderie – der | |
allerdings nicht nur auf die Jugend zutrifft. | |
Hinzu kommen Klassenunterschiede: Aufklärung über Safe Sex ist nicht für | |
alle gleich zugänglich. Die Studie zeigt, dass Jungen aus einkommensstarken | |
Familien um 10 Prozent häufiger angaben, Kondome zu benutzen, während | |
Jugendliche aus einkommensschwachen Familien häufiger gar nicht verhüten. | |
## Gonorrhoe und Syphilis sind zurück | |
Seltsam ist aber, dass auch in wohlhabenden Ländern Kondome unbeliebt sind: | |
Das Paradebeispiel dafür ist Schweden, mit anderen [3][skandinavischen | |
Ländern die Hochburg für Chlamydien], wo ganze 43 Prozent der Jungen und 68 | |
Prozent der Mädchen angaben, keine Kondome zu benutzen – die höchste Rate | |
aller Befragten. | |
Der Grund? Die Angst vor ernsthaften Konsequenzen ist gesunken, und man | |
wiegt sich unbesorgt in den sicheren Armen der Wissenschaft. Sexuell | |
übertragbare Infektionen sind so gut heilbar wie nie zuvor. Chlamydien wird | |
man schnell wieder los, und auch Tests sind dort umsonst. Dafür kommen | |
altertümlich klingende Krankheiten, die nicht so leicht zu behandeln sind, | |
etwa [4][Syphilis oder Gonorrhoe], zurück. Das Bewusstsein dafür, wie | |
präsent diese Krankheiten geworden sind, fehlt nicht nur unter | |
Jugendlichen. | |
Klar ist eins: Wo man hinblickt, fehlt Wissen. Vielleicht brauchen Eltern | |
eine Schulung darin, wie sie ihren Kindern auf weniger unangenehme Art die | |
Sache mit den Bienen und Blumen erzählen können. Vielleicht braucht es | |
heißere Biolehrer_innen, damit man sich besser auf das, was sie einem | |
erzählen, einlassen kann. Vielleicht muss ein aufklärerischer Aspekt oder | |
reale Darstellungen in Pornos verpflichtend sein. Klar ist: Auf irgendeine | |
Art wird man den jungen Menschen das Gummi schmackhaft machen müssen. | |
29 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/378547/9789289061155-eng.pdf?se… | |
[2] https://newsroom.ucla.edu/releases/adolescents-prefer-less-sex-more-friends… | |
[3] https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/CHLAM_AER_2022_Rep… | |
[4] /Aerztin-ueber-Geschlechtskrankheiten/!5976435 | |
## AUTOREN | |
Valérie Catil | |
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