# taz.de -- Food-Trend in Kalifornien: Wie ein 22-Dollar-Smoothie schmeckt | |
> Der Supermarkt Erewhon in L.A. löst mit einem Haley-Bieber-Smoothie einen | |
> Hype aus. Der verrät viel über Hoffnungslosigkeit. | |
Bild: Wie gut kann so ein Hailey-Bieber-Smoothie schon schmecken? Leider: Sehr … | |
Vor ein paar Wochen bin ich dann doch schwach geworden: Ich musste ihn | |
probieren, den mittlerweile geradezu mythischen Hailey-Bieber-Smoothie bei | |
der kalifornischen Supermarktkette Erewhon. Wer im letzten Jahr auch nur | |
zufällig auf Social Media unterwegs war, wird es gesehen haben, ein | |
weiß-pinkfarbenes Getränk im klaren Plastikbecher, am besten in | |
professionell manikürten Händen gehalten. | |
Mit Kollagen und dem aus Algen gewonnenen Carrageen angereichert soll der | |
Mix aus Erdbeeren, Datteln, Avocado, Banane, Kokosnuss und Mandelmilch zu | |
schöner Haut verhelfen, so zumindest das vage Versprechen seines Namens | |
„Strawberry Glaze Skin Smoothie“. Nicht überraschend ist seine | |
Namensgeberin, die Unternehmerin, Influencerin und | |
[1][Justin-Bieber-Ehefrau Haley Bieber], für ihre gute Haut und ihre | |
Skincare-Marke bekannt. Der Preis für den hautverschönernden Smoothie? Rund | |
22 US-Dollar, inklusive Steuern. | |
Wie gut kann ein [2][Smoothie] für 22 US-Dollar schmecken? Leider muss ich | |
zugeben: überraschend gut. Durch die Süße von Datteln und Stevia und der | |
cremigen Textur von Kokossahne und Mandelmilch erinnert er eher an einen | |
saftigen Milkshake denn an einen Health-Drink – auch wenn man ihn an einer | |
sogenannten Tonic Bar bestellt, die nicht zufällig mit der Referenz an | |
Gesundheitstonika spielt. | |
Einer Kosten-Nutzen-Abwägung hält der Smoothie allerdings kaum stand. | |
Vielmehr muss man ihn und den Hype darum als popkulturelles Phänomen | |
betrachten. Eines, das so vielleicht nur in Los Angeles möglich ist, | |
genauso wie auch der Supermarkt, der ihn anbietet. | |
## Ein Symbol für die Wellness-Obsession der Stadt | |
Erewhon, ein Anagramm des Begriffs „Nowhere“, also „Nirgendwo“, wurde 1… | |
von dem japanischen Ehepaar Michio und Aveline Kushi in Boston gegründet, | |
die auch makrobiotische Ernährung in den USA popularisierten. 1983 | |
verkaufte das Ehepaar Kushi die Filiale in Los Angeles an ihre | |
Angestellten. Heute existiert kein Erewhon mehr in Boston oder in | |
irgendeiner anderen Region der USA außer in LA County, dafür wird dieses | |
Jahr noch die elfte Filiale eröffnen, im bislang eher ein wenig | |
verschlafenen Glendale. | |
Den Namen lieferte die gleichnamige Satire des Engländers Samuel Butler aus | |
dem Jahr 1872, in der in einem utopischen Land Krankheit als Verbrechen | |
behandelt wird. Und tatsächlich ist der Besuch einer Erewhon-Filiale auch | |
ein wenig Realsatire: Gleich in der Obst- und Gemüseabteilung am Eingang | |
fällt mir eine kleine Packung Erdbeeren für 20 US-Dollar ins Auge, | |
Baumwollbeutel gibt es ab 50 US-Dollar, Grünkohlchips für 16 US-Dollar. | |
Mehrere Regalmeter sind für teils obskure Nahrungsergänzungsmittel | |
vorgesehen, und außer mir interessierte sich niemand für die junge Frau, | |
die mit einem orangefarbenen Leguan auf der Schulter die Steinfrüchte der | |
Saison begutachtete. Da Haustiere in der Filiale in Santa Monica keinen | |
Eintritt erhalten, kann es sich nur um ein sogenanntes Emotional Support | |
Animal gehandelt haben, eine beliebte Klasse von Assistenztieren in den | |
USA, die eigentlich Patient*innen psychisch unterstützen sollen, aber | |
oftmals ohne besondere Ausbildung für bisweilen vage Diagnosen von | |
Ärzt*innen als solche erklärt werden, damit Halter*innen sie auch in | |
Flugzeugkabinen oder etwa Highend-Supermärkte mitnehmen können. | |
Die Kette ist mittlerweile eine Art Symbol für die Wellness-Obsession der | |
Stadt und wurde auch in der Netflix-Serie „You“ persifliert. Der Besuch | |
eines Erewhon ist in den letzten Jahren zu einer Art Statussymbol geworden. | |
Zahlreiche Influencer*innen drehen in ihm und über ihn Videos, | |
regelmäßig werden dort Hollywoodfiguren gesichtet. Seit Hailey Bieber haben | |
weitere Personen des öffentlichen Lebens wie etwa Kendall Jenner, Olivia | |
Rodrigo und aktuell Sabrina Carpenter nach ihnen benannte | |
Smoothiekreationen vermarktet. Für das Privileg, dem Getränk Zutaten | |
beimischen zu dürfen, sollen laut kalifornischen Gatronomieunternehmern und | |
Medienberichten Produzenten von Kollagen, Stevia und Co zahlen. Wie hoch | |
die Gebühr ist, bleibt unklar. | |
## Vergleichsweise erschwinglicher Luxus | |
Für die Marken scheint es sich zu lohnen, denn nicht nur profitieren sie | |
von der Nähe zu Influencer*innen und Künstler*innen wie Bieber oder | |
Carpenter, sondern auch von der Loyalität der Erewhon-Kund*innen für ihren | |
Lieblingssupermarkt: Letztes Jahr veröffentlichte [3][das New York Magazine | |
eine Reportage] über Menschen, die drei Jobs haben, nur um sich den | |
regelmäßigen Einkauf bei Erewhon leisten zu können. Immerhin, wer 100 | |
US-Dollar im Jahr für eine gewöhnliche oder 200 US-Dollar für eine | |
Plus-Mitgliedschaft ausgibt, erhält einen Smoothie im Monat kostenlos. | |
Der Smoothie in der Hand, der Erewhon-Beutel am Arm und die Dose | |
Reishi-Pilz im Kühlschrank stehen für Luxus, für Teilhabe, und ermöglichen | |
es, sich als Teil einer In-Crowd zu positionieren. In Zeiten, in denen die | |
hohen Lebenshaltungskosten ein, wenn nicht das große Wahlkampfthema in den | |
USA sind und in denen Los Angeles [4][mit einer beispiellosen | |
Obdachlosigkeitskrise zu kämpfen] hat, wirkt die Obsession mit Erewhon | |
absurd. | |
Doch gleichzeitig bieten genau diese Aspekte eine Erklärung: | |
Mittelklassesicherheiten wie ein eigenes Haus, eine stabile Altersvorsorge | |
oder eine feste Arbeitsstelle sind spätestens seit der Coronakrise, aber | |
eigentlich seit Deregulierungsbestrebungen der 80er, 90er und Nullerjahre, | |
insbesondere für Millennials und Gen Z in Großstädten in immer weitere | |
Ferne gerückt. | |
Erewhon und seine 22-US-Dollar-Smoothies bieten im Vergleich dazu einen | |
erschwinglichen Luxus und stehen damit für einen Hedonismus der | |
Hoffnungslosigkeit. Nur dass dabei keine Rauschmittel konsumiert werden, | |
sondern Kollagen und Carrageen. | |
## Lebensmittelwüsten in Los Angeles | |
Auch heute sind Obst und Gemüse gerade an einem Ort wie Los Angeles für | |
viele Bewohner ein Luxus. Weite Teile der Stadt gelten als | |
Lebensmittelwüsten, also Regionen, in denen der Zugang speziell zu frischen | |
Lebensmitteln stark eingeschränkt ist; die Präsenz von Drogen, primär | |
Fentanyl, dagegen ist unübersehbar. Die bukolische Fülle eines Erewhon wird | |
da zum ultimativen Flex. | |
Meine Haut zeigt übrigens auch nach einem ganzen Becher Erdbeersmoothie | |
keine Veränderungen. Aber vielleicht ist es wie so oft bei Pflegeprodukten: | |
Erst regelmäßige Nutzung bringt Resultate. Ob ein dritter Job zur | |
Finanzierung ausreichen wird? Unklar. | |
1 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Forscherin-ueber-parasoziale-Beziehungen/!6022623 | |
[2] /Ernaehrung-an-Schulen/!5022388 | |
[3] https://www.thecut.com/2023/04/erewhon-addicts.html | |
[4] /50000-Obdachlose-in-Los-Angeles/!5940317 | |
## AUTOREN | |
Aida Baghernejad | |
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